Suche
Contact
Symbolbild zu BGH Aufklärungspflichten: Gewerbeimmobilie
28.04.2023 | KPMG Law Insights

EuGH: Generalanwalt lehnt verschuldensunabhängige Haftung für Datenschutzverstöße ab

Zu der umstrittenen Frage der verschuldensunabhängigen Haftung von Unternehmen für Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat der Generalanwalt beim EuGH am 27. April 2023 (C-807/21) seine Schlussanträge gestellt. Darin lehnt er eine verschuldensunabhängige Haftung ab.

Bisher wurden Bußgelder unabhängig vom Verschulden verhängt

Gegenüber Unternehmen können Bußgelder regelmäßig nur dann verhängt werden, wenn Führungskräfte fahrlässige oder vorsätzliche Taten begehen, die dem Unternehmen zugerechnet werden können. Das basiert auf „Rechtsträgerprinzip“ gem. § 30 OWiG.

Das LG Berlin hat am 18.02.2021 die Auffassung vertreten, in Bußgeldverfahren nach Art. 83 DSGVO könne eine juristische Person nicht selbst als „Betroffene“, sondern nur als Nebenbeteiligte gelten. Dies folge daraus, dass Ordnungswidrigkeiten nur von natürlichen Personen vorwerfbar begangen werden könnten. Einer juristischen Person könne hingegen lediglich das Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten zugerechnet werden. Denn § 30 Abs. 1 OWiG knüpfe für die Verhängung von Geldbußen stets an ein schuldhaftes Fehlverhalten natürlicher Personen an, für das die juristische Person erst auf der Rechtsfolgenseite einstehen müsse.

Das LG Bonn und die deutschen Datenschutzbehörden hingegen gehen im Rahmen des Art. 83 DSGVO von der Anwendung des aus dem europäischen Kartellrecht bekannten „Funktionsträgerprinzips“ in Verbindung mit einer verschuldensunabhängigen Haftung („strict liability“) aus. Demnach wäre das Unternehmen der unmittelbar materiell haftende Adressat für Sanktionen. Verstöße von Mitarbeitenden (nicht nur Leitungspersonen) würden dann bereits für die Festsetzung eines Bußgeldes ausreichen. Auf ein Verschulden solle es nicht ankommen.

Am 17. Januar 2023 hatte sich die große Kammer des EuGH im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit zwei Vorlagefragen befasst. Gegen eine deutsche Wohnungsgesellschaft war ein Bußgeld von circa 14,5 Mio. EUR verhängt worden. Dem EuGH wurden die Fragen nach der Anwendbarkeit des Funktionsträgerprinzips sowie dem Erfordernis des Nachweises eines schuldhaften Verhaltens zur Prüfung vorgelegt.

Generalanwalt: Verstöße aller Mitarbeitenden zurechenbar, Verschulden ist Voraussetzung

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona spricht sich in seinen Schlussanträgen vom 27. April 2023 gegen eine verschuldensunabhängige Haftung von Unternehmen aus.

Allerdings vertritt er auch die Ansicht, dass eine juristische Person die Folgen von DSGVO-Verstößen nicht nur dann tragen muss, „wenn diese von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen wurden, sondern auch, wenn die Verstöße von natürlichen Personen (Mitarbeitern im weiteren Sinne) begangen wurden, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit des Unternehmens und unter der Aufsicht der zuerst genannten Personen handeln.“

Im Ergebnis müssen damit zumindest Aufsichtspflichtverletzungen nachgewiesen werden, damit das schuldhafte Handeln von Mitarbeitenden außerhalb der Führungsebene der juristischen Person zugerechnet werden kann. Ob das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht die DSGVO diesbezüglich hinreichend umsetzt, wird das LG Berlin noch klären müssen.

Darüber hinaus bezieht der Generalanwalt auch Stellung zur Bemessung der Bußgeldhöhe. Demnach „muss als Bezugsgröße für die Festsetzung dieses Betrags nicht die formelle Rechtspersönlichkeit einer Gesellschaft, sondern die „wirtschaftliche Einheit“ “ dienen. Daraus lässt sich ableiten, dass es bei der Bemessung von Bußgeldern auf den Konzernumsatz – und nicht lediglich den Umsatz des Unternehmens – ankommen soll. Das könnte zu einer wesentlichen Erhöhung von Bußgeldern führen.

Praxisrechtliche Bedeutung des Streits

Der Streitstand hat gravierende Auswirkungen auf die Durchführung von Bußgeldverfahren.

Die Datenschutzbehörden fordern, dass sie unabhängig vom Verschuldensprinzip Bußgelder gegen Unternehmen wegen Datenschutzverstößen verhängen dürfen. Das Verschuldensprinzip führe zu einer erheblichen Einschränkung von Bußgeldverfahren gegen Unternehmen. Aus den Erwägungsgründen zur DSGVO ergebe sich, dass der europäische Gesetzgeber das nicht gewollt habe.

Diese Ansicht würde die Verhängung von DSGVO-Bußgeldern für die Datenschutzbehörden erleichtern und damit eine wesentliche Erhöhung des Haftungsrisikos für Unternehmen bedeuten, da diese unabhängig von einem konkreten Verschulden Adressat eines Bußgeldes werden können.

Zwar hat der Generalanwalt eine entsprechende verschuldensunabhängige Haftung abgelehnt und die Kammern des EuGH folgen in ihrer Entscheidungsfindung regelmäßig den Schlussanträgen des Generalanwalts. Dennoch bleibt ein anderer Ausgang des Verfahrens möglich.

Explore #more

05.12.2024 | KPMG Law Insights

GPSR: Das bedeutet die neue EU-Produktsicherheitsverordnung

Ab dem 13. Dezember 2024 müssen Unternehmen die neue EU-Produktsicherheitsverordnung umsetzen, die seit dem 10. Mai 2023 in Kraft ist. Sie löst die bisherige EU-Produktsicherheitsrichtlinie…

04.12.2024 | Dealmeldungen

KPMG Law und KPMG berät Brain Biotech AG bei Lizenzverträgen und Monetarisierung von Lizenzrechten

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) haben die Brain Biotech AG bei der Monetarisierung von Lizenzrechten mit Royalty Pharma und dem…

02.12.2024 | KPMG Law Insights

EuGH: Deutsche Ausnahme für Kundenanlagen ist europarechtswidrig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az. C-293/23) hat am 28. November 2024 entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Infrastrukturkategorie der Kundenanlagen gemäß § 3 Nr.…

29.11.2024 | In den Medien

Gastbeitrag in der ESGZ: Klimaresilienz – Individuelle Schutzansprüche und Staatshaftung

Am 1. Juli 2024 ist das Klimaanpassungsgesetz des Bundes in Kraft getreten. Es verpflichtet die öffentliche Hand, die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels bei Planungen…

28.11.2024 | Pressemitteilungen

KPMG Law integriert neues KI-Tool mit Inhalten des Fachverlags Otto Schmidt in seinen juristischen Arbeitsalltag

KPMG Law geht bei der Einbindung von künstlicher Intelligenz (KI) in den juristischen Alltag den nächsten Schritt. Nachdem bereits im Jahr 2023 in einem Reallabor…

27.11.2024 | In den Medien

KPMG und KPMG Law kooperieren mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) und die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) kooperieren seit November mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP), dem größten…

26.11.2024 | Dealmeldungen

KPMG Law und KPMG beraten Diehl Defence bei der Übernahme von Dynamit Nobel

KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) und KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) haben die Diehl Defence GmbH & Co. KG (Diehl Defence) bei dem Erwerb der…

20.11.2024 | In den Medien

Statement von Moritz Püstow im Tagesspiegel Background: Staatshaftung für klimaresiliente Infrastruktur

Seit Juli hat Deutschland ein neues Gesetz, um dem Klimawandel zu begegnen. Können Unternehmen, Immobilieninvestoren, Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen den Staat verklagen, wenn der seinen Pflichten…

20.11.2024 | In den Medien

Gastbeitrag in der Gemeindewirtschaft: Alle Jahre wieder: Die Erneuerung von Betrauungsakten im kommunalen Sektor

Der KPMG Law Experte Eike Christian Westermann und die KPMG Law Expertin Isabelle König haben in der Gemeindewirtschaft einen neuen Beitrag zur Erneuerung von Betrauungsakten…

20.11.2024 | In den Medien

Statement von Florian Kirstein im In-house Counsel: EU will entschiedener gegen Korruption vorgehen

Kommt das Unternehmensstrafrecht? Eine neue Anti-Korruptionsrichtlinie für die EU kündigt umsatzbezogene Geldbußen an. Aber sie macht auch klar, wie sich Unternehmen vor möglichen Sanktionen schützen…

Kontakt

Francois Heynike, LL.M. (Stellenbosch)

Partner
Leiter Technologierecht

THE SQUAIRE Am Flughafen
60549 Frankfurt am Main

Tel.: +49-69-951195770
fheynike@kpmg-law.com

© 2024 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll