
KI ist für viele Unternehmen ein Segen, sie kann aber auch schnell zum Fluch werden, gerade dann, wenn Behörden die Technik nutzen, um Rechtsverstöße von Unternehmen aufzudecken. Genau das beabsichtigt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) bei ihren Betriebsprüfungen. Sie hat ein Tool namens KIRA entwickelt, das digitale Unterlagen scannt und nach Auffälligkeiten und Risikomustern durchsucht. Dies kann Unternehmen vor allem beim Fremdpersonaleinsatz zum Verhängnis werden. Denn hier waren die Möglichkeiten zur Aufdeckung von Verstößen bisher begrenzt. Die DRV prüft nach eigenen Angaben mit rund 1.700 Mitarbeitenden ca. 400.000 Betriebe im Jahr. Wenn also pro Prüfung weniger als ein Tag zur Verfügung steht, fallen viele Verstöße durchs Raster. Hinzu kommt, dass die DRV bei Betriebsprüfungen bisher nur die Lohnbuchhaltung in Augenschein genommen hat. Erst seit 2025 prüft sie auch die Finanzbuchhaltung, wo Rechnungen für Fremdpersonal normalerweise verbucht werden.
Neue Befugnisse soll auch der Zoll im Kampf gegen Schwarzarbeit – und damit auch gegen Scheinselbständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung – bekommen: Der im August 2025 im Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung und Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung erlaubt den Einsatz digitaler und datengestützter Prüfungs- und Ermittlungsmethoden einschließlich künstlicher Intelligenz.
Die Konsequenzen von aufgedeckten Fällen sind schwerwiegend: Es drohen hohe Nachzahlungen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, Bußgelder und sogar eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen wegen der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern.
Aufdecken kann die DRV mit KIRA Fälle von Scheinselbständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung.
Von Scheinselbstständigkeit spricht man, wenn eine natürliche Person formal als selbstständig beauftragt wird – in der Regel über einen Werk- oder Dienstvertrag – tatsächlich aber wie ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin behandelt wird (insbesondere Weisungen unterliegt) und/oder in den Betrieb organisatorisch eingegliedert ist. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Person weisungsgebunden arbeitet, feste Arbeitszeiten einhält, ausschließlich für einen Auftraggeber tätig ist oder dessen Arbeitsmittel nutzt. Stellt die DRV Scheinselbständigkeit fest, gilt das Vertragsverhältnis rückwirkend als abhängige Beschäftigung. Das Unternehmen muss Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, in der Regel auch den Arbeitnehmeranteil. Zusätzlich drohen Säumniszuschläge, Bußgelder und je nach Umfang strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Personen (in der Regel Geschäftsleitung).
Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn ein Unternehmen über einen Dienstvertrag oder Werkvertrag einem anderen Unternehmen Personal überlässt und dieses fremde Personal – wie zuvor – in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert ist und/oder dessen Weisungen unterliegt. Die Vertragsleistung wird in diesen Fällen dann gerade nicht auf Basis eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) erbracht. Wird eine unerlaubte Überlassung aufgedeckt, gelten im Grundsatz dieselben Rechtsfolgen wie bei der Scheinselbständigkeit, vor allem müssen Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge nachentrichtet werden. Und: Es kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen dem eingesetzten Personal und dem Auftraggeber zustande – mit allen Rechten und Pflichten. Ferner drohen auch hier Bußgelder sowie – je nach Umfang – auch strafrechtliche Verfolgung.
Nach solchen Konstellationen sucht die DRV mit KIRA künftig gezielt in ihren Betriebsprüfungen. Und sie kann fündig werden, auch wenn der Verstoß vom Unternehmen nicht gewollt war.
Die Beschäftigung von Scheinselbständigen oder die Inanspruchnahme einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sind selten beabsichtigt. Vielmehr sind sie oft die Folge von Unkenntnis und Unachtsamkeit, sowohl bei der Beauftragung, der Gestaltung der Verträge und der Rechnungsstellung als auch bei der Ausgestaltung der tatsächlichen Zusammenarbeit.
Insbesondere schriftliche Unterlagen wird KIRA künftig in Betriebsprüfungen auswerten. Die Software scannt dabei alle digital vorhandenen Daten der Unternehmen, sucht nach Mustern und Auffälligkeiten. Dazu zählen beispielsweise ungewöhnlich hohe oder niedrige Zahlbeträge und fehlende Nachweise. Die Mitarbeitenden des Prüfdienstes gehen den gefundenen Auffälligkeiten nach und können mit diesen Anhaltspunkten in die Detailprüfungen einsteigen.
Die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung bleibt in der Praxis eine der größten Herausforderungen beim Einsatz von Fremdpersonal.
Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung bzw. abhängige Beschäftigung liefern oftmals die abgeschlossenen Verträge, die Leistungsbeschreibungen und die Rechnungen.
Typische Risikosignale sind
Solche Hinweise können schnell von KIRA erkannt und zu einer Neubewertung der Vertragsverhältnisse führen.
In der Regel beauftragt der Einkauf die externen Leistungen. Nicht immer verfügen die Mitarbeitenden dort über die notwendigen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Kenntnisse oder sind hinreichend sensibilisiert. Die Personalabteilung wird oftmals nicht hinzugezogen, weil ja gerade keine Arbeitsverhältnisse begründet werden sollen. In manchen Unternehmen erfolgt die Beauftragung auch direkt über die Fachabteilungen wie das Facility Management oder die IT-Abteilung. Dies macht es noch schwieriger, die damit verbundenen Risiken zu erkennen.
Nicht selten weicht zudem die tatsächliche Durchführung der Zusammenarbeit von der vertraglichen Gestaltung ab, etwa durch eine faktische Eingliederung in betriebliche Strukturen, die Nutzung interner Arbeitsmittel oder eine enge Abstimmung mit Führungskräften.
Gerade diese Diskrepanz zwischen Vertragslage und tatsächlicher Umsetzung ist es, die im Rahmen von Betriebsprüfungen zunehmend in den Fokus rückt und aufgrund KI-basierten Auswertungen nun auch quantitativ und qualitativ durch die DRV besser erfasst werden kann.
Vor dem Hintergrund der drohenden wirtschaftlichen und persönlichen Haftungsfolgen und des durch KIRA erheblich gestiegenen Entdeckungsrisikos sollte jedes Unternehmen einen Fremdpersonal-Compliance-Prozess etablieren. Dieser sollte sicherstellen, dass externe Beauftragungen keine Risiken für Scheinselbständigkeit oder verdeckte Arbeitnehmerüberlassung beinhalten. Da sich die Bewertungspraxis der DRV, Gesetze und insbesondere auch die Rechtsprechung ständig fortentwickeln, sollte dieser Prozess auch regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden.
Auf die kommenden Betriebsprüfungen mit KIRA sollten sich Unternehmen gut vorbereiten. Insbesondere sollten sie digitale Dokumente im Zusammenhang mit der Beauftragung fremder Leistungen in den Systemen der Finanzbuchhaltung und des Einkaufs – idealerweise ebenfalls mit KI-Unterstützung – auf Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung überprüfen. Werden solche Hinweise tatsächlich entdeckt, sollte das Unternehmen prüfen, ob für die Vergangenheit rechtliche Handlungspflichten bestehen. Für die Zukunft sollte zudem ein Fremdpersonal-Compliance-Prozess so aufgesetzt werden, dass Risiken einer abhängigen Beschäftigung möglichst ausgeschlossen und mithin wirtschaftliche und persönliche Haftungsfolgen vermieden werden.
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