Suche
Contact
09.08.2019 | KPMG Law Insights

Der EuGH und die Arbeitszeit

Der EuGH und die Arbeitszeit

Im Mai hat der EuGH entschieden, dass die gesamte Arbeitszeit von Angestellten erfasst werden muss, nicht nur die Überstunden. Verantwortlich dafür ist der Arbeitgeber. Er muss die nötigen Voraussetzungen für die Zeiterfassung schaffen und zumindest stichprobenartig überprüfen, dass diese auch genutzt werden.

Das Problem liegt in der Bandbreite des Begriffs „Arbeitszeit“. Die Aufgaben, Einsatzzeiten und nicht zuletzt auch das Selbstverständnis der Arbeitnehmer unterscheiden sich grundlegend etwa zwischen Steuerberaterinnen und Kindergärtnern oder zwischen Chirurgen und Architektinnen. Während ein Arbeitnehmer es vielleicht wichtig findet, möglichst pünktlich den Heimweg anzutreten, sieht ein anderer in Überstunden grundsätzlich kein Problem, jedenfalls solange sie sich in einem überschaubaren Umfang bewegen.

Im Kern geht es um die Unterscheidung zwischen einer Bezahlung nach der bei der Arbeit verbrachten Zeit und einer Bezahlung nach den erzielten Arbeitsergebnissen. Eine Bedienung im Biergarten wird am Ende ihrer Schicht nach Hause gehen wollen, auch wenn noch Bestellungen offen stehen und neue Gäste gerade erst ankommen. Dagegen wird eine Chirurgin im Krankenhaus sicherlich nicht das Skalpell weglegen, solange die Operation nicht abgeschlossen ist.

Deshalb wird das Urteil der Lebenssituation und den Wünschen vieler Arbeitnehmer nicht gerecht. Es verhindert oder erschwert zumindest flexible Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltungen, wie etwa die Vertrauensarbeit oder die Arbeit im Home Office. Dazu kommt eine datenschutzrechtliche Komponente: Die vorgeschriebene Arbeitszeiterfassung erleichtert die Überwachung des Arbeitnehmers.

Was Unternehmen tun können

Der EuGH nimmt mit seiner Entscheidung nicht die Unternehmen in den Mitgliedsstaaten in die Pflicht, sondern die Staaten selbst. Sie müssen die Vorgaben nun in nationales Recht umsetzen.

Eine unmittelbare Wirkung des Urteils wird zwar diskutiert – dann müssten Arbeitgeber ein entsprechendes System zur Erfassung der Arbeitszeiten unmittelbar einführen –, doch sprechen die besseren Argumente gegen eine solche unmittelbare Wirkung, denn dann hätten die Mitgliedsstaaten keinen Spielraum mehr bei der Umsetzung des Urteils.

Eine Klagewelle gegen deutsche Arbeitgeber ist damit erst einmal nicht zu befürchten. Die deutschen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung, insbesondere zur Darlegungs- und Beweislast, haben bis auf Weiteres Bestand. Unternehmen sollten die Entwicklung im Auge behalten – zu schnellen Reaktionen besteht aber vorerst kein Anlass.

Was der Staat tun kann

Das Urteil wird trotzdem nicht folgenlos bleiben, denn es fordert die Mitgliedsstaaten zum Handeln auf, auch Deutschland. Dabei sollte das Augenmerk darauf liegen, soviel Flexibilität wie möglich zu gewährleisten, im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen.

Ansatzpunkte dafür gibt es durchaus: Die EU-Richtlinie 2003/88, die der EuGH seinem Urteil zugrunde gelegt hat, erlaubt zum Beispiel Ausnahmen, wenn die Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt werden kann. Bei vielen heutigen Berufen dürfte das der Fall sein, wie schon die wenigen Beispiele weiter oben exemplarisch zeigen. Eine weitere Ausnahme erlaubt die Richtlinie, wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst festlegen – sprich, im Fall von Vertrauensarbeitszeit. Auch bei der Definition von Arbeitszeit können sich Spielräume ergeben. Der Aufenthaltsort, also zu Hause oder an der Arbeitsstelle, wird als einziges Kriterium einem modernen Verständnis von Arbeitszeit nicht mehr gerecht.

Die EU-Kommission wird sich sicherlich in absehbarer Zeit mit der Arbeitszeitrichtlinie befassen und diese anpassen – das galt ohnehin schon, doch umso mehr nach der EuGH-Entscheidung. In diesem Rahmen könnte Deutschland so wie jedes Mitgliedsland seinen Einfluss geltend machen und auf eine flexiblere Regelung hinwirken.

Explore #more

31.07.2025 | In den Medien

KPMG Law Experte im Handelsblatt: Neue EU-Verordnung betrifft 370.000 Firmen

Zum Jahresende verbietet die EU Erzeugnisse, die mit der Zerstörung von Wäldern in Verbindung stehen. Die Hoffnung vieler Importeure, die darauf gesetzt hatten, dass die…

29.07.2025 | KPMG Law Insights

Die Spar- und Investitionsunion (SIU) – das sind die Pläne der EU

In der EU fehlt an vielen Stellen Geld, unter anderem für die Infrastruktur, den Ausbau der Digitalisierung und die Verteidigung. Gleichzeitig verfügen Europäer über hohe…

28.07.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law berät den Gesellschafter der Schubert Touristik GmbH bei der Verhandlung und Umsetzung einer strategischen Partnerschaft mit dem österreichischen Private Equity Unternehmen AG Capital

Die Schubert-Gruppe mit Hauptsitz in Aschersleben ist spezialisiert auf organisierte und begleitete Bus-, Flug- und Kreuzfahrtreisen weltweit, speziell zugeschnitten auf Senioren ab 60 Jahren. Mit…

25.07.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law berät BETOMAX, ein Unternehmen der INDUS Holding AG, beim Erwerb der TRIGOSYS GmbH

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) hat die BETOMAX systems GmbH & Co. KG, ein Unternehmen der INDUS Holding AG, beim Erwerb aller Anteile…

24.07.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law und KPMG beraten die Q.ANT GmbH bei einer Series-A-Finanzierungsrunde über 62 Millionen Euro

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft (KPMG Law) und KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) haben mit einem service-übergreifenden Team die Q.ANT GmbH bei einer Series-A-Finanzierungsrunde mit einem Volumen…

23.07.2025 | KPMG Law Insights

Steuerhinterziehung durch Influencer:innen: Warum jetzt die Selbstanzeige helfen kann

Weitere Autor:innen und Ansprechpartner: innen: Dr. Anne Schäfer, Marco Strootmann, Anastasia Podolak Die Finanzverwaltung nimmt das Influencer-Marketing ins Visier. Aktuell ermitteln Behörden…

22.07.2025 | KPMG Law Insights

Gesetz zur Umsetzung der RED III beschleunigt Genehmigungsverfahren für den Windenergieausbau

Das Gesetz zur Umsetzung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie kann zeitnah in Kraft treten, nachdem der Bundestag dem Entwurf am 10. Juli und der Bundesrat am 11. Juli…

22.07.2025 | KPMG Law Insights

BGH: Baukostenzuschüsse bei Batteriespeichern weiterhin zulässig

Elektrizitätsverteilernetzbetreiber dürfen bei Netzanschlüssen von Batteriespeichern Baukostenzuschüsse erheben. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 15. Juli 2025 entschieden (Az EnVR 1/24). Die Höhe der…

21.07.2025 | In den Medien

FAZ Beitrag zum Thema Steuerhinterziehung von Influencern mit KPMG Law Statement

Nordrhein-Westfalen greift hart durch gegen Influencer, die mutmaßlich Steuern hinterziehen.  Auch Unternehmen, die Influencer beauftragen, stehen in der Pflicht. In einem Beitrag auf FAZ.net ordnen…

18.07.2025 | In den Medien

KPMG Law Statement im Handelsblatt: Hürden für internationale Fachkräfte

Deutschland hat einiges getan, um die Zuwanderung von Fachkräften zu erleichtern, zuletzt mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus dem Jahr 2023. Bei der Vergabe der sogenannten…

Kontakt

Dr. Stefan Middendorf

Partner

Tersteegenstraße 19-23
40474 Düsseldorf

Tel.: +49 211 4155597316
smiddendorf@kpmg-law.com

© 2025 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll