Die Einführung eines neuen Sanktionsrechts für Unternehmen ist nach der Vorstellung des BMJV wegen der derzeitigen Corona-Krise und der Aussicht auf wirtschaftlich schwere Zeiten gerade jetzt wichtig und richtig. Vor diesem Hintergrund hat das BMJV am 21. April 2020 den lang erwarteten „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“ veröffentlicht, dessen Kernstück das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (Verbandssanktionengesetz – VerSanG) ist. Es handelt sich um die mittlerweile zwischen den Resorts und den Vertretern der Regierungsparteien abgestimmte Fassung des bereits im Sommer 2019 – inoffiziell – vorgestellten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität. Damit wird es nun für Unternehmen ernst. Es ist zu erwarten, dass der Entwurf nach Anhörung der Verbände noch im Sommer in den Bundestag eingebracht und, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Damit lohnt ein Blick auf die neuen Regelungen, verbunden mit der Frage, wie sich Unternehmen in Zukunft diesbezüglich am besten aufstellen.
Im Vergleich zu dem bisherigen Entwurf ergeben sich einige Änderungen. Insgesamt hat der Entwurf jedoch kaum an seiner Schärfe verloren. Er führt das Legalitätsprinzip ein, erweitert das Sanktionsinstrumentarium, orientiert dabei die Höhe der Geldsanktion am Umsatz des Unternehmens. Zudem schafft der Entwurf Anreize für Compliance und interne Untersuchungen und regelt die Durchführung von Sanktionsverfahren.
1. Anwendungsbereich
Das VerSanG regelt die Sanktionierung von Verbänden, d.h. von juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, nicht rechtsfähigen Vereinen und rechtsfähigen Personengesellschaften.
Änderungen gegenüber der früheren Fassung:
2. Legalitätsprinzip
Unverändert sollen die Sanktionierung und Verfolgung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, dem sogenannten Legalitätsprinzip unterworfen werden. Anders als im Ordnungswidrigkeitenrecht, in dem das Opportunitätsprinzip gilt, sollen die Verfolgungsbehörden bei Vorliegen eines Anfangsverdachts verpflichtet sein, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das geltende Recht entgegen der derzeitigen Praxis gleichmäßig und regelmäßig zur Anwendung kommt. Korrespondierend mit der Einführung des Legalitätsprinzips sieht der Referentenentwurf weitreichende Einstellungsmöglichkeiten vor, die in das Ermessen der Verfolgungsbehörden gestellt werden. Von der Verfolgung kann u. a. abgesehen werden wegen Geringfügigkeit, unter Auflagen und Weisungen sowie bei Sanktionierung im Ausland.
3. Voraussetzungen für die Sanktionierung
Das Kernstück des Entwurfs bilden die beiden Tatbestände der Verbandsverantwortlichkeit, die sich an den bestehenden Regelungen der Verbandsgeldbuße bzw. der Aufsichtspflichtverletzung im Ordnungswidrigkeitenrecht orientieren. Eine Verbandssanktion ist zu verhängen, wenn (1) eine Leitungsperson eine Verbandstat begangen hat oder (2) eine Nicht-Leitungsperson in Wahrnehmung der Aufgaben des Verbandes eine Verbandstat begangen hat, wenn eine Leitungsperson diese Straftat durch entsprechende Vorkehrungen hätte verhindern oder wesentlich erschweren können.
Verbandstaten der Leitungspersonen werden dem Verband damit ohne weitere Voraussetzungen zugerechnet. Für die Zurechnung der Verbandstat von Nicht-Leitungspersonen ist zusätzlich ein Verstoß gegen Organisationspflichten erforderlich, wobei dieser Verstoß nur objektiv vorliegen und von der Leitungsperson nicht zwingend verschuldet sein muss.
Verbandstat ist eine Straftat, durch die Verbandspflichten verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert wird. Keine Verbandstaten sind Taten, die sich ausschließlich gegen den Verband selbst richten (z.B. die Veruntreuung von Geldern des Unternehmens) sowie sogenannte Exzesstaten.
Änderungen gegenüber der früheren Fassung:
4. Verbandssanktionen
Der aktuelle Entwurf sieht zwei Arten von Verbandssanktionen vor: Die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit dem Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion.
Änderungen gegenüber der früheren Fassung:
Die Verbandsgeldsanktion beträgt bis zu zehn Millionen Euro bei einer vorsätzlich begangen Verbandstat und bis zu fünf Millionen Euro bei einer fahrlässig begangen Verbandstat. Bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro soll das Höchstmaß der Verbandsgeldsanktion bei Vorsatz bis zu zehn Prozent bzw. bei Fahrlässigkeit bis zu fünf Prozent des weltweiten durchschnittlichen Jahresumsatzes des gesamten Konzerns betragen.
Die Verwarnung mit dem Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion kann ähnlich wie bei § 56b StGB mit Auflagen versehen werden. Zudem kann das Gericht dem Verband insbesondere Weisungen erteilen, wenn dies erforderlich ist, um weiteren Verbandstaten entgegenzuwirken. Beispielsweise kann das Gericht den Verband anweisen, Compliance-Maßnahmen zu implementieren und dies durch eine sachkundige Stelle nachweisen zu lassen (kleines Monitorship).
Im Ermittlungsverfahren kann die Verfolgungsbehörde von einer Verfolgung der Verbandstat absehen und dem Verband dabei zugleich entsprechende Weisungen erteilen.
Der Entwurf nennt als sachkundige Stellen je nach Art der angeordneten Maßnahme und Natur des Verbandes z. B. Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte sowie Unternehmensberatungen.
5. Öffentliche Bekanntmachung
Neben der Verhängung einer Verbandssanktion kann das Gericht (als Nebenfolge) bei einer großen Zahl von Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung anordnen.
Änderungen gegenüber der früheren Fassung:
6. Förderung von Compliance-Maßnahmen
Dass Compliance-Maßnahmen bei der Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ der Sanktionierung berücksichtigt werden müssen, entspricht der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt allerdings bislang. Das VerSanG sieht Regelungen für die Berücksichtigung von Compliance-Bemühungen des Unternehmens vor. Die Bedeutung eines wirksamen Compliance-Management-Systems für ein Unternehmen kann daher auch in Zukunft kaum überschätzt werden.
Compliance-Maßnahmen (sog. Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten) können bereits bei der Frage eine Rolle spielen, ob überhaupt die die Voraussetzungen einer Sanktionierung vorliegen. Sollte dies bejaht werden, ist das Vorliegen eines geeigneten Compliance-Management-Systems maßgeblich für die Art und die Höhe einer Sanktion sowie bei der Frage, ob die Voraussetzungen des Absehens von der Verfolgung (ggf. bei Erteilung einer Weisung) der Verbandstat vorliegen.
Welche Compliance-Maßnahmen im Einzelfall den Anforderungen des VerSanG entsprechen, um eine Verbandssanktion zu verhindern oder zumindest in den Genuss einer Sanktionsmilderung zu kommen, bleibt weiterhin größtenteils offen. Bei kleinen und nunmehr auch mittleren Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen sollen jedoch auch wenige einfache Maßnahmen ausreichend sein.
7. Verbandsinterne Untersuchungen
Das VerSanG schafft erstmalig einen rechtlichen Rahmen für interne Untersuchungen und klare gesetzliche Anreize für deren Durchführung. Der Entwurf regelt, unter welchen Voraussetzungen und wie interne Durchsuchungen sanktionsmildernd berücksichtigt werden können. Unter verbandsinterner Untersuchung versteht die aktuelle Entwurfsbegründung „nur solche Maßnahmen, die der systematischen Aufklärung des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat dienen.“
Erfüllt die interne Untersuchung die gesetzlichen Anforderungen, halbiert sich der Sanktionsrahmen und die öffentliche Bekanntmachung ist ausgeschlossen. Hierzu ist es insbesondere erforderlich, dass die verbandsinterne Untersuchung wesentlich dazu beiträgt, die Verbandstat aufzuklären, dass der Verband ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet und die Ergebnisse, wesentlichen Dokumente und den Abschlussbericht zur Verfügung stellt.
Änderungen gegenüber der früheren Fassung:
Sofern die o.g. Voraussetzung nicht erfüllt werden, kann dennoch das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken, im Rahmen der allgemeinen Sanktionszumessung berücksichtigt werden.
Trotz lauter Kritik hält der Entwurf weiterhin an dem Erfordernis der funktionalen Trennung zwischen der Verteidigung und der Durchführung der verbandsinternen Untersuchung fest. Hierdurch wird aber nicht ausgeschlossen, dass mit der verbandsinternen Untersuchung eine Kanzlei beauftragt wird, der auch der Verteidiger des Verbandes oder des Beschuldigten angehört. Dieser darf dann allerdings nicht an der verbandsinternen Untersuchung mitgewirkt haben, da sonst eine Sanktionsmilderung über die verbandsinterne Untersuchung nicht in Betracht kommt. Die Diskussion um die konzeptionelle Trennung von Verteidigung und Führung der unternehmensinternen Untersuchungen ist allerdings noch nicht beendet. Die Verbände wurden explizit aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen.
Schließlich wird eine Sanktionsmilderung nur dann gewährt, wenn die Grundsätze eines fairen Verfahrens eingehalten werden. Arbeitnehmer sind vor Befragungen im Rahmen von verbandsinternen Untersuchungen darüber zu belehren, dass ihre Auskünfte im einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können, ihnen ein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder Mitglied des Betriebsrates haben und dass Ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht auf solche Fragen zusteht, deren Beantwortung sie selbst oder einen Angehörigen belasten würde.
8. Beschlagnahmeverbot
Im Hinblick auf die Neuregelung des strafprozessualen Beschlagnahmeverbots kam es bedauerlicherweise nicht zu einer Änderung im Vergleich zu dem letztjährigen Entwurf des VerSanG. Durch Änderung der Strafprozessordnung soll die Reichweite des Beschlagnahmeverbots auf die Gegenstände eingeschränkt werden, die dem Vertrauensverhältnis des Beschuldigten des im konkreten Verfahren Beschuldigten zu dem Berufsgeheimnisträger zuzuordnen sind.
Nicht vom Beschlagnahmeverbot erfasst sind demnach Aufzeichnungen aus einer Sachverhaltsaufklärung, die vor einer Beschuldigtenstellung, d.h. vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, stattfindet. Erst sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist und der Verband die Stellung eines Beschuldigten hat, ist zumindest die Kommunikation mit dem Verteidiger nicht beschlagnahmefähig. Wird die verbandsinterne Untersuchung nicht durch einen Verteidiger geführt, sollen nach dem Entwurf die Aufzeichnungen über Befragungen von Nicht-Leitungspersonen u.U. wohl der Beschlagnahme unterliegen.
9. Verbandssanktionenregister
In das zu schaffende Verbandssanktionenregister sollen (ähnlich dem Bundeszentralregister) die gegen einen Verband ergangenen rechtskräftigen, gerichtlichen Entscheidungen über die Verhängung von Verbandsanktionen sowie rechtskräftige Entscheidungen über die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG eingetragen werden, wenn die festgesetzte Geldbuße 300 Euro überschreitet. Dieses Register ist nicht für jedermann öffentlich einsehbar. Es handelt sich um ein primär für die Justiz konzipiertes Informationssystem. Die Informationen aus dem Verbandssanktionenregister sollen insbesondere die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Sanktionszumessung unterstützen.
Änderungen gegenüber der früheren Fassung:
10. Weitere Änderungen des Entwurfs
11. Zeitplan
Der Entwurf befindet sich bis Sommer 2020 in der Phase der Verbändeanhörung. Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung noch im Sommer 2020 über die Einbringung in das formelle Gesetzgebungsverfahren entscheiden wird. Das Gesetzgebungsverfahren dürfte dann bis ins nächste Jahr dauern. Und auch dann soll das Gesetz nicht sofort in Kraft treten, sondern erst zwei Jahre nach seiner Verkündung. Das soll Verbänden ausreichend Zeit geben, die internen Abläufe zu überprüfen und erforderlichenfalls weitere Compliance-Maßnahmen zu treffen.
Dazu gehört insbesondere die Einrichtung oder Aktualisierung eines Compliance-Management-Systems, um das Risiko von Straftaten im Unternehmen zu minimieren und begangene Pflichtverletzungen transparent machen zu können. Zwei Jahre erscheinen dafür nicht übermäßig lang, denn ein CMS „von der Stange“ gibt es nicht. Seine Wirksamkeit und auch eine sanktionsmindernde Wirkung kann ein CMS nur entfalten, wenn es zu Organisationsform und Größe, den Risikobereichen und der Branche eines Unternehmens passt und vor allem auch seiner Kultur entspricht.
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