Die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 betrafen viele Immobiliensegmente schwer. Viele Mieter und Pächter verzeichneten aufgrund der häufig eingeschränkten Öffnungsmöglichkeiten erhebliche Umsatzeinbußen. Einen Überblick über die Rechtsprechungslage und insbesondere über die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB (Wegfall und Störung der Geschäftsgrundlage) hatten wir bereits in unserer Mandanteninformation vom März 2021 gegeben. Zwischenzeitlich wurden mehrere Rechtsprechungsentscheidungen veröffentlicht, die sich mit den Auswirkungen der Maßnahmen zur Begrenzung der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf Miet- und Pachtverhältnisse auseinandersetzen und die in mehreren Fällen die Position des Mieters oder Pächters in Verhandlungen mit dem Vermieter bzw. Verpächter stärken dürften. In unserem folgenden Beitrag möchten wir zwei dieser Entscheidungen näher darstellen.
Staatliche Schließungsanordnung als Störung der Geschäftsgrundlage
Das OLG Dresden hatte in seinem Urteil vom 24. Februar 2021 – 5 U 1782/20 über einen Sachverhalt zu entscheiden, in welchem der Mieter für die von ihm angemieteten Flächen zum Betrieb eines Textileinzelhandels für den Monat April 2020 die Miete nicht gezahlt hatte. Der Mieter begründete dies damit, dass er in dem Zeitraum vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 seine Ladenflächen Corona-bedingt nicht zum Verkauf öffnen durfte. Der Mieter berief sich darauf, dass ein Mangel des Mietgegenstandes vorliege; hilfsweise berief er sich auf Unmöglichkeit im Hinblick auf die Gebrauchsüberlassung und höchsthilfsweise auf eine Vertragsanpassung hinsichtlich der Reduzierung der Miete wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Vorinstanz, das Landgericht Chemnitz, hatte dem Mieter zur vollständigen Zahlung der Miete verurteilt.
Das OLG Dresden hat dagegen entschieden, dass der Mieter, der von dem behördlich angeordneten Corona-Lockdown betroffen war, wegen Störung der Geschäftsgrundlage nur eine nach § 313 BGB angepasste Miete zahlen muss. Das OLG hat dabei eine reduzierte Kaltmiete in Höhe von 50 % für diejenigen Zeiträume als angemessen erachtet, in denen aufgrund der Allgemeinverfügungen, die wegen der Corona-Krise ergingen, eine Schließung des betroffenen Geschäfts angeordnet war.
Zunächst stellt das OLG Dresden fest, dass der Mieter dem Anspruch des Vermieters auf Zahlung der Miete nicht entgegen halten könne, dass, infolge der staatlichen Schließungsanordnung die Gebrauchsüberlassung durch den Vermieter unmöglich geworden, und daher die Verpflichtung des Mieters zur Zahlung der Miete gemäß §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB entfallen sei. Auch sieht das OLG Dresden die staatliche Schließanordnung nicht als einen Mangel an dem Mietobjekt an, der den Mieter zu einer Mietminderung nach § 536 Abs. 1 BGB berechtigen würde.
Aus Sicht des OLGs kommt es für die Entscheidung im vorliegenden Fall letztlich nicht darauf an, ob das Risiko der staatlichen Schließungsanordnung durch den Mietvertrag dem Vermieter oder dem Mieter zugewiesen wurde. Die bei der vertraglichen Risikoabgrenzung allein betrachtete staatliche Schließungsanordnung sei nicht gleichbedeutend mit der in einem Pandemiegeschehen mit weitreichenden Kontakteinschränkungen eingebetteten Änderung der zur Geschäftsgrundlage gehörenden Umstände. Es gehe also nicht um ein „normales“ Risiko der Gebrauchstauglichkeit bzw. der Verwendung des Mietobjektes, sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie, die als Systemkrise eine Störung der großen Geschäftsgrundlage sei. Das mit dem Eingreifen einer Störung der großen Geschäftsgrundlage verbundene Risiko werde von der vertraglichen Risikozuweisung regelmäßig nicht erfasst, sondern sei keiner Vertragspartei zugewiesen.
Die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB waren nach Ansicht des OLG Dresden erfüllt. Zur Erfüllung des normativen Tatbestandselements von § 313 Abs. 1 BGB kommt es nach Auffassung des Senats nicht auf die Frage an, inwieweit die wirtschaftliche Existenz der belasteten Partei betroffen ist. Zu der Entscheidung der Vorinstanz führte das OLG insoweit aus, dass das LG nicht hinreichend beachtet haben dürfte, dass es hier um eine Äquivalenzstörung in einem gegenseitigen Vertrag gehe, der zudem ein Dauerschuldverhältnis sei. Die notwendige Unzumutbarkeit bezieht sich damit (nur) auf das Verhältnis von Überlassung des Mietobjekts einerseits und Zahlung der Miete als Nutzungsentgelt andererseits, wobei die Miete für die Nutzungsüberlassung in Zeitabschnitten geschuldet ist und der Zeitabschnitt bei den meisten Mietverhältnissen einen Monat beträgt. Nach der hieraus vorzunehmenden monatlichen Betrachtung sei eine Reduzierung der Kaltmiete um 50 % als Anpassung angemessen, weil keine der Vertragsparteien eine Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt oder diese vorhergesehen habe. Es sei demzufolge angemessen, die damit verbundene Belastung gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen. Ob staatliche Hilfszahlungen bei der Anpassung der (Kalt-)Miete zu berücksichtigen seien, ließ der Senat offen.
Gegen das Urteil des OLG Dresden wurde die Revision zugelassen.
Andere Entscheidungen
Viele Mieter oder Pächter mögen sich nun auf Grundlage des Urteils des OLG Dresden in einer guten Verhandlungsposition sehen und an ihre Vermieter bzw. Verpächter herantreten, um eine entsprechende Anpassung der Miete oder Pacht zu verlangen, wenn Ihnen gegenüber eine Schließung des jeweiligen Geschäftsbetriebes für die Dauer von einem Monat oder länger angeordnet wurde. Dies wohl auch, da das KG Berlin in seinem Urteil vom 1. April 2021 – 8 U 1099/20 ebenfalls zu dem Ergebnis einer Anpassung der Miete um 50 % gekommen ist. Allerdings dürfte erst eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs endgültige Rechtssicherheit bringen. Mehrere andere Gerichte, so zuletzt das OLG Karlsruhe mit Urteil vom 24. Februar 2021 – 7 U 109/20 haben betont, dass die Annahme der Unzumutbarkeit im Sinne von § 313 GB nur in existenzvernichtenden Ausnahmefällen, ggf. bereits bei einer schweren Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens in Betracht komme und eine eher schematische hälftige Reduzierung der Miet- bzw. Pachtlast abgelehnt.
Nach unserer Einschätzung muss bei der Entscheidung, ob es einem Mieter oder Pächter im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB unzumutbar ist, an dem bestehenden Vertrag festzuhalten, eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden. Zwar ist weder der Vermieter oder Verpächter noch der Mieter oder Pächter verantwortlich für die Pandemie bzw. deren Auswirkungen. Jedoch sollte eine Vertragsanpassung nur dann stattfinden, wenn sich eine der Parteien tatsächlich in einer wirtschaftlich schwierigen Lage befindet. Sollte der Mieter oder Pächter beispielsweise die eingeschränkten Öffnungsmöglichkeiten durch staatliche Corona-Fixkostenhilfen kompensieren können, besteht keine Rechtfertigung für eine Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB, der erkennbar die Zielsetzung hat, in ganz außergewöhnlichen, unvorhergesehenen Situationen Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, und gerade nicht nur eine Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung zur Tatbestandsvoraussetzung hat.
Mithin dürfte mit Spannung zu erwarten sein, wie sich der Bundesgerichtshof in dieser Angelegenheit äußern wird. Wer als Miet- oder Pachtvertragspartei hierauf nicht warten möchte oder kann, sollte mit seinem Vertragspartner dringend eine einvernehmliche Lösung anstreben.
Kündigungsrecht trotz Vereinbarung einer festen Vertragslaufzeit
In einem weiteren Fall hatte das Landgericht Kaiserslautern darüber zu entscheiden, ob die Kündigung eines Pächters aufgrund der COVID-19-Pandemie wirksam war oder ob der Verpächter gegen ihn einen Anspruch auf Zahlung der Pacht hatte. Der Pachtvertrag war über eine Gaststätte geschlossen. Der Verpächter wehrte sich gegen die vom Pächter erklärte Kündigung und trug vor, dass ein Pachtmangel, der zur Kündigung oder zur Vertragsanpassung berechtigen würde, nicht vorliege, da unter anderem der Pächter die Möglichkeit zum Straßenverkauf oder zur Beantragung von staatlichen Corona-Hilfen gehabt habe.
Das LG Kaiserslautern hat hierzu entschieden, dass der Verpächter keinen Anspruch auf Pachtzahlung hat, da der Pächter das Pachtverhältnis wirksam nach §§ 581 Abs. 2, 543 Abs. 2 S.1 Nr. 1 und Abs. 3 BGB kündigen konnte.
Ein wichtiger Kündigungsgrund liegt nach Auffassung des Gerichts vor, wenn dem Kündigendem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Pachtverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Pachtverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Beispiele für wichtige Gründe sind in § 543 Abs. 2 BGB aufgezählt, bei deren Vorliegen die Interessensabwägung allerdings entfalle. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn dem Pächter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird. Maßstab dafür sei allein der dem Pächter auf Grund des Pachtvertrags und der Verkehrsanschauung zustehende Gebrauch. Jedes Zurückbleiben der Leistung des Vermieters hinter diesen Standard rechtfertige eine Kündigung. Ein Verschulden des Verpächters sei nicht erforderlich. Ebenso wenig komme es auf die Behebbarkeit des Mangels an. Die Anwendbarkeit des § 543 Abs.2 Nr. 1 BGB zu Gunsten des Pächters sei nämlich allein schon durch die Verletzung der dem Verpächter obliegenden Pflicht gerechtfertigt, wenn dem Pächter die vertragsgemäß geschuldete Pachtsache nicht überlassen werde.
Außer reinen Beschaffenheitsfehlern des Pachtgegenstandes können auch behördliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen einen Mangel begründen, führte das LG Kaiserslautern weiter aus. Ein Mangel liege aber nur dann vor, wenn der Pächter durch die öffentlich-rechtliche Beschränkung in seinem vertragsgemäßen Gebrauch auch tatsächlich eingeschränkt werde. Diese Voraussetzung sei regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die zuständige Behörde die Nutzung des Pachtgegenstandes durch ein rechtswirksames und unanfechtbares Verbot bereits untersagt habe. Auch könne ein möglicher Sachmangel im Einzelfall darin gesehen werden, dass eine langwährende Unsicherheit über die Zulässigkeit behördlichen Nutzungsuntersagung die begründete Besorgnis bewirkt, den Pachtgegenstand nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch nutzen zu können.
Trotz der Möglichkeit von Abhol-, Liefer- und Bringdiensten sowie eines Straßenverkaufs sah das LG Kaiserslautern die Tauglichkeit des Pachtgegenstandes zum vertragsgemäßen Gebrauch jedenfalls teilweise als aufgehoben an. Dies gelte auch unabhängig von der Möglichkeit, etwaige staatliche Corona-Hilfen in Anspruch zu nehmen, da diese nicht die Einschränkungen des vertragsgemäßen Gebrauchs des Pachtgegenstandes beseitigen würden, sondern allenfalls eine finanzielle Kompensation darstellten.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Entziehung des vertragsgemäßen Gebrauchs?
In Bezug auf die Entscheidung des LG Kaiserslautern ist ebenfalls abzuwarten, ob das Urteil in der nächsten Instanz Bestand haben wird. Durch die vom LG Kaiserlautern bestätigte Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung würde allein dem Verpächter das Risiko der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und von staatlichen Betriebsuntersagungen übertragen, obgleich kein Zweifel am Willen der Verpächter bestehen dürfte, den Pachtgegenstand ohne Einschränkungen zu überlassen und ihre Partner in deren wirtschaftlichem Handeln zu unterstützen.
Ausblick
Die beiden hier näher besprochenen Urteile des OLGs Dresden und des LGs Kaiserslautern dürften Mietern und Pächtern Rückenwind in ihrer Verhandlungsposition mit ihren Vermietern bzw. Verpächtern geben. Die Androhung einer außerordentlichen Kündigung mag schwer wiegen, wenn nicht offensichtlich ist, dass eine Vertragsbeendigung für den Mieter oder Pächter gar nicht in Betracht kommt. Aus unserer Sicht dürfte es nun für Vermieter und Verpächter immer schwieriger werden, die Aufnahme von Verhandlungen über eine Miet- oder Pachtanpassung rundweg abzulehnen, wie es zum Teil noch geschieht. Wie immer gilt es jedoch, den Einzelfall zu betrachten: Konnte der Mieter oder Pächter beispielsweise Umsätze durch teilweise Öffnungsmöglichkeiten oder aus einem Onlinehandel erzielen oder hätte der Mieter oder Pächter dies zumindest tun können, hat es aber unterlassen, sollte er mit einer verlangten Miet- oder Pachtanpassung in Höhe von 50 % nach unserer Einschätzung kaum durchdringen können. Das gleiche gilt im Falle erhaltener staatlicher Hilfen zur zumindest teilweisen Deckung von Fixkosten. Bevor nicht eine höchstrichterliche, jedenfalls rechtskräftige Entscheidung zur Kündigungsberechtigung vorliegt, kann die Vertragsbeendigung nicht als eine sichere Handlungsoption für Mieter oder Pächter in Betracht gezogen werden.
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