Suche
Contact
07.01.2022 | KPMG Law Insights

Rechtswidrige Vorkaufsrechtsausübung im Gebiet einer Erhaltungssatzung

Gemeinden und Städte machen vermehrt von der Möglichkeit Gebrauch, die städtebauliche oder soziale Eigenart eines Gebiets oder von Einzelimmobilien durch Satzungserlass und Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts zu erhalten. Eine neue Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist von größter Bedeutung für diese Praxis und schränkt den Handlungsspielraum der Gemeinden ein.

Sogenannte Erhaltungssatzungen und Milieuschutzsatzungen finden ihre rechtliche Grundlage in den §§ 172 ff. BauGB. Im Gesetz sind drei Schutzziele normiert, welche die Aufstellung einer Erhaltungssatzung rechtfertigen können:

  • Die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart
  • Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Milieuschutz)
  • Die Unterstützung städtebaulicher Umstrukturierung

Soweit das Wohl der Allgemeint dies rechtfertigt, steht den Gemeinden und Städten in den betroffenen Gebieten gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 BauGB ein Vorkaufsrecht zu. Dabei ist es gängige Praxis, in Verkaufsfällen mit dem Erwerber einer Immobilie in solchen Gebieten eine sogenannte Abwendungsvereinbarung über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts abzuschließen. Solche Abwendungsvereinbarungen enthalten regelmäßig über die typischen Beschränkungen in Erhaltungsgebieten durch Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB hinausgehende Einschränkungen für den Erwerber etwa bei Rück- und Umbauten sowie Nutzungsänderungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Praxis der Stadt Berlin, das Vorkaufsrecht auszuüben, weil keine Anwendungsvereinbarung zustande kam und eine Nutzung entgegen den Zielen der Erhaltungssatzung befürchtet wurde, jüngst für rechtswidrig erklärt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2021, Az. BVerwG 4 C 1.20)

Sachverhalt

Ein Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 mit 20 Mietwohnungen und 2 Gewerbeeinheiten wurde mit notariellem Kaufvertrag im Mai 2017 veräußert. Das Grundstück befindet sich im räumlichen Geltungsbereich einer vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erlassenen Erhaltungsverordnung, die als sogenannte Milieuschutzsatzung der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dienen soll. Die Käuferin des Grundstücks lehnte den Abschluss einer Abwendungsvereinbarung ab, woraufhin die Stadt Berlin ihr Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft ausübte.

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu entschieden, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Stadt Berlin nicht rechtmäßig war, und diese dazu verpflichtet, ein Zeugnis über das Nichtbestehen des Vorkaufsrechts (Negativzeugnis) auszustellen.

Der Stadt Berlin steht ein Vorkaufsrecht nur dann zu, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB rechtfertigt. § 26 BauGB konkretisiert den unbestimmten Begriff des Allgemeinwohls durch Beispielfälle, wonach unter den darin genannten Voraussetzungen das Allgemeinwohl nicht beeinträchtigt ist und die Ausübung des Vorkaufsrechts bei Vorliegen eines solchen Beispielsfalls in der Regel nicht in Betracht kommt. Nach § 26 Nr. 4 BauGB ist die Ausübung des Vorkaufrechts insbesondere ausgeschlossen, wenn

  • das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme „bebaut ist und genutzt wird“ und
  • eine auf dem Grundstück errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 BauGB aufweist.

Beide Voraussetzungen lagen hier vor. In der Praxis ist vor allem die erste Voraussetzung von Bedeutung, die sich mit den konkreten Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen beschäftigt. Das betroffene Grundstück lag im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und wurde entsprechend den dortigen Festsetzungen ganz überwiegend zum Wohnen genutzt. Die Stadt Berlin befürchtete jedoch, dass die gegenwärtig den städtebaulichen Zielen entsprechende Nutzung des Gebäudes durch die Veräußerung künftig geändert und gegen die städtebaulichen Ziele verstoßen werden könnte und sah hierin nach dem Scheitern von Verhandlungen über eine Abwendungsvereinbarung einen Grund zur Ausübung des Vorkaufsrechts. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun jedoch unter Auseinandersetzung mit den verschiedenen in der Literatur hierzu vertretenen Auffassungen klargestellt, dass bei der Prüfung der Ausschlussgründe des § 26 Nr. 4 BauGB nicht auf etwaige künftige Verstöße abzustellen ist, wie es die Stadt Berlin handhabte. Dem Wortlaut der Vorschrift (im Präsens) folgend kommt es nach dem Urteil des Gerichts lediglich auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts an. Mögliche zukünftige Entwicklungen sind auch in Anbetracht der Bezeichnung als „Erhaltungs“-satzung nicht von Bedeutung, wie das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung noch weiter ausgeführt hat.

Fazit

Erhaltungsgebiete sind in vielen Städten und Gemeinden anzutreffen. Etwa in Hamburg bestanden zu Beginn des Jahres 2021 bereits ca. 20 entsprechende Normen, die ihrerseits mehrere Gebiete ausgewiesen haben. In München sind es insgesamt 36 Erhaltungssatzungsgebiete (fünf neue Gebiete wurden im Jahr 2021 ausgewiesen) und in Berlin gibt es allein 12 Milieuschutzgebiete im Bezirk Mitte. Wohnimmobilientransaktionen betreffen daher nach unserer Erfahrung sehr häufig Grundstücke, die sich in einem entsprechenden Gebiet befinden. Bereits im Rahmen der immobilienrechtlichen Due Diligence ist daher regelmäßig ein Augenmerk auf den Satzungsinhalt zu legen. Hier ist insbesondere zu prüfen, inwieweit die gegenwärtige Bebauung und Nutzung der Gebäude den Zielen der Erhaltungssatzung entspricht bzw. widerspricht. In letzterem Fall ist für einen Käufer der Abschluss einer Abwendungsvereinbarung zur Abwendung des Vorkaufsrechts unverändert erforderlich. Im Lichte der vorstehend dargestellten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings zu beachten, dass die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Gemeinde rechtswidrig sein dürfte, soweit die gegenwärtige Bebauung und Nutzung des Gebäudes den Zielen der Erhaltungssatzung entspricht und die Immobilie keine Missstände oder bauliche Mängel aufweist. Sollten letztere vorhanden sein, dürfte es sich empfehlen, diese noch vor der Grundstückstransaktion zu beseitigen, um die Vorkaufsrechtsausübung auszuschließen.

Auf politischer Ebene gibt es bereits Bestrebungen, für eine Novelle des Baugesetzbuches zu sorgen, um in Zukunft die Anwendung von Vorkaufsrechten in Gebieten sozialer Erhaltungssatzungen wieder rechtssicher zu ermöglichen, denn das „Herausmodernisieren“ angestammter Bevölkerungskreise ist nach wie vor vielen Gemeinden ein Dorn im Auge. So wollen die Parteien der Ampel-Regierung laut Koalitionsvertrag prüfen, ob sich aus dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt. Hier gilt es also, die weitere Entwicklung zu beobachten, über die wir Sie weiter unterrichten werden. Sollten Sie als Verkäufer oder Käufer eine Transaktion planen, die sich auf eine Immobilien im Gebiet einer Erhaltungssatzung bezieht, stehen wir Ihnen zur Beratung über die Folgen des neuen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts, zur Gestaltung einer Abwendungsvereinbarung sowie zur Erläuterung Ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Satzung oder den Verwaltungsakt der Vorkaufrechtsausübung gern zur Verfügung.

Explore #more

31.05.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Die Digitalstrategie der EU

Die Digitalstrategie der EU soll Europa zum Spitzenreiter einer datengesteuerten Gesellschaft machen. Unter anderem soll ein „Binnenmarkt für Daten“ entstehen. Zumindest plant es die EU-Kommission…

25.05.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Mergers & Acquisitions (M&A) in Krisenzeiten

Der Transaktionsmarkt hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Nachfrage nach Unternehmenskäufen ist generell gesunken; insbesondere große Transaktionen sind rückläufig. Expansion ist in…

13.05.2023 | Pressemitteilungen

Neue Ausgabe des digitalen Magazins „Talk – Tax & Law Kompass“

Das digitale Magazin „Talk – Tax & Law Kompass“ greift aktuelle steuerliche und rechtliche Aspekte aktueller, unternehmensrelevanter Themen auf.
Diesmal geht es um die Trendthemen…

12.05.2023 | KPMG Law Insights

Bundestag und Bundesrat haben Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet

Das Hinweisgeberschutzgesetz ist beschlossen. Am 9. Mai 2023 hatte sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat geeinigt und eine Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf vorgelegt. Der Bundestag…

09.05.2023 | Dealmeldungen

KPMG Law Deutschland und Österreich beraten ZF Friedrichshafen bei Tsetinis-Verkauf

KPMG Law in Deutschland und KPMG Law in Österreich haben die ZF Friedrichshafen AG bei der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung an der Ing. Tsetinis Beratungs GmbH…

09.05.2023 | KPMG Law Insights

UPDATE Transparenzregister und Immobilien in Deutschland – Ausufernde Meldepflichten für ausländische Unternehmen

Das Bundesverwaltungsamt hat klargestellt, dass ausländische Gesellschaften auch dann zum Transparenzregister gemeldet werden müssen, wenn sie nur indirekt an deutschen Immobilien beteiligt sind. Die Meldepflicht…

09.05.2023 | KPMG Law Insights

EuGH zum Datenschutz: Keine Erheblichkeitsschwelle für Schadensersatz

Ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) allein genügt nicht, um einen Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden zu begründen. Nach Ansicht des EuGH muss auch…

01.05.2023 | Pressemitteilungen

KPMG Law stärkt Handels- und Vertriebsrecht sowie Kartellrecht und Fusionskontrolle mit zwei Partner-Neuzugängen in Stuttgart und Berlin

KPMG Law hat sich zum 1. Mai 2023 mit zwei Neuzugängen auf Partnerebene verstärkt: Dr. Jonas Brueckner ergänzt als Partner den Bereich Kartell- und Wettbewerbsrecht…

28.04.2023 | KPMG Law Insights

EuGH: Generalanwalt lehnt verschuldensunabhängige Haftung für Datenschutzverstöße ab

Zu der umstrittenen Frage der verschuldensunabhängigen Haftung von Unternehmen für Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat der Generalanwalt beim EuGH am 27. April 2023 (C-807/21)

06.04.2023 | KPMG Law Insights

BGH zur Geschäftsführerbestellung: Das sollten Konzerne beachten

Vorstände einer Aktiengesellschaft können sich nicht selbst zu Geschäftsführer:innen einer Tochter-GmbH bestellen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 17.01.2023 (Az. II ZB 6/22) beschlossen und…

Kontakt

Human Aghel

Manager

Fuhlentwiete 5
20355 Hamburg

tel: +49 40 3609945451
haghel@kpmg-law.com

Falk Mathews

Senior Manager

Fuhlentwiete 5
20355 Hamburg

tel: +49 40 3609945014
fmathews@kpmg-law.com

© 2023 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll