Am 17. November 2023 hat der Bundestag ein Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten beschlossen. Nachdem der Bundesrat allerdings inhaltliche Bedenken geäußert hat, wird sich zunächst der Vermittlungsausschuss mit dem Gesetzentwurf befassen, bevor die neuen Regeln in Kraft treten können.
Der Gesetzesentwurf verfolgt das Ziel, die Justiz moderner, digitaler und bürgerfreundlicher zu gestalten. Videokonferenzen sollen ein selbstverständlicher Teil des Gerichtsalltags werden. Der Zugang zur Justiz soll für Bürgerinnen und Bürger einfach und modern sein. Der Einsatz von Videotechnik soll auf eine neue Stufe gehoben werden, um Zeit und Ressourcen zu sparen und um gerichtliche Entscheidungen zu beschleunigen.
Der Gesetzesentwurf sieht außerdem die Möglichkeit vor, „virtuelle Rechtsantragsstellen“ einzurichten, um per Videokonferenz mit rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren. Zudem greift der Gesetzentwurf Änderungsvorschläge aus der Justizpraxis auf. Der Hintergrund: Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen ermöglichen eine schnellere und kostengünstige Verfahrensführung und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung und Digitalisierung der Justiz.
Im Entwurf sind die folgenden Neuerungen vorgesehen:
Nach dem Gesetzentwurf wird die zentrale Norm für Videoverhandlungen, § 128a ZPO, neu gefasst. Das Gericht könnte dann nicht nur die Durchführung einer Videoverhandlung gestatten, sondern diese auch anordnen. Die Verfahrensbeteiligten hätten dann die Möglichkeit, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu beantragen, von dieser Anordnung ausgenommen zu werden.
Bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien auf Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung soll diese in der Regel angeordnet werden. Wenn das Gericht einen Antrag auf Videoverhandlung ablehnt, müsste es diese Entscheidung begründen. Der Entwurf sieht auch die Möglichkeit von vollvirtuellen Verhandlungen vor, bei denen sich das Gericht nicht im Sitzungssaal aufhält. Hiergegen hat der Bundesrat Bedenken erhoben: Das Gericht sollte ihm zufolge auch bei einer Videoverhandlung im Sitzungssaal anwesend sein, um der besonderen Bedeutung der mündlichen Verhandlung gerecht zu werden.
Darüber hinaus soll nach dem Gesetzentwurf die Beweisaufnahme, insbesondere auch die Inaugenscheinnahme, per Videokonferenz möglich werden.
Die Auslagenpauschale für die Nutzung von Videokonferenztechnik gemäß den Gerichtskostengesetzen soll nach dem Gesetzentwurf entfallen.
Nach dem Willen des Bundesjustizministeriums soll die mündliche Verhandlung einschließlich der Beweisaufnahme künftig in Bild und Ton aufgezeichnet werden dürfen, § 160a ZPO-E. Bislang war nur eine Tonaufzeichnung zulässig. In bestimmten Verfahren sollen die Parteien die Möglichkeit haben, eine Audio- oder audiovisuelle Dokumentation der Zeugenaussagen zu beantragen.
Eine weitere geplante Neuerung: Nach dem Gesetzentwurf soll es möglich sein, Anträge und Erklärungen zum Protokoll der Geschäftsstelle per Video gegenüber der Geschäftsstelle abzugeben (§ 129a ZPO-E). Dies betrifft zum Beispiel die Beantragung von Prozesskostenhilfe sowie die Erhebung einer Klage beim Amtsgericht.
Das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft soll dahingehend erweitert werden, dass diese per Video oder an einem anderen geeigneten Ort als in den Geschäftsräumen eines Gerichtsvollziehers beziehungsweise einer Gerichtsvollzieherin oder in der Wohnung des Schuldners / der Schuldnerin abgenommen werden kann (§ 802f ZPO-E).
Die Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Justiz ist zu begrüßen. Die Durchführung von mündlichen Verhandlungen per Videokonferenzen steigert die Effizienz und trägt zu einer Kostenersparnis bei, da Reisekosten und -auslagen wegfallen. Zudem machen Videoverhandlungen Gerichtstermine für Menschen zugänglicher, die aufgrund von Entfernungen oder körperlichen Einschränkungen Schwierigkeiten haben, an Präsenzverhandlungen teilzunehmen.
Abzuwarten bleibt die Überarbeitung des Gesetzentwurfes durch den Vermittlungsausschuss. Zwar unterstützt der Bundesrat die Erleichterung von Videoverhandlungen, er möchte jedoch die mündliche Verhandlung im Gerichtssaal als Herzstück des Gerichtsprozesses erhalten. Rein virtuelle Verhandlungen lehnen die Länder ab. Wenn das Gesetz schließlich in Kraft getreten ist, wird sich zeigen, wie schnell die Praxis von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen wird, insbesondere auch wie zügig die Justizverwaltungen der Länder die für die Videokonferenzen erforderlichen technischen Voraussetzungen schaffen werden.
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