Die Hinterbliebenenabsicherung, der dritte Senat des BAG und das AGG – eine unendliche Geschichte?
Jean-Baptiste Abel
Eigentlich könnte alles so einfach sein: „Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrenten-gesetz“, heißt es im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Damit ist aber nicht gemeint – so erklärt es jedenfalls das Bundesarbeitsgericht –, dass das AGG für Fragen der bAV keine Anwen-dung finde. Vielmehr ist das AGG immer dann anwendbar, wenn im BetrAVG keine Sonderregeln bestehen – eine gesetzestechnische Selbstverständlichkeit. Die Hinterbliebenenversorgung hat sich als Teilgebiet hervorgetan, in dem die höchstgerichtliche Rechtsprechung eine erhebliche Neigung zur Kasuistik entwickelt hat.
Bei der Beurteilung, ob eine Regelung einer Versorgungsordnung diskriminierend ist, bleibt das auf europäischen Vorgaben beruhende AGG zu beachten. Für ein Rechtsgebiet, das einerseits auf Rechtsbeziehungen in außerordentlich langen Zeiträumen angelegt ist – im Verlauf derer die Recht-sprechung Zeit hat, sich zu wandeln – und andererseits durch die Zweigliedrigkeit von Anwart-schafts- und Leistungsphase auf die Festlegung von Altersgrenzen geradezu ausgelegt ist, ist dies eine schwierige Situation. Hinzu kommt das verständliche Interesse von Arbeitgebern, die den Be-schäftigten erteilten Zusagen wirtschaftlich überblicken zu können und vorhersehbar zu halten.
In der Praxis treten Begrenzungen der Hinterbliebenenversorgung vor allem in zwei Konstellationen auf: (1) In Form von Altersabstandsklauseln, die eine Hinterbliebenenversorgung für Ehegatten aus-schließen, die einen bestimmten Altersabstand überschreiten, und (2) von Späteheklauseln, die eine Hinterbliebenenversorgung für den Fall ausschließen, dass die Ehe nach einem bestimmten Zeit-punkt geschlossen wurde.
Altersabstandsklauseln
Das Bundesarbeitsgericht hält Altersabstandsklauseln für unmittelbare Benachteiligungen wegen des Alters gegenüber dem Mitarbeiter selbst, da die Klausel ihn zwinge, seine Hinterbliebenen anderweitig abzusichern. Die Auffassung, dass der Katalog der zulässigen Ungleichbehandlungen von § 10 S. 3 Nr. 4 AGG nur die Alters- und Invaliditätsversorgung, nicht aber die Hinterbliebenenabsicherung umfasse, hat das BAG aufgegeben nach einem EuGH-Urteil, das die Hinterbliebenenversorgung ausdrücklich als Form der Altersrente qualifizierte.
Das BAG scheint insgesamt zu einer wohlwollenderen Beurteilung von Beschränkungen der Hinterbliebenenabsicherung zu tendieren und das Bestreben von Arbeitgebern zu honorieren, das finanzielle Risiko zu begrenzen, das mit einer schrankenlosen Ehegattenversorgung einhergeht: Eine Altersabstandsklausel, die die Versorgung bei einem Altersabstand von mindestens 15 Jahren vollständig entfallen ließ, hat es ebenso gebilligt (Urt. v. 20.02.2018, 3 AZR 43/17) wie eine Regelung, bei der bei einem Altersabstand von zehn Jahren die Versorgung für jedes darüber hinausgehende Jahr um 5% gekürzt wurde.
Es begründet seine Entscheidung maßgeblich mit den Daten des statistischen Bundesamtes, wo-nach bei 80 % der Ehepaare der Altersabstand geringer sei als sieben Jahre und nur 5,9 % aller Ehepaare einen Altersabstand von elf und mehr Jahren aufwiesen. Das BAG stellt also auf die Abweichung von einem wahrgenommenen Normalfall ab. Bei einem hohen Altersunterscheid sei von vornherein abzusehen, dass ein Ehepartner den anderen lange überleben werde und längere Zeit ohne dessen Einkommen leben müsse.
Das BAG hebt in seiner Entscheidung (Urt. v. 11.12.2018, 3 AZR 400/17) zudem hervor, dass es der Abstufung der Kürzung, die erst bei einem Altersabstand von mehr als 30 Jahren zu einem vollstän-digen Leistungsausschluss führt, besondere Bedeutung beimisst. Eine Abstandsklausel, die die Versorgung bei 10 Jahren kappt, könnte das Gericht also anders bewerten. Beachtenswert ist zu-dem, dass das BAG den Einwand der Witwe, die Regelung diskriminiere sie nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch wegen ihres Geschlechts, nur aus formalen Gründen keine Beachtung ge-schenkt hat.
Späteheklauseln
Hinsichtlich der Späteheklauseln hat das BAG im Jahr 2015 eine Klausel verworfen, die eine Hinterbliebenenabsicherung ausschloss, wenn die Ehe nach dem 60. Lebensjahr des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers geschlossen worden war (Urt. v. 04.08.2015, 3 AZR 137/13). Später hat das BAG eine Klausel für wirksam gehalten, das die Eheschließung vor dem 65. Lebensjahr als Voraussetzung für die Zahlung einer Hinterbliebenenrente vorsah (Urt. v. 14.11.2017 – 3 AZR 781/16). Da-bei spielte auch eine Rolle, dass das Alter 65 als betriebsrentenrechtliche Zäsur verstanden wurde. Nach Erreichen der festen Altersgrenze nach der Versorgungsordnung sei der Arbeitgeber berechtigt, die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers in der Zeit danach unberücksichtigt zu lassen.
Das Urteil in der Rechtssache Parris vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 24.11.2016, C-443/15) hat schließlich die Frage aufgeworfen, ob das Zusammenspiel von Altersdiskriminierung und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu einer sogenannten mehrdimensionalen Diskriminierung führen kann, wenn eine Späteheklausel auf Arbeitnehmer trifft, die ihren Partner gar nicht früher hätten heiraten dürfen, weil ihnen die Ehe vorher verschlossen war. Der EuGH hat diese Frage sehr knapp verneint, das letzte Wort dürfte in diesen Fragen aber – wie in allen antidiskriminierungsrechtlichen Fragen rund um die betriebliche Altersversorgung – nicht gesprochen worden sein.
Fazit: Bei Begrenzungsklauseln von Hinterbliebenenversorgung besteht also weiterhin erhebliche Unsicherheit. Das BAG geht aber in den letzten Entscheidungen dazu über, das berechtigte Interes-se an überschaubaren finanziellen Verpflichtungen der Arbeitgeber anzuerkennen. Ob sich diese Tendenz bestätigt und ob sie zu verlässlicheren Verhältnissen führt, wird die Zukunft zeigen müssen. Dass Arbeitgeber in Zukunft gar keine Hinterbliebenenleistungen mehr zusagen werden, kann jeden-falls nicht das Ziel des BAG sein.
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