Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) dient dem Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Allerdings nur, wenn die Bescheinigung bestimmten Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie entspricht. Ist das nicht der Fall, kann ihr Beweiswert erschüttert sein. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 28. Juni 2023 (5 AZR 335/22) entschieden.
Hin und wieder haben Arbeitgeber Zweifel an einer behaupteten Arbeitsunfähigkeit. So auch in einem Fall, über den das BAG entscheiden musste. Der Arbeitnehmer hatte sich nach Erhalt einer Kündigung bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses krankgemeldet.
Das BAG urteilte: Mit der Vorlage einer AU-Bescheinigung kommen Arbeitnehmer:innen zunächst ihrer Beweispflicht im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit nach. Möchte der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit bestreiten, muss er tatsächliche Umstände darlegen und beweisen, die Zweifel an der Erkrankung aufkommen lassen. Solche Zweifel können sich auch aus der Bescheinigung selbst ergeben. Verstößt die Bescheinigung gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (AU-Richtlinie), kann dies nach dem BAG-Urteil den Beweiswert erschüttern. Allerdings müsse differenziert werden: Verstöße gegen formale Vorgaben, die in erster Linie kassenrechtliche Bedeutung hätten, seien für den Beweiswert unbeachtlich. Verletze die
AU-Bescheinigung jedoch Regelungen, die sich auf medizinische Erkenntnisse zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beziehen, könne dies den Beweiswert der Bescheinigung in Frage stellen.
Anforderungen an die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind in § 4 und § 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie geregelt. Hierzu gehören unter anderem:
Ist der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert, muss der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auf anderem Wege darlegen und beweisen, dass er bzw. sie in dem maßgeblichen Zeitraum arbeitsunfähig war, zum Beispiel durch Zeugnis des behandelnden Arztes. Ansonsten besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Entscheidet sich der Arbeitgeber aufgrund seiner Zweifel, keine Entgeltfortzahlung zu leisten, sollte er neben dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin unverzüglich auch die Krankenkasse in Kenntnis setzen und über die konkreten Bedenken informieren. Denn für Zeiträume, für die der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigert, können Arbeitnehmer:innen bis zur Klärung des Anspruchs ggf. Krankengeld verlangen. Sollte sich allerdings herausstellen, dass die Verweigerung der Entgeltfortzahlung unberechtigt war, kann die Krankenkasse den Arbeitgeber in Regress nehmen.
Zweifelt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit an, kann er auch eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst fordern, § 275 SGB V. Nach § 275 Abs. 1a anerkannte Gründe für Zweifel sind:
Die genannten Fälle sind aber nur Regelbeispiele. Eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst kommt auch in anderen Fällen in Betracht, in denen Zweifel an der Richtigkeit einer AU-Bescheinigung bestehen, zum Beispiel:
Die Entscheidung des BAG konkretisiert die rechtlichen Anforderungen an die AU-Bescheinigung. Entspricht die Bescheinigung nicht den medizinisch relevanten Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, kann das ihren Beweiswert erschüttern. Arbeitgeber haben damit eine weitere Handhabe, zweifelhafte AU-Bescheinigungen anzugreifen und können in begründeten Fällen die Entgeltfortzahlung verweigern bzw. andere Nachweise der Arbeitsunfähigkeit verlangen.
Partner
THE SQUAIRE Am Flughafen
60549 Frankfurt am Main
tel: 49 69 951195565
mtrayer@kpmg-law.com
Senior Manager
THE SQUAIRE Am Flughafen
60549 Frankfurt am Main
tel: +49 69 951195 922
nmatthaei@kpmg-law.com
© 2024 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.
KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.