Der folgende Text ist ein Beitrag aus unserem Newsletter Querschnitt Wissenschaft.
Was nach deutschem Umsatzsteuerrecht eine wirtschaftliche Tätigkeit bzw. eine Unternehmenseigenschaft ist, muss dies nicht auch nach Beihilferecht (und andersherum) sein. In der Praxis kann beispielsweise die beihilferechtliche Einordnung von Tätigkeiten eines Unternehmens als „nichtwirtschaftlich“ zu der Schlussfolgerung einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit im umsatzsteuerrechtlichen Sinne und damit insbesondere zu einer Verneinung des steuerrechtlichen Unternehmensbegriffs führen. Die ebenfalls selbständig auszulegenden Begriffe des Unternehmens im ertragsteuerlichen Sinne, sind nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, warum eine Übertragung der Begriffe auf die jeweiligen Rechtsgebiete trotz Überschneidungspunkten vermieden werden sollte. Denn die Auslegung des Begriffs des Unternehmens erfolgt autonom. Bei der Bestimmung der Unternehmenseigenschaft ist das Steuerrecht strikt von dem Beihilferecht zu trennen.
Ausgangspunkt ist das grundsätzliche Beihilfeverbot aus Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Hiernach sind, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt,
„staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigen.“
Das Beihilfeverbot greift damit nur bei Vorliegen eines „Unternehmens“ ein. Um ein Unternehmen als solches handelt es sich nach dem Beihilferecht dann, wenn das Unternehmen einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachgeht. Werden sowohl wirtschaftliche als auch nichtwirtschaftliche Tätigkeiten verübt, können die Rechtsfolgen des EU-Beihilfeverbots gemäß Ziffer 2.1.1. Rn. 19 des Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation vom 28.10.2022 (2022/C 414/01) (im Folgenden FuE-Rahmen) vermieden werden, indem „die nichtwirtschaftlichen und die wirtschaftlichen Tätigkeiten und ihre Kosten, Finanzierung und Erlöse klar voneinander getrennt werden […], so dass keine Gefahr der Quersubventionierung der wirtschaftlichen Tätigkeit besteht“ (sogenannte Trennungsrechnung).
Die „raison d’être“ des beihilferechtlichen Verbotes besteht darin, Subventionswettläufe zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern.[1]
Sein Zweck ist es demgegenüber nicht, das mitgliedstaatliche Geldausgabeverhalten zu kontrollieren.[2]
Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale ist immer im Lichte dieser Zwecksetzung auszulegen und daher nicht mithilfe von Begriffsdefinitionen aus anderen Rechtsgebieten möglich. Umgekehrt lassen sich im Lichte des EU-Beihilferechts ausgelegte Begrifflichkeiten nicht auf andere Rechtsgebiete übertragen. Dies trifft auch auf den Begriff des „Unternehmens“ zu.
Hierzu im Folgenden:
Die beihilferechtliche Einordnung von Tätigkeiten ist nicht deckungsgleich mit der steuerrechtlichen Einordnung der Tätigkeitsbereiche, und zwar weder inhaltlich noch mit Blick auf ihre jeweiligen rechtlichen bzw. steuerrechtlichen Konsequenzen. Zwar nutzen beide Rechtsgebiete die Begrifflichkeiten „wirtschaftliche Tätigkeit“ und – damit einhergehend – „Unternehmen“. Die Einordnung einer Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit oder nichtwirtschaftliche Tätigkeit und die Definition eines „Unternehmens“ wird jedoch in den jeweiligen Rechtsgebieten unterschiedlich gehandhabt. Folge dessen ist, dass aus steuerrechtlicher Sicht ein Betrieb oder eine Einrichtung aufgrund wirtschaftlicher Tätigkeiten als „Unternehmen“ eingestuft werden kann, während beihilferechtlich dieselben Tätigkeiten hingegen als nichtwirtschaftliche Tätigkeiten gelten und damit auch der Unternehmensbegriff nicht erfüllt ist.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Unter den Unternehmensbegriff im Sinne des Beihilferechts fallen zunächst alle rechtlich eigenständigen Einheiten, die wirtschaftlich tätig sind, und zwar unabhängig von ihrer Rechtsform und unabhängig von der Art ihrer Finanzierung.[3]
Zur Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass unter den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ jede Tätigkeit fällt, die im Anbieten von Gütern und Dienstleistungen auf einem Markt besteht. Marktbezug ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Tätigkeit keine rein hoheitliche Aufgabenerfüllung darstellt und grundsätzlich auch von einem privaten Unternehmen erbracht wird. Indizien hierfür sind unter anderem die Entgeltlichkeit der Tätigkeit sowie eine Gewinnerzielungsmöglichkeit; beides ist aber nicht zwingend.[4]
Hingegen setzt der umsatzsteuerrechtliche Begriff des Unternehmens nach § 2 Abs. 1 UStG Folgendes voraus:
„Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. (…). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. (…)
Überdies sieht § 2 Abs. 2 UStG Ausnahmen vor, wonach die (eigenständige) Unternehmenseigenschaft nicht gegeben ist, nämlich dann nicht, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind oder wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
Vergleicht man die Begrifflichkeiten des „Unternehmens“ in steuerrechtlicher und beihilferechtlicher Sicht, fällt auf, dass sich der steuerrechtliche Unternehmensbegriff – anders als der beihilferechtliche – zum Ersten anhand der Art der Finanzierung, zum Zweiten anhand der Rechtsform bzw. Eingliederung in Strukturen orientiert. Während sich der steuerrechtliche Begriff zum Dritten an einer „gewerblichen -“ und „beruflichen Tätigkeit“ orientiert, kennt der beihilferechtliche Begriff „nur“ den reinen Marktbezug.
Die Anforderungen an den Unternehmensbegriff sind mithin nicht deckungsgleich.
Hinzu kommt, dass für den beihilferechtlichen Unternehmensbegriff Besonderheiten gelten, die das nationale Umsatzsteuerrecht nicht kennt. Diese liegen zum einen in der oben genannten Trennungsrechnung und der damit verbundenen Beurteilung, dass eine Einrichtung sowohl wirtschaftlich als auch nichtwirtschaftlich tätig sein kann. Zum anderen ergeben sich Sonderfälle aus dem FuE-Rahmen.
Der FuE-Rahmen fingiert zugunsten von Forschungseinrichtungen und-Infrastrukturen, dass bestimmte Tätigkeiten trotz Vorliegen eines Marktbezuges als nichtwirtschaftlich und damit als beihilferechtlich nicht relevant eingestuft werden. Im Bereich der nichtwirtschaftlichen – und damit beihilfefreien – Tätigkeiten sieht der FuE-Rahmen zum einen die primären nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten, zum anderen die wirtschaftlichen Tätigkeiten, die den nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten gleichgestellt werden vor. Zudem können wirtschaftlichen Tätigkeiten über die sogenannte 20%- Klausel des FuE-Rahmens ebenfalls als nichtwirtschaftliche Tätigkeiten eingestuft werden (vgl. Ziffer 20 ff. des FuE-Rahmen).
Sämtliche dieser Tätigkeiten werden letztendlich als nichtwirtschaftlich eingestuft mit der Folge, dass der Unternehmensbegriff nicht vorliegt (vgl. Ziffer 20 S. 1 des FuE-Rahmen). Eine solche Privilegierung zugunsten von Forschungseinrichtungen und -Infrastrukturen kennt das nationale Steuerrecht allerdings nicht. Insofern können eine oder sämtliche Tätigkeiten einer Forschungseinrichtung aus steuerrechtlicher Sicht als „wirtschaftlich“ eingestuft werden, wodurch der Unternehmensbegriff steuerrechtlich bejaht wird, während beihilferechtlich dieselbe Tätigkeit als nichtwirtschaftlich eingestuft und der Unternehmensbegriff verneint wird.
Als hier einschlägiges Beispiel dient insbesondere der Wissenstransfer mit der dazugehörigen Verwertung von Forschungsergebnissen. Dieser ist grundsätzlich als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen und wird dementsprechend umsatzsteuerrechtlich auch als wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft. Beihilferechtlich zählt dieser Wissenstransfer trotz seiner „Wirtschaftlichkeit“ hingegen zu den nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten einer Forschungseinrichtung, soweit die Gewinne aus diesen Tätigkeiten in die primären Tätigkeiten der Forschungseinrichtung reinvestiert werden (vgl. Ziffer 20 b) des FuE-Rahmens).
Mithin zeigt sich auch hier, dass die Maßstäbe zur Beurteilung der Unternehmenseigenschaft auseinanderfallen. Dies ist auch richtig, denn das Steuerrecht und das Beihilferecht verfolgen unterschiedliche Zielrichtungen, in deren Licht der Begriff des „Unternehmens“ bzw. der Wirtschaftlichkeit ausgelegt werden muss.
Hierzu im Folgenden:
Dem Beihilferecht liegt das Bild eines „unverfälschten Wettbewerbs” zugrunde. Angebot und Nachfrage sollen sich auf dem Gemeinsamen Markt anhand wirtschaftlicher, technischer und finanzieller Bedürfnisse finden, ohne dass staatliche Interventionen diesen Prozess verzerren. Der (unzulässigen) Beihilfe verdächtig sind daher im Allgemeinen solche – aus staatlichen Mitteln finanzierte – Maßnahmen, welche für die betroffenen Unternehmen einen „Preisnachlass gegenüber dem Marktpreis” bedeuten.[5]
Im Steuerrecht existiert dagegen gerade kein „Markt”. Der Staat ist vielmehr „omnipräsent”, da er auf breiter Basis den Erwerb, das Innehaben und den Verbrauch von Einkommen und Vermögen der Besteuerung unterwirft. Dabei sind tragende Gesichtspunkte die Prinzipien der Steuergerechtigkeit bzw. -gleichheit, die sich bereits aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen ergeben (vgl. § 85 AO).[6]
Dies hat zur Konsequenz, dass zur Identifikation des Unternehmensbegriffs im Umsatzsteuerrecht, welches an einen rechtlichen oder wirtschaftlichen Akt, an die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder einen wirtschaftlichen Vorgang oder Verkehrsvorgang anknüpft, ein anderer Maßstab als im Beihilferecht herangezogen werden muss.
Den unbestimmten Rechtsbegriff des Unternehmens füllt der EuGH daher strikt am Schutzzweck der Wettbewerbsregeln aus, nämlich den unternehmerischen Wettstreit dort zu fördern, wo er existiert oder existieren kann. Besteht kein Markt, der nach Wettbewerbsprinzipien funktioniert – so bei hoheitlichen Tätigkeiten, Sport und Kultur und bei Leistungen, die nach dem Solidaritätsgrundsatz erbracht werden – oder aber kann das Verhalten der beteiligten Person die Wettbewerbsverhältnisse schlechterdings nicht beeinflussen (so beim privaten Endverbrauch), ist auch das Wettbewerbsrecht nicht anwendbar.[7]
Umgekehrt kann im Steuerrecht nicht zwingend bei einer beihilferechtlichen Unternehmenseigenschaft auch auf die steuerrechtliche geschlossen werden, da die beihilferechtliche Prüfung einen ganz anderen Hintergrund verfolgt und das maßgebliche Prinzip der Steuergleichheit insbesondere durch die Ausnahmen nach dem FuE-Rahmen und der Möglichkeit der Trennungsrechnung nicht beachtet.
Diese aufgezeigten Besonderheiten im Beihilferecht bieten zudem die Möglichkeit eine Anschaffung sowohl im wirtschaftlichen als auch im nichtwirtschaftlichen Bereich zu nutzen. Hierzu im Folgenden:
Während im Steuerrecht eine eindeutige, ggf. anteilige Zuordnung erforderlich ist, ob eine Anschaffung für den unternehmerischen Bereich oder für den nichtunternehmerischen Bereich getätigt wird, können Anschaffungen im nichtwirtschaftlichen Bereich nach dem Beihilferecht auch im wirtschaftlichen Bereich genutzt werden, z. B. für Auftragsforschung. Das ist nach Beihilferecht nicht verboten, notwendig ist dann nur eine interne Trennungsrechnung. Soweit eine Anschaffung umsatzsteuerlich ganz dem Unternehmen mit vollständigen Vorsteuerabzug zugeordnet wurde und sich später eine nichtunternehmerische Nutzung ergibt, erfolgt regelmäßig eine Besteuerung dieser nichtunternehmerischen Nutzung.
Festzuhalten bleibt daher nach dem oben Dargelegten, dass der Unternehmensbegriff im Lichte des jeweiligen Rechtsgebiets autonom ausgelegt werden muss. Dies bedeutet, dass die beihilferechtliche Einordnung der Tätigkeiten als wirtschaftlich bzw. als „Unternehmen“ nicht zwingend dazu führt, dass auch steuerrechtlich eine Bewertung als „Unternehmen“ richtig ist und umkehrt. Vielmehr ist eine eigenständige Prüfung erforderlich.
[1] EuGH 720/79, Slg. 1980, 2671 Rn. 25 f. – Philip Morris.
[2] Bartosch, 3. Aufl. 2020, Art. 107, Rn. 2.
[3] Sog. „funktionaler Unternehmensbegriff,“ vgl. EuGH, Urteil vom 23. April 1991, Rs C-41/9;
MüKo WettbR/Arhold, 4. Aufl. 2022 AEUV Art 107 Rn. 496.
[4] EuGH, Urteil vom 18.06.1998, Rs. C-35/96, Kommission/Italien, Rn. 36; EuG, Urteil vom 04.03.2003, Rs. T-319/99, FENIN, Rn. 36; MüKo WettbR/Arhold, 4. Aufl. 2022 AEUV Art 107 Rn. 498.
[5] Marquart, IStR 2011, 445 m. w. N.
[6] Koenig/Hahlweg, 4. Aufl. 2021, AO § 85 Rn. 8.
[7] MüKo WettbR/Säcker/Steffens, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 8 m. w. N.
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