Anfang August hat die Bundesregierung dem Bundesrat den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ zugeleitet (BR-Drs. 440/20), dessen Kernstück das Verbandssanktionengesetz ist. Im Rahmen des ersten Durchgangs kann der Bundesrat bis zum 18. September zum Regierungsentwurf Stellung nehmen. Die Stellungnahme des Bundesrates nebst einer etwaigen Gegenäußerung der Bundesregierung werden zusammen mit dem Regierungsentwurf dem Bundestag zugeleitet.
In einer am 8. September 2020 veröffentlichten Stellungnahme (BR-Drs. 440/1/20) empfehlen der federführende Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss dem Bundesrat, den Gesetzesentwurf abzulehnen. Für den Fall, dass diese Empfehlung im Plenum des Bundesrates am 18. September keine Mehrheit finden sollte, schlagen die Ausschüsse punktuelle Änderungen des Regierungsentwurfs vor. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzesentwurf keine Einwendungen zu erheben.
Berichten zufolge stammt der Widerstand aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hamburg. Zusammen kommen die sieben Bundesländer im Plenum des Bundesrats auf die Mehrheit von 35 Stimmen. Zwar ist die Stellungnahme des Bundesrates im ersten Durchgang weder für den Bundestag noch für den Bundesrat im weiteren Gesetzgebungsverfahren bindend. Sie zeigt allerdings an, wie der Bundesrat im zweiten Durchgang über das Zustimmungsgesetz entscheiden könnte. Die Kritik ist daher ernst zu nehmen, im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die Einwendungen der Bundesländer.
1. Generelle Ablehnung
Hauptkritikpunkt ist die massive Überlastung der Justiz. Die geplante Einführung der Verfolgungspflicht führe zu einer Zunahme von Verfahren, weil bei unternehmensbezogenen Straftaten ein Verfahren nicht nur gegen den Individualtäter, sondern auch gegen den Verband geführt werden müsse. Die fehlenden Ressourcen würden zum einen durch Einholung von Sachverständigengutachten kompensiert werden („schwerfälliges Sachverständigensanktionsrecht“), zum anderen durch eine rechtsstaatliche bedenkliche Privatisierung der Strafverfolgung, indem Unternehmen faktisch gezwungen werden, verbandsinterne Ermittlungen durchzuführen. Die geplante Neuregelung gehe deutlich über die erforderliche „behutsame und umsichtige“ Überarbeitung der bestehenden Regelungen hinaus, führe zu wirtschaftlichen Schäden und verstoße gegen das beschlossene Belastungsmoratorium. In verfassungsrechtlicher Sicht werden insbesondere ein Verstoß gegen das Schuldprinzip und die Unverhältnismäßigkeit des umsatzbezogenen Sanktionsrahmens für finanzkräftige Unternehmen moniert. Kritisiert werden ferner die funktionale Trennung von Verteidigung und verbandsinterner Untersuchung sowie die zeitweise Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens unter „offener Missachtung der Länder“.
2. Punktuelle Änderungen
Die Verfasser bezweifeln offenbar selbst, dass sich der Bundesrat gegen die geplante Neuregelung stellen wird. Daher werden hilfsweise punktuelle Änderungen empfohlen, über die der Bundesrat dann einzeln abstimmen müsste. Die Änderungen zielen vornehmlich darauf, die Fallzahlen zu reduzieren und die Sanktionierung rechtsstaatlich einzugrenzen, enthalten aber auch Punkte, welche die verfahrensrechtliche Position der Verbände schwächen. Folgende Änderungen werden empfohlen:
Kleinere und mittlere Unternehmen („KMU“): Im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens sollte geprüft werden, ob die Verantwortlichkeit und die Sanktionen für KMU verhältnismäßig ausgestaltet sind und inwieweit bestimmte Verbandstaten gänzlich ausgenommen werden sollten.
Gesetzlich eingeschränktes Verfolgungsermessen statt Verfolgungszwang: Die Verfolgung des Verbands soll in das Ermessen der Behörde gestellt werden. Zugleich werden bindende Kriterien für die Ausübung des Ermessens gegeben, namentlich: Folgen der Verbandssanktion für Dritte (z.B. Arbeitnehmer, Anteilseigner) sowie der Ermittlungsaufwand, die Bedeutung der Sache und die Höhe der erwarteten Sanktion. Bei schweren Verbandstaten, bei der Involvierung mehrerer Leitungspersonen und in Wiederholungsfällen soll ein Absehen von der Verfolgung nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Die Ermessensentscheidung sei zu dokumentieren. Sollte der Vorschlag keine Mehrheit finden, wird empfohlen, dass bei Identität von Täter und Verband (z.B. Alleingesellschafter-Geschäftsführer) sowie bei Verbänden ohne Betriebsvermögen von einer Sanktionierung wegen fehlenden Sanktionsbedürfnisses abzusehen ist.
Das flexible Verfolgungsermessen soll die Unterscheidung zwischen wirtschaftlich und nicht wirtschaftlich ausgerichteten Verbänden entbehrlich machen. Damit soll das Verbandssanktionengesetz wieder für alle Verbände gelten. Hilfsweise wird die Anwendbarkeit auf Verbände mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 Abgabenordnung empfohlen. Damit wären wirtschaftlich tätige Idealvereine, z.B. im Bereich des Profisports und der sozialen Arbeit erfasst.
Tatbestand der Verantwortlichkeit: Bei der Tat einer Leitungsperson soll das Bestehen von angemessenen Compliance-Strukturen tatbestandsausschließend wirken oder zumindest zur Verfahrenseinstellung führen. Taten von Nichtleitungspersonen sollen dem Verband nur dann zugerechnet werden, wenn Leitungspersonen die erforderlichen Compliance-Maßnahmen schuldhaft unterlassen haben; das bloße Vorliegen eines objektiven Organisations-Defizits genügt nicht.
Der umsatzbezogene Sanktionsrahmen für Verbände mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen EUR soll im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüft und ggf. durch eine weniger einschneidende Regelung ersetzt werden. Die Leistungsfähigkeit des konkreten Verbands soll bei der Sanktionszumessung nicht nur zu berücksichtigen, sondern maßgeblich sein.
Die Möglichkeit einer Öffentlichen Bekanntmachung der Sanktion soll gestrichen werden.
Verbandsinterne Untersuchungen: Das Erfordernis der „ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit“ soll gestrichen werden. Die Regelung sei unnötig, da den Verfolgungsbehörden ohnehin alle wesentlichen Dokumente zur Verfügung gestellt werden müssen.
Überarbeitung der Verfahrensvorschriften mit dem Ziel der Beschleunigung des Verfahrens und der Missbrauchsabwehr, z.B. Auslagerung von wesentlichen Verfahrenshandlungen aus der Hauptverhandlung, erhöhte Mitwirkungsobliegenheiten des Verbands sowie Präklusions- und Fristregeln, Erleichterung des Richterwechsels in laufenden Verfahren; kein Aussageverweigerungsrecht der gesetzlichen Vertreter des Verbands; Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen, die in das Post- und Fernmeldegeheimnis eingreifen (Telefonüberwachung, Beschlagnahme von Postsendungen). In der Sache sollen damit die strafprozessualen Verfahrensgarantien in Verbandssanktionsverfahren eingeschränkt werden;
Die Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten des Gesetzes soll von zwei auf drei Jahre verlängert werden.
Weitere Punkte sind:
Entgegen der von Kritikern geäußerten Sorge zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass notwendige Anpassungen des Entwurfs im Gesetzgebungsverfahren durchaus zu erwarten sind. Die von den Ausschüssen aufgegriffenen generellen Einwendungen sind zwar weitgehend bekannt und bereits intensiv diskutiert worden. Daneben enthält die Stellungnahme aber auch einige konstruktive Vorschläge, die unabhängig von der Entscheidung des Plenums am 18. September im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens diskutiert werden müssen. Dies betrifft insbesondere die Einschränkung des Verfolgungszwangs, die Herausnahme kleiner Verbände aus dem Anwendungsbereich des Verbandssanktionengesetzes, die Ausgestaltung der Verbandsverantwortlichkeit und den Regelungsrahmen für die verbandsinternen Untersuchungen. Es kann mit Spannung erwartet werden, wie sich die Stellungnahme des Bundesrates auf den Gesetzesentwurf auswirken wird.
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