Der Grundsatz „Kauf bricht nicht Mie-te“ gemäß § 566 BGB dürfte den meisten mit dem Immobilienrecht Befassten ein Begriff sein. Dieser Grundsatz findet nach § 578 Abs. 2 BGB auch im Gewerberaummietrecht Anwendung. Wird ein Mietgegen-stand nach Überlassung an den Mie-ter vom Vermieter an einen Dritten veräußert, tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in das Mietverhältnis ein. Mit der Eintragung eines Erwer-bers in das Grundbuch des Grund-stücks, auf dem sich der Mietgegen-stand befindet, tritt der Erwerber an die Vermieterstelle. Häufig wird hier in der Praxis von einem gesetzlichen Übergang des Mietverhältnisses ge-sprochen – im Unterschied zu einer gleichfalls möglichen rechtsgeschäft-lichen Vertragsübertragung zwischen Veräußerer, Erwerber und Mieter.
Der Veräußerer verabschiedet sich durch den Eigentumsübergang aller-dings nicht vollständig aus dem Miet-verhältnis: Er haftet, wenn der Erwer-ber seine Pflichten aus dem Mietver-trag nicht erfüllt, gemäß § 566 Abs. 2 S. 1 BGB für Schadensersatz- oder Aufwendungsersatzansprüche des Mieters gegen den Erwerber wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vo-rausklage verzichtet hat. Der frühere Vermieter wird allerdings dann ge-mäß § 566 Abs. 2 S. 2 BGB von die-ser Haftung frei, wenn er dem Mieter die Eigentumsübertragung mitteilt, es sei denn, der Mieter kündigt das Miet-verhältnis zum nächstmöglichen Termin.
Im ersten Halbjahr 2016 ergingen interessante Entscheidungen des OLG Saarbrücken und des BGH über die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des § 566 BGB.
In einem Rechtsstreit vor dem OLG Saarbrücken ging es maßgeblich um die Frage, ob auch ein nicht schon verbindlich abgeschlossener Mietver-trag in entsprechender Anwendung des § 566 BGB auf einen Grund-stückserwerber übergeht.
In dem zu entscheidenden Fall hatte – vereinfacht dargestellt – der Eigen-tümer einem Untermieter seines Hauptmieters ein unwiderrufliches, bedingtes und befristetes Angebot vorgelegt, um mit dem Untermieter einen Mietvertrag über die ihm bereits vom Hauptmieter überlassenen Flä-chen abzuschließen. Der angebotene neue Mietvertrag sollte mit Beendigung des laufenden Hauptmietverhältnisses wirksam werden. Der neue Mietvertrag lag dem Angebotsschreiben bereits vollständig ausgefertigt und einseitig vom Eigentümer unter-zeichnet bei. In der Folge wurde das Grundstück vom Vermieter veräußert. Der Untermieter nahm das Angebot nach dem Eigentumsübergang fristgemäß an und sandte dem Erwerber den unterzeichneten Mietvertrag zu.
Das OLG Saarbrücken qualifizierte das Angebot auf Abschluss des Mietvertrags als Einräumung einer „Begründungsoption“. Diese zeichne sich dadurch aus, dass sie, anders als die in Mietverträgen üblichen Verlängerungsoptionen, ein bestehendes Mietverhältnis nicht erweitere, son-dern ein neues Mietverhältnis über-haupt erst entstehen lasse. Es hande-le sich bei der sogenannten Begründungsoption somit um ein Ver-tragsangebot mit verlängerter Bindungswirkung. Mit der Verlängerungsoption sei ihr gemein, dass es allein in der Hand des Mieters liege, die Annahmeerklärung innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben.
Nach Auffassung des Gerichts sind derartige einseitig bindende Angebote ebenso zu behandeln wie ein auf-schiebend bedingter Mietvertragsabschluss, dessen Bedingung zur Zeit des Eigentumserwerbs noch nicht eingetreten ist. In diesen Fällen trete der Erwerber in das unter der auf-schiebenden Bedingung geschlossene Mietverhältnis ein. Nichts anderes könne für die Begründungsoption gelten, da auch hier der Veräußerer eine bindende Erklärung abgegeben habe.
Die Entscheidung des BGH hatte maßgeblich die Frage zum Gegen-stand, welche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Überlas-sens des Mietgegenstands im Rah-men des § 566 Abs. 1 BGB zu stellen sind.
Die weitreichende Wirkung des § 566 Abs. 1 BGB macht es notwendig, dass der Erwerber aus der Besitzlage ab-lesen können soll, in welche Mietver-hältnisse er bei Eigentumsübergang eintritt. Voraussetzung für die An-wendbarkeit des § 566 BGB ist daher, dass der Mietgegenstand an den Mieter überlassen worden ist und dieser zum Zeitpunkt des Eigentums-übergangs die tatsächliche Sachherr-schaft über den Mietgegenstand aus-übt.
In dem der BGH-Entscheidung zu-grunde liegenden Sachverhalt war diese tatsächliche Sachherrschaft des Mieters unterbrochen. Zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs hatte der Mieter den ihm überlassenen Besitz nicht mehr ausgeübt. Das Gericht entschied, dass zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs durch den Erwer-ber der unmittelbare Besitz durch den Mieter aktuell ausgeübt werden müs-se. Sei die tatsächliche Sachherr-schaft zu diesem Zeitpunkt unterbro-chen oder nicht mehr vorhanden, finde § 566 BGB keine Anwendung, und zwar auch dann nicht, wenn ein Mietverhältnis fortbestehe.
Damit der Erwerber eines Grund-stücks frühzeitig erkennen kann, auf welche Verpflichtungen er sich im Rahmen des § 566 BGB gegenüber Mietern einlässt, verlangt zum einen § 550 BGB bei langfristigen Mietver-hältnissen die Schriftform und setzt zum anderen § 566 Abs. 1 BGB vo-raus, dass der Mieter den Mietgegen-stand schon übergeben erhalten hat, also dort „sichtbar“ ist.
Nach dem Urteil des OLG Saarbrü-cken muss bei der Prüfung beste-hender Mietverhältnisse nunmehr auch ein besonderes Augenmerk auf sogenannte Begründungsoptionen gelegt werden. Der Erwerber könnte ansonsten dadurch überrascht wer-den, dass ein früherer Untermieter einen Mietgegenstand übergeben verlangt, den der neue Vermieter für eine Leerstandsfläche hielt.
Umgekehrt muss sich ein Erwerber, der seinen Kaufpreis auf den Fortbe-stand langfristiger Mietverhältnisse hin kalkuliert hat, nach der dargestell-ten Entscheidung des BGH im Rah-men der Due Diligence vor Ort dar-über vergewissern, dass die Mieter ihren unmittelbaren Besitz erlangt haben und tatsächlich noch ausüben. Außerdem wird sich ein vorsichtiger Erwerber vom veräußernden Vermie-ter gewährleisten oder garantieren lassen, dass der jeweilige Mietge-genstand auch zum Übergabezeit-punkt noch im Besitz des Mieters sein wird und der Mieter diesen Besitz bis zum Eigentumsübergang nicht auf-geben wird. Anderenfalls wäre § 566 BGB nach der Rechtsprechung des BGH nicht anwendbar und so die Grundlage für einen bestimmten Ertragswert des Grundstücks erschüt-tert.
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