Generalanwalt beim EuGH: Mindest- und Höchstsätze der HOAI auch in Altfällen zwischen Privaten nicht mehr anwendbar
Mit seinen Schlussanträgen vom 15. Juli 2021 hat der Generalanwalt beim EuGH Maciej Szpunar für Honorarstreitigkeiten unter Geltung der HOAI 2013 betont, dass auch bei Altfällen zwischen Privaten die Höchst- und Mindestsätze der HOAI 2013 kein zwingendes Preisrecht mehr darstellen. Eine Unterschreitung der Mindestsätze sei genauso wie eine Überschreitung der Höchstsätze zulässig, sofern nach dem Willen der Parteien ein Honorar außerhalb des Preisrahmens der HOAI 2013 vereinbart worden sei. Dies gelte ebenfalls für Streitigkeiten zwischen privatrechtliche Parteien, auch wenn die maßgebliche Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt – ABl. 2006, L 376, S. 36) nicht unmittelbar im horizontalen Verhältnis zwischen privaten Parteien anzuwenden sei.
Die Verpflichtung der nationalen Gerichte, die Mindest- und Höchstsätze ebenfalls in Altfällen nicht mehr anzuwenden, ergebe sich laut Generalanwalt Szpunar aus dem besonderen Charakter der die im Vertrag verankerte Niederlassungsfreiheit konkretisierenden Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie sowie aus der gebotenen Achtung des in der Charta der Grundrechte der EU garantierten Grundrechts der Vertragsfreiheit.
Ausgangspunkt für das Verfahren vor dem EuGH war eine Vorlagefrage des BGH, wie das europäische Recht, insbesondere die Dienstleistungsrichtlinie, bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten unter damaliger Geltung der HOAI 2013 auszulegen sei. Der BGH hatte als Revisionsinstanz ein Urteil des KG Berlin vom 12. Mai 2020 – 21 U 125/19 zu prüfen. Das KG war in seinem Urteil zu dem Schluss gekommen, dass die Dienstleistungsrichtlinie innerhalb eines privaten Rechtsverhältnisses nicht unmittelbar zulasten des Architekten oder Ingenieurs anwendbar sei. Andere Oberlandesgerichte (z.B. OLG Celle, Urteil vom 17.07.2019 – 14 U 188/18) hatten hingegen – nunmehr im Einklang mit den Schlussanträgen des Generalanwalts – die Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2013 aufgrund des Anwendungsvorranges des Europarechts unangewendet gelassen. Über den bisherigen Meinungsstand hatte KPMG Law ebenfalls berichtet: https://kpmg-law.de/mandanten-information/hoai-mindestsaetze-europarechtswidrig-und-nun/
Wie der EuGH nun unter Berücksichtigung der Schlussanträge über die Vorlagefrage des BGH entscheiden wird, ist offen. Allerdings stellen die Schlussanträge in der Praxis einen recht zuverlässigen Indikator für das europäische Meinungsbild dar. In Folge der Entscheidung des EuGH wird der BGH sodann unter Beachtung der Auslegungsvorgaben aus Europa über die Revision gegen das Urteil des KG Berlin entscheiden.
Für Planer- und Ingenieurverträge, die seit dem 1. Januar 2021 geschlossen wurden, findet die HOAI 2021 Anwendung, die in Folge des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 (Rs. C-377/17) kein zwingendes Preisrecht mehr vorsieht: https://kpmg-law.de/newsservice/neue-hoai-2021-auswirkungen-auf-die-vertragsgestaltung-in-der-praxis/
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 140/2021 v. 15.07.2021
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