Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 28. Mai 2020 dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Verbraucherschutzverbände befugt sind, Verstöße gegen das Datenschutzrecht unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person im Wege einer Klage zu verfolgen.
Hintergrund
Im Jahr 2013 hatte der Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer Klage auf Unterlassung gegen ein soziales Netzwerk erhoben. Die Beklagte hatte Ihren Nutzern kostenlose Online-Spiele anderer Anbieter zugänglich gemacht. Die Klägerin beanstandet unter anderem, dass die datenschutzrechtlichen Hinweise unter dem entsprechenden „Sofort spielen“-Button aufgrund fehlender Transparenz nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Einholung einer wirksamen datenschutzrechtlichen Einwilligung des Nutzers entsprechen.
Das Landgericht hatte die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auch die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Nun hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Revision über die Zulässigkeit der Klage des Verbraucherschutzverbandes und gegebenenfalls über die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zu entscheiden.
Da es zur Beurteilung der Klagebefugnis von Verbraucherverbänden einer Auslegung von Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung bedarf, wurde das Verfahren ausgesetzt und die Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Rechtliche Einordnung
Die Frage, ob der Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer zu dieser Klage befugt ist, hängt unter anderem von der Auslegung des Art. 80 DSGVO ab, der die Befugnis zur Geltendmachung von Rechten aufgrund von Datenschutzrechtsverstößen regelt. Entscheidend ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die – auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der rechtswissenschaftlichen Literatur – umstrittene Frage, ob Art. 80 DSGVO die Durchsetzung der in dieser Verordnung getroffenen daten-schutzrechtlichen Bestimmungen abschließend regelt.
Sollte diese Regelung abschließend sein, wäre der Verbraucherschutzverband zu dieser Klage nicht befugt, da die erforderlichen Voraussetzungen der Datenschutzgrundverordnung nicht erfüllt sind. Sollten die Bestimmungen weiteren, abweichenden Regelungen nicht entgegenstehen, wäre die Klage auf Unterlassung jedenfalls nach deutschem Recht zulässig.
Fraglich ist somit, ob neben den europarechtlichen Regelungen auch die Bestimmung in deutschen Gesetzen, wie dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und dem Unterlassungsklagengesetz, Anwendung finden. Diese räumen sowohl Verbänden, Einrichtungen und Kammern als auch Mitbewerbern die Befugnis ein, wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verantwortlichen im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.
Der Europäische Gerichtshof hatte zwar bereits mit Urteil vom 29. Juli 2019 entschieden, dass die Regelungen der Datenschutzrichtlinie, die bis zum Inkarafttreten der Datenschutzgrundverordnung am 25. Mai 2018 galt, einer Klagebefugnis von Verbänden nicht entgegenstehen. Ob diese Klagebefugnis auch unter Geltung der nunmehr geltenden Datenschutzgrundverordnung fortbesteht, ließ der Europäische Gerichtshof in dieser Entscheidung offen.
Bewertung
Die Entscheidung in diesem Verfahren hat unter anderem Auswirkungen auf die Frage, ob auch Mitbewerber Verstöße gegen das Datenschutzrecht unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten verfolgen können. Sollte der EuGH die Klagebefugnis bejahen, ist nicht auszuschließen, dass es in der Folge zu der seit Inkrafttreten der DSGVO befürchteten Abmahnwelle kommt. Die Entscheidung hat damit erhebliche Auswirkungen für alle Unternehmen.
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