OVG Bautzen: Keine offensichtlichen Verfahrensfehler bei einer Beschlussfassung via Videokonferenz
In Kürze:
Das OVG Bautzen hat in einem Beschluss (19.03.2021 2 B 66/21) einen Normenkontrollantrag im einstweiligen Rechtschutz des Wahlausschusses einer Universität als unbegründet abgelehnt. An einer online beschlossenen Wahlordnung bestehen nach Auffassung des Gerichts „keine durchgreifenden Bedenken“. Ein offensichtliches Verbot des Einsatzes von Videotechnik für die Beschlussfassung einer Wahlordnung ist der einschlägigen Norm auch nach Prüfung der vier Auslegungsmethoden nicht zu entnehmen, und sei unter die Begriffe „Anwesenheit“ und „Sitzung“ zu subsumieren (§ 54 Abs. 1 S.1 SächsHSFG).
Hintergrund:
Bedingt durch die Covid-19 Pandemie mussten die Wahlen an der streitenden Universität im vorangegangenen Sommersemester bereits ausfallen. Diese sollen durch online durchgeführte Wahlen in diesem Sommersemester nachgeholt werden. Die rechtliche Grundlage für diese Onlinewahlen wurde mit dem Beschluss einer Wahlordnung 2021 geschaffen. Diese trat am 30.01.2020 in Kraft. Beschlossen wurde die Wahlordnung durch das Rektorat mit Einvernehmen des Senates. Der Senatsbeschluss wurde zuvor durch eine Videokonferenz eingeholt, zu welchem ordnungsgemäß geladen wurde und bei welcher allen Senatsmitgliedern die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich zu äußern.
Der Antragssteller, der Wahlausschuss der Universität, wendet sich mit einem verwaltungsrechtlichen Normenkontrollantrag gemäß § 46 VI VwGO gegen die Antragsgegnerin und beantragt, die beschlossene Wahlordnung der Universität vorläufig außer Vollzug zu setzen. Er geht davon aus, dass die Wahlordnung als rechtswidrig einzuordnen ist, da iSd § 54 I S.1 SächsHSFG die Beschlussfassung des Senates via Videokonferenz nicht ausreiche und eine physische Anwesenheit der Mitglieder zwingend notwendig sei. Es liege somit ein unheilbarer Verfahrensmangel vor, aus welchem die Rechtswidrigkeit der Wahlordnung 2021 herrühre. Der Antragssteller bezieht sich hierbei maßgeblich auf den Wortlaut der Vorschrift sowie auf Parallelvorschriften im Kommunalrecht. Zusätzlich seien in gewissen Rechtsbereichen extra Rechtsgrundlagen geschaffen wurden, die die Abstimmung per Videokonferenz zulassen. Dies sei vorliegend nicht geschehen und deshalb davon auszugehen, dass eine Beschlussfassung mit Anwesenheit der Mitglieder geschehen müsse und nicht durch die Durchführung einer Videokonferenz ersetzt werden könne. Die Außervollzugsetzung sei dringend geboten, da ansonsten ungültige Onlinewahlen durchgeführt werden würden.
Die Antragsgegnerin, die Universität, sieht den Antrag bereits als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet an. Ihrer Ansicht nach spricht die Vorschrift des § 54 I S.1 SächsHSFG nicht gegen den Einsatz von Videotechnik und entsprechend sei der Senatsbeschluss wirksam erfolgt.
Entscheidung:
Das OVG sieht den Antrag als zulässig, jedoch als unbegründet an. Der Wahlausschuss sei als Organ gem. § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig und somit auch antragsberechtigt, da er die Wahlordnung, die Streitgegenstand ist, zur Anwendung bringen muss.
Eine vorübergehende Außervollzugsetzung der Wahlordnung sieht das Gericht indes jedoch nicht als notwendig an und lehnt den Antrag als unbegründet ab. Es sei nicht ersichtlich, dass die Anwendung der bereits in Kraft getretenen Wahlordnung einen schweren Nachteil mit sich bringe, der nur durch die vorläufige Außerkraftsetzung abzuwenden sei. Der Prüfungsmaßstab im einstweiligen Rechtschutz des Normenkontrollverfahrens beschränke sich lediglich auf diese Erwägung und sei am Maßstab von § 32 BVerfGG zu messen, welcher einen besonders strengen Anwendungsmaßstab voraussetze und etwaige angeführten Erwägungen hinsichtlich materieller Gesichtspunkte keiner Überprüfung im Eilverfahren offen stehen könnten. Das Gericht sah seinen Prüfungsumfang somit als stark eingeschränkt an.
Vorliegend sei der Ausgang in der Hauptsache als offen zu beurteilen und die Abwägung, ob ernste Nachteile ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung entstehen zu verneinen. Ein formeller Fehler durch die Art der Beschlussfassung des Senates sei nicht offensichtlich anzunehmen.
Das Gericht zieht für seine Entscheidung die vier Auslegungsmethoden heran.
Zwar sei dem Wortlaut der Norm hinsichtlich der Beschlussfähigkeit nicht zu entnehmen, dass der Einsatz von Videotechnik der physischen Anwesenheit gleichstehe, jedoch lasse sich der Vorschrift aus ihrem Wortlaut auch kein entsprechendes Verbot entnehmen. Es ergebe sich nicht bereits aus dem Wortlaut, dass eine Beschlussfassung des Senates durch eine Videokonferenz einen Verfahrensfehler darstelle und an der verlangten Anwesenheit scheitere. Auch seien die in den letzten Jahre stetig entwickelten und akzeptierten anderen Kommunikationsformen wie Videochat und Videotelefonie dafür verantwortlich, dass sich ein veränderter Sprachgebrauch hinsichtlich der Begrifflichkeiten „Sitzung“ und „Anwesenheit“ entwickelt habe, der auch „Onlinekonferenzen“ und „Videoschalten“ mitumfasse. Nach Ansicht des Gerichts ist die Anwesenheit wie folgt zu definieren: „ Anwesenheit im Sinne von Mitwirkung bedeutet danach aktive Teilnahme an dem geistig-intellektuellen Vorgang der Entscheidungsfindung, bei dem jeder Teilnehmer in der Lage sein muss, der Beratung zu folgen und, soweit dies für angezeigt gehalten wird, seine Meinung zu äußern(…)“. Die Durchführung einer Videokonferenz genügt hiernach den Anforderungen an eine Sitzung i.S.d § 54 I S.1 VwGO.
Auch nach der systematischen Auslegung sei nicht von einem Verfahrensfehler auszugehen. Der Vergleich zu anderen Hochschulvorschriften sei nicht notwendig und förderlich. Auch die von dem Antragssteller angeführten Parallelvorschriften im Landesrecht, die digitale Abstimmungsmodalitäten explizit geschaffen haben, ergeben nicht zwingend die Änderung des SächsHSFG und verlangen eine entsprechende Parallelvorschrift für die Gültigkeit des Senatsbeschlusses.
Darüber hinaus bestehen auch nach der teleologischen Betrachtung keine Bedenken hinsichtlich eines Verfahrensfehlers des Senatsbeschlusses durch die Videokonferenz. Zweck der Vorschrift des § 54 Abs. 1 S. 1 SächsHSFG liege darin, die Legitimation des Quorums sicherzustellen. Die Legitimation der Beratung und der sich anschließenden Beschlussfassung werden durch das Format der Videokonferenz nicht in Frage gestellt. Die Anwesenheit der Mitglieder – nach Sinn und Zweck der Vorschrift – wurde durch die Onlinedurchführung nicht tangiert und sei aus diesem Grund teleologisch unbedenklich.
Die Berücksichtigung der historischen Auslegung gebiete die Vorschrift vorliegend nicht, da es sich um Kommunikationsformen handele, die bei Verabschiedung des Sächsischen Hochschulgesetztes bereits aus tatsächlichen Gesichtspunkten keine Beachtung finden konnten.
Auch die vorgenommene Folgenabwägung im Rahmen der Prüfung des § 47 VI VwGO geht nach Auffassung des Gerichts zu Lasten des Antragsstellers aus. Es sei nicht ersichtlich, wieso ein nicht abzuwendender Nachteil entstehe, wenn die Wahlordnung 2021 nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt werde. Besonders vor dem Gesichtspunkt, dass die Wahlen bereits seit dem letzten Sommersemester nachgeholt werden müssen gebietet sich ein Vollzug der Wahlen auch mit dem Risiko, dass sich diese nachträglich als ungültig erweisen könnten. Hiervon geht das Gericht indes jedoch nicht aus.
Was können Leser*innen mitnehmen:
Die fehlende ausdrückliche Nennung der Möglichkeit einer „Onlinezusammenkunft“ in einer Norm lässt nicht auf die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses schließen, der nicht durch eine Abstimmung in physischer Präsenz zustande gekommen ist, sondern durch eine Abstimmung im Rahmen einer Videokonferenz.
Sprachgebrauch und die Entwicklung von Kommunikationsmedien verändern auch das Verständnis von Rechtsbegriffen und Vorschriften und sind stets im Zusammenhang des zeitlichen Kontextes auszulegen und anzuwenden.
An den Prüfungsmaßstab auf Antrag einer einstweiligen Anordnung gegenüber einer bereits in Kraft gesetzten Norm sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, die sich an der Prüfung des § 32 BVerfGG orientieren.
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