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26.10.2018 | KPMG Law Insights

Vergaberecht: Besondere Dringlichkeit braucht einen Grund

Liebe Leserinnen und Leser,

da die politische Bildungs-, Forschungs- und Förderlandschaft im letzten Quartal dieses Jahres ebenfalls äußerst aktiv geworden ist, lebt dieser Newsletter zudem von Berichten rund um die Bereiche Bildung und Forschung. Entnehmen Sie unseren Beiträgen Neuigkeiten aus der Hochschulpolitik, den Neuerungen im Förderbereich sowie den Ergebnissen einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragten Studie zur Studiensituation und studentischen Orientierung.

Wir hatten den Eindruck, dass die vergaberechtlich Interessierten unter Ihnen bislang etwas zu kurz gekommen sind. Daher steht im Fokus dieses Newsletters das Vergaberecht mit neuen, für Hochschulen und Forschungseinrichtungen wichtigen und spannenden Entscheidungen aus der Rechtsprechung.

Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn Sie uns ein Feedback zu den bisher von uns behandelten Bereichen geben – reichen diese für Sie im Rahmen Ihrer täglichen Arbeit aus? Gibt es möglicherweise noch Themen, die Sie gern ebenfalls diskutiert hätten? Zögern Sie nicht und rufen Sie uns gern dazu an oder schreiben Sie eine kurze Rückmeldung per Mail.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!

Herzlichst Ihr

Public Sector-Team der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Mathias Oberndörfer                   Dr. Anke Empting

Rechtsanwalt                              Rechtsanwältin

In seinem Beschluss vom 24. September 2014 stellt das OLG Celle klar, dass ein fehlender dringender Grund für die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nicht bereits deshalb erkennbar ist, weil die Dringlichkeit vom öffentlichen Auftraggeber nicht näher begründet wurde.

Die Vergabestelle schrieb neue Hauptmaschinen für ein Polizeiküstenboot im „beschleunigten Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ aus. Anschließend versandte sie die Vergabeunterlagen an drei ausgewählte Bieter, unter anderem an die Antragstellerin und die Beigeladene. Den Vergabeunterlagen war zu entnehmen, dass die Informationspflicht „aufgrund der besonderen Dringlichkeit“ entfallen sollte. Eine darüber hinausgehende ausdrückliche Begründung für die gewählte Verfahrensart enthielten die Vergabeunterlagen nicht.

Die Antragstellerin erfuhr über die öffentliche Bekanntmachung, dass der Beigeladenen der Zuschlag erteilt wurde. Daraufhin beanstandete die Antragstellerin die Erteilung des Zuschlags und rügte die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sowie den Verzicht auf eine Vorabinformation der Bieter. Der öffentliche Auftraggeber wies die Rügen zurück. Nach erfolgloser Einleitung des Nachprüfungsverfahrens legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein, mit dem Antrag, die Unwirksamkeit des Zuschlags festzustellen und dem Auftragsgegner und Auftraggeber die erneute Durchführung des Vergabeverfahrens aufzugeben.

Fehlende Dringlichkeit war nicht erkennbar

Mit Erfolg! Die Antragstellerin sei – entgegen der Auffassung der Vergabekammer – mit ihren Rügen der falschen Verfahrenswahl und der fehlenden Vorabinformation nicht präkludiert. So habe die Antragstellerin nach den Vergabeunterlagen nicht erkennen können, dass die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb fehlerhafte erfolgte. Vielmehr sei den Unterlagen lediglich zu entnehmen gewesen, dass der Auftraggeber nach Prüfung die Voraussetzungen für eine besondere Dringlichkeit angenommen habe. Allein der Umstand, dass die Vergabeunterlagen keine konkrete Begründung für die Dringlichkeit enthielte, würde nicht zu einer Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes führen.

Überdies seien die Bieter eines Vergabeverfahrens nicht verpflichtet, die konkreten Gründe für die getroffene Verfahrenswahl beim Auftraggeber zu hinterfragen oder eine Verdachtsrüge zu erheben.

 Trotz des Vorrangs des offenen Verfahrens ist in der Praxis immer wieder zu beobachten, dass öffentliche Auftraggeber ohne nähere Rechtsprüfung auf das Verhandlungsverfahren zurückgreifen. Die Entscheidung des OLG Celle zeigt jedoch, dass ein solch voreiliger Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden ist. Öffentlichen Auftraggebern ist daher dringend anzuraten, bei der Wahl der Verfahrensart größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen. So sind insbesondere die Voraussetzungen einer Dringlichkeit zur Begründung eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung nur in ganz seltenen Ausnahmefällen erfüllt.

 

„Aufgreifschwelle“ liegt bei 20 Prozent Preisabstand

Das OLG München hat in seinem Beschluss vom 25. September 2014 festgelegt, dass die sogenannte Aufgreifschwelle, ab deren Erreichen ein Auftraggeber einem möglichen Missverhältnis zwischen angebotener Leistung und Angebotspreis nachgehen muss, bei 20 Prozent Preisabstand zwischen dem günstigsten und dem nächstplatzierten Angebot liegen muss.

Dabei ging es um eine Ausschreibung eines Dienstleistungsvertrags zur Reinigung eines Gebäudes. Von den Bietern angegeben werden sollte ein Preis für Reinigungsleistungen als Stundenverrechnungssatz. Anhand eines vordefinierten Schemas sollte die Kalkulation dargelegt werden, wobei die Bieter – nach Einführung der Tariftreue- und Vergabegesetze der Länder nun ja auch durchaus gängig – die Einhaltung der Mindesttariflöhne berücksichtigen mussten.

Kurzerhand schloss der Auftraggeber den bisherigen Auftragnehmer vom Vergabeverfahren aus, was Letzterem nicht passte. Infolgedessen zog der bisherige Auftragnehmer zur Vergabekammer und leitete ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Entscheidung der Instanzen

Sowohl die Vergabekammer als auch das OLG München gaben dem bisherigen Auftragnehmer recht, sein Angebot durfte nicht ausgeschlossen werden.

Denn es hätte – um den Ausschluss zu rechtfertigen – ein Missverhältnis angebotener Leistung und Angebotspreis festgestellt werden müssen. Um diese Feststellung treffen zu können, bedürfe es des Erreichens der sogenannten Aufgreifschwelle in Höhe von 20 Prozent Preisabstand zwischen günstigstem und nächstplatziertem Angebot. Diese Schwelle sei hier aber nicht erreicht worden. Hinzu kam, dass das hier im Streit stehende Angebot hinsichtlich seines Preises nur ca. 9 Prozent unterhalb des Durchschnitts gelegen hat. Auch dies spreche gegen ein Missverhältnis, welches zum Ausschluss hätte führen können.

Aline Heurley, KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf

T 0211 4155597-160; aheurley@kpmg-law.com

Dr. Anke Empting, KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf

T 0211 4155597-161; aempting@kpmg-law.com

Julia Paul, KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf

T 0211 4155597-163; juliapaul@kpmg-law.com

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Mitglied des Vorstands Service Tax - KPMG AG Wirt­schafts­prüfungs­gesell­schaft

Theodor-Heuss-Straße 5
70174 Stuttgart

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