Mit seinem Urteil vom 04.07.2019 (Rs. C-377/17) hat der EuGH das Ende der HOAI-Mindest- und Höchstätze besiegelt. Zum Verhängnis wurde ihnen letztlich das allzu durch-lässige deutsche Berufszugangsrecht. Denn da auch andere Berufsgruppen als Architekten und Ingenieure die Mindestsätze verlangen können, ist es nach Ansicht des EuGH widersprüchlich, diese mit dem Zweck der Qualitätssicherung zu rechtfertigen. Damit dürfen Auftraggeber ab sofort keine Mindest- und Höchstsätze nach der HOAI mehr vorsehen. Wenngleich die Entscheidung im Ergebnis erwartbar war, löste sie dennoch ein breites Echo in der (Fach-) Öffentlichkeit aus.
Und tatsächlich ergibt sich eine Vielzahl von Fragen für die künftige Praxis der Vergabe und Durchführung von Verträgen über Pla-nungsleistungen. Wir können Sie dabei unter-stützen, die für Sie passenden Antworten zu finden.
Laufende Vergabeverfahren
Laufende Planer-Vergabeverfahren können grundsätzlich weitergeführt werden, auch wenn eine Vergütung nach der HOAI vorgesehen ist. Allerdings dürfen ab sofort keine Angebote mehr ausgeschlossen werden, weil Preise unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Нöchstsätze der HOAI angeboten werden. Dem widersprechende Vergabeunterlagen sollten im laufenden Verfahren angepasst werden, ggf. verbunden mit einer Verlängerung der Angebotsfrist.
Laufende streitige Verfahren
Die unmittelbare Wirkung zeigt auch die in der kurzen Zeit seit dem Urteil des EuGH ergangene Rechtsprechung zu Klagen von Planern zur Einhaltung der Mindestsätze. Doch die Lage ist aktuell alles andere als eindeutig: Das OLG Celle hat in einer Entscheidung vom 17.07.2019 (14 U 188/18) den Anwendungsvor-rang des Europarechts klargestellt und die Mindestsatzklage eines Architekten abgewiesen. Nach Auffassung des OLG Hamm (Urteil vom 23.07.2019 – 21 U 24/18) ist hingegen jedenfalls zwischen Privaten in laufenden Architektenhonorarprozessen das verbindliche Preisrahmenrecht der HOAI nach wie vor anwendbar.
Anstehende Planer-Vergabeverfahren
Doch bei aller Unsicherheit ergeben sich für (öffentliche) Auftraggeber auch interessante Chancen bei künftigen Vergaben von Planungsleistungen Preise in stärkerem Maß als bislang in den Wettbewerb zu stellen. Die Nut-zung des Preiswettbewerbs birgt jedoch Herausforderungen in der Vertragsgestaltung und in der Gestaltung des Vergabeverfahrens. Unsere Lösungsansätze ermöglichen für beide Aspekte eine optimale Ausrichtung anstehen-der Planer-Vergabeverfahren:
Vertragsanpassung erforderlich!
Da die Mindest- und Höchstsätze der HOAI nicht mehr bindend sind und somit die Vergütungsabreden nicht einschränken, gibt es künftig eine Vielzahl möglicher Vergütungsvarianten. Wie die Vergütung erfolgen soll, ist künftig im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden und konkret im Vertrag zu regeln.
Pauschalpreise sind jetzt ebenso uneingeschränkt wirksam wie eine Abrechnung auf Basis von Stunden bzw. Tagessätzen nach tatsächlichem Aufwand. Selbst teilweise erfolgsabhängige Vergütungen sind denkbar.
Ob und inwieweit allerdings der Markt bereit ist, außerhalb des gewohnten Rahmens der HOAI Preise zu kalkulieren und zu vereinbaren, bleibt abzuwarten. Daher ist davon auszugehen, dass die vertragliche Vereinbarung der Vergütung nach HOAI auch weiterhin eine große praktische Rolle spielen wird. Auch nach der EUGH-Entscheidung bleibt es zulässig, die HOAI ganz oder teilweise als Vergütungsgrundlage zu vereinbaren. Ein Vorteil der Vergütungsbemessung nach der HOAI ist deren Bezug zu den Baukosten (anrechenbare Kosten bei Kostenberechnung). Das ermöglicht den Abschluss einer Vergütungsabrede für die Planungsleistungen zu einem frühen Zeitpunkt im Projekt, zu dem der konkrete Umfang der Baumaßnahme und die Kosten noch nicht belastbar ermittelt sind. Eine Pauschale wäre zu diesem Zeitpunkt für den Planer häufig kaum kalkulierbar und eine Abrechnung nach tatsächlichem Aufwand für den Bauherrn zu risikobehaftet. Das Berechnungsmodell nach der HOAI bietet einen in der Praxis bewährten Kompromiss.
Zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Abrechnung sollten künftig neben dem Vergütungssatz auch besonders streitanfällige Vergütungsparameter wie z.B.
• Honorarzone
• Anzahl/ Aufteilung der Abrechnungsobjekte
• mitzuverarbeitende Bausubstanz/Umbauzuschlag
explizit im Vertrag geregelt werden. Das ist aufgrund der EuGH-Entscheidung nunmehr schrankenlos möglich.
Ausgestaltung des Vergabeverfahrens
In der Ausgestaltung von Vergabeverfahren wird es neben der Gewichtung der Preiswertung und der zugehörigen Wertungsmethode insbesondere auf die Ausgestaltung qualitativer Zuschlagskriterien ankommen, um die erforderliche Qualität der Leistung sicherzustellen. Bislang wurde der Preis bei Planervergaben aufgrund des eingeschränkten Wettbewerbs häufig mit 20 % bis 30 % gewertet. Je nach Vergütungsmodell könnte der Preis zu-künftig deutlich höher gewichtet werden. Um Preisdumping auszuschließen, wird es neben dem Gewicht der Preiswertung sehr stark auf die Wertungsmethode ankommen. Neben den klassischen Wertungsmethoden (z.B. lineare Interpolation, umgekehrter Dreisatz) können dabei auch innovative Modelle zum Einsatz kommen, etwa indem der angebotene Preis des günstigsten Bieters gewertet wird, der Preis des zweitgünstigsten Bieters jedoch lediglich mit beispielsweise 90 %.
Vielversprechende qualitative Zuschlagskriterien können insbesondere sein:
• Bewertung der Erfahrung des für die Auftragsausführung vorgesehenen Personals über persönliche Referenzen
• Bewertung der Qualifikation des für die Auftragsausführung vorgesehenen Personals durch die Durchführung eines qualifizierten Interviews (Assessment)
• Bewertung der Organisation des für die Auftragsausführung vorgesehenen Personals, z.B. durch ein vom Bieter auszuarbeitendes und einzureichendes Organigramm des für die Auftragsdurchführung vorgesehenen Projektteams
• Bewertung eines von den Bietern auszuarbeitenden und einzureichenden Konzepts zur vorgesehenen Leistungserbringung
• Bewertung einer Entwicklung von Lösungsvorschlägen für die Bauaufgabe durch den Bieter (z.B. Lageplan, Grundrisse, textliche Erläuterungen etc.), § 76 Abs. 2 VgV.
Ausblick
Es bleibt spannend, wie der Gesetzgeber (in der Regel binnen rund eines Jahres) auf die Entscheidung des EuGH reagieren wird. Die Höchstsätze werden kaum zu halten sein, die Mindestsätze allenfalls dann, wenn der Berufszugang reguliert wird und die Kommission diese Lösung im Ergebnis mitträgt.
Um bis zur Umsetzung der Entscheidung des EuGH durch den Gesetzgeber eine europarechtskonforme Anwendung der HOAI sicher-zustellen, hat das Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) einen Erlass zur Anwendung der HOAI veröffentlicht. Durch den Erlass werden übergangsweise auch die Vertragsmuster für freiberuflich Tätige in den Richtlinien für die Durchführung für die Bau-aufgaben des Bundes (RBBau) angepasst. Auch das Land Berlin hat bereits ein Rund-schreiben (Rundschreiben SenStadtUm V M Nr. 03 / 2019) mit Hinweisen für die Vergabe und Honorierung der Leistungen von Architekten und Ingenieuren veröffentlicht.
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