Amazon ist vorerst nicht verpflichtet, ein Werbeanzeigenverzeichnis mit detaillierten Informationen zu Werbemaßnahmen offenzulegen. Das hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) entschieden. Amazon hatte eine Aussetzung der Vollziehung von Verpflichtungen beantragt, die sich aus der Einstufung als sehr große Online-Plattform nach dem Digital Services Act (Richtlinie 2000/31/EG, auch DSA oder Gesetz über digitale Dienste) durch die EU-Kommission ergeben. Das EuG hat dem Antrag teilweise stattgegeben und die Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Werbeanzeigenverzeichnisses ausgesetzt, bis über die Hauptsacheklage von Amazon entschieden ist.
Nach Ansicht des EuG kann Amazon ansonsten ein schwerwiegender und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen. Kein solcher Schaden droht laut dem EuG aber dadurch, dass Amazon eine Opt-out Möglichkeit für ihre Empfehlungssysteme einzurichten hat.
Der bereits in Kraft getretene und ab Februar 2024 geltende Digital Services Act sieht vor, dass die Europäische Kommission per Beschluss sehr große Online-Plattformen oder sehr große Online-Suchmaschinen benennt. Für diese gelten neben allgemeinen Pflichten aus dem Digital Service Act weitere, besondere Pflichten, wie beispielsweise Pflichten zur Stärkung der Handlungsfähigkeit von Nutzerinnen und Nutzer und ein starker Schutz Minderjähriger. Die Europäische Kommission hat Amazon und 16 weitere Plattformen als sehr große Online-Plattform eingestuft. Gegen die Konsequenzen aus der Einstufung und gegen die Einstufung selbst wehrt sich Amazon und klagt beim Gericht der Europäischen Union. Gleichzeitig hat Amazon eine einstweilige Anordnung auf eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung der Kommission beantragt, über die jetzt entschieden wurde.
Der Antrag auf eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung der EU-Kommission hat Erfolg, aber nur teilweise. Da es Amazon nicht gelungen ist, einen schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Schaden aus der verpflichtenden Verwendung einer Opt-out Möglichkeit für ihre Empfehlungssysteme (Art. 38 des Digital Service Act) nachzuweisen, sieht das Gericht diesen Teil des Antrags nicht als dringlich an und lehnt ihn ab. Hingegen erkennt das EuG an, dass aus der verpflichtenden Verwendung und Offenlegung eines Werbeanzeigenverzeichnisses (Art. 39 des Digital Service Act) ein schwerwiegender und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen kann. Nach Ansicht des EuG wäre die Offenlegung des Werbeanzeigenverzeichnisses unrechtmäßig, wenn das Gericht später zum Schluss kommen sollte, dass eine Verpflichtung aus dem DSA dazu gar nicht besteht. Das Werbeanzeigenverzeichnis enthält strategische und vertrauliche Informationen, die es Wettbewerbern und den Werbepartnern ermöglichen, zum Nachteil von Amazon und ihrer Werbepartner laufend Erkenntnisse über den Markt zu gewinnen. Der dadurch eingetretene Schaden wäre nicht mehr rückgängig zu machen, falls Amazon auch in der Hauptsache obsiegen sollte. Infolgedessen muss Amazon vorläufig kein Werbeanzeigenverzeichnis veröffentlichen.
Die Entscheidung ist ein erster Teilerfolg für Amazon. Das Argument der EU-Kommission, dass die nach Art. 39 des Digital Service Acts zu veröffentlichenden Informationen aufgrund mehrerer Rechtsakte der Europäischen Union ohnehin zu veröffentlichen seien und Amazon daher kein Nachteil entstehe, weist das EuG zurück. Die jetzige Entscheidung des EuG hat allerdings keine Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren. Dessen Ausgang ist vollkommen offen. Nichtdestotrotz ist eine allererste Tendenz erkennbar, wie das EuG die Argumentation von Amazon bewertet.
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