Das OLG Dresden hat am 22.4.2020 im Anschluss an die mündliche Verhandlung in dem Musterfeststellungsverfahren gegen die Stadt – und Kreissparkasse Leipzig (Az. 5 MK 1/19) überraschend ein Urteil gefällt. Nur auf den ersten Blick eine verbraucherfreundliche Entscheidung. Auf den zweiten Blick bleiben viele Fragen offen.
1. Sachverhalt
In den letzten Wochen und Monaten sind die meisten Sparkassen dazu übergegangen, die sogenannten Sparverträge „S-Prämiensparen flexibel“ zu kündigen. Hintergrund ist die aufgrund des anhaltenden Niedrigzinsumfelds schon seit längerem bestehende Unwirtschaftlichkeit dieser Verträge. Die Wirksamkeit der Kündigung ist inzwischen höchstrichterlich mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Mai 2019, XI ZR 345/18 geklärt.
In diesem Zusammenhang ist auch Streit über die Notwendigkeit einer rückwirkenden Zinsanpassung aufgekommen. Dem liegt zugrunde, dass durch eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2004 (Az. XI ZR 140/03) festgestellt wurde, dass die zur damaligen Zeit genutzten Zinsanpassungsklauseln zu unbestimmt sind. Die dadurch entstehende Lücke im Vertrag ist, wie der BGH u.a. mit Urteil vom 10. Juni 2008 (Az. XI ZR 211/07) entschieden hat, durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen.
Die Art der Lückenschließung, sprich die entsprechenden Kriterien für die Anpassung des Zinses, stand und steht zwischen den Sparkassen auf der einen und den Kunden auf der anderen Seite in Streit. Mit der Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig hat die Verbraucherzentrale Sachsen versucht, Klarheit zugunsten der betroffenen Kunden zu schaffen.
2. Inhalt der Entscheidung vor dem OLG Dresden
Überraschend hat das OLG Dresden unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung ein Urteil verkündet. Die Verbraucherzentrale hat das Urteil zunächst als Erfolg für die Sparer eingestuft. Bei genauer Betrachtung ergibt sich jedoch ein differenziertes Bild:
Erfolg hat die Verbraucherzentrale mit Ihrem Antrag gehabt, wonach festgestellt werden sollte, dass die vor dem Jahr 2004 häufig verwendeten und undifferenzierten Zinsanpassungsklauseln (bspw. nur die Formulierung „variable Verzinsung“) unwirksam seien. Dies ist aber keine Neuigkeit und insofern auch kein Erfolg, denn dass diese Klauseln nicht hinreichend bestimmt sind, steht wie zuvor ausgeführt bereits seit dem BGH Urteil aus 2004 fest.
Ferner ist die Verbraucherzentrale mit Ihrer Rechtsansicht, dass die Zinsnachzahlungsansprüche nicht einer eigenen Verjährung unterliegen (die dann zu weiten Teilen bereits eingetreten wäre), durchgedrungen. Das OLG Dresden geht davon aus, dass die Verjährung erst mit Beendigung des Sparvertrags beginnt. Dies könnte erhebliche Auswirkungen haben, da sich jedenfalls der Umfang des Risikos für Sparkassen erhöht haben dürfte.
Nicht durchgedrungen ist die Verbraucherzentrale jedoch mit ihren weiteren Anträgen, wonach die konkret anzuwendende Zinsberechnungsmethodik im Sinne der durch die Verbraucherzentrale als zutreffend gehaltenen Methodik (insbesondere die Zugrundelegung eines langfristigen gleitenden Durchschnittszinssatzes) festgestellt werden sollte. Nach Ansicht des Gerichts sei dies im Einzelfall nach dem hypothetischen Willen der Parteien zu ermitteln.
3. Weiter offene tatsächliche und rechtliche Auswirkungen
Zunächst gilt natürlich festzuhalten, dass alle getroffenen Feststellungen jeweils nur im Verhältnis zwischen den Parteien gelten. Die Entscheidung des OLG Dresden hat daher allenfalls Indizwirkung auf andere rechtlich selbstständige Sparkassen.
Im Übrigen bringt das Urteil, abgesehen von der Feststellung des Verjährungsbeginns, keinen großen Erkenntnisgewinn. Letztlich sind die maßgeblichen Streitpunkte, nämlich welche Form der Zinsberechnung im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung anzuwenden ist, offengeblieben. Diese Fragen sind jetzt der Einzelfallrechtsprechung überlassen. Ferner wird auch die ausdrücklich offen gelassene Frage, ob bei den betroffenen Kunden nicht im Hinblick auf das jahrelange Hinnehmen der durch die Sparkassen vorgenommenen Zinsanpassung eine Verwirkung anzunehmen ist, im Einzelfall entschieden werden müssen. Es bleibt abzuwarten, ob insbesondere von Seiten der Verbraucherzentrale Sachsen aufgrund der abgewiesenen Feststellungsziele Revision eingelegt wird.
4. Ausblick und Beratungsangebote
Die Verbraucherzentrale Sachsen hat weitere Musterfeststellungsklagen gegen sächsische Sparkassen angekündigt. Andere Bundesländer dürften aufgrund der früher oder später anstehenden Verjährungsproblematik folgen.
Nicht auszuschließen ist, dass das erste Urteil in einer Musterfeststellungsklage (neben den ohnehin nun vor einer Einzelklage stehenden Verbrauchern, die sich in dem konkreten Verfahren angeschlossen hatten) weitere Einzelkläger auf den Plan ruft.
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