Suche
Contact
25.04.2019 | KPMG Law Insights

Fällt die universitäre Weiterbildung unter den Beihilfebegriff des Art. 107 Abs. 1 AEUV?

Sachverhalt: In einem derzeit vor dem EuGH verhandelten Fall (C-393/17) begehren zwei Betreiber einer nicht akkreditierten privaten Hochschule in Belgien die Aufhebung der gegen sie verhängten Geldstrafen. Grund für die strafrechtliche Sanktionszahlung ist die nach Ansicht der flämischen Strafverfolgungsbehörde vorliegende rechtswidrige Verleihung von akademischen Titeln.

Bedeutung für das Beihilferecht: Der sich im Strafrecht abspielende Sachverhalt dreht sich weitestgehend um den Dienstleistungsbegriff und dessen Anwendbarkeit auf staatliche und private Hochschulen. Die hier vom Generalstaatsanwalt vorgetragene Argumentation ist jedoch ebenso im Hinblick auf die Frage relevant, ob gegen Entgelt erbrachte universitäre Angebote zur Weiterbildung von Berufstätigen als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Beihilferechts zu werten sind.

Die „Humbel-Kriterien“: Nach Art. 57 AEUV ist eine Dienstleistung, eine gegen Entgelt erbrachte Leistung, wobei dies im Sinne einer wirtschaftlichen Gegenleistung für die erbrachte Leistung verstanden werden muss. Trotz der Erhebung eines Schulgelds gilt seit dem EuGH-Urteil Humbel und Edel (263/86), dass Bildung grundsätzlich nicht als Dienstleistung gilt, da der Staat im Rahmen des nationalen Bildungssystems keine gewinnbringende Tätigkeit aufnimmt, sondern seine sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Pflichten erfüllt. Dies gilt nach neuerer Rechtsprechung auch für Hochschulen des staatlichen Bildungssystems, soweit diese vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert würden, selbst wenn gelegentlich Gebühren zur Kostendeckung gezahlt werden müssten.

Ausweitung auf private Hochschulen: Der Generalstaatsanwalt zieht diese aus den 80er-Jahren entstandene Bewertung in Frage. Er argumentiert, die scharfe Grenze der Entgeltlichkeit für staatliche und private Universitäten könne in der heutigen Hochschullandschaft nicht mehr gelten:

„Was ist staatlich in einer Welt, in der (sogar) staatliche Hochschulen Standorte in anderen Mitgliedstaaten errichten oder Joint Ventures mit verschiedenen anderen Einrichtungen schließen und/oder Spin-Off-Gesellschaften für Lehre und Forschung gründen?“

Das Bild der edlen, ausschließlich auf das Gemeinwohl bedachten staatlichen Hochschule, gegenüber des kapitalistischen Konstrukts der Privat-Uni, sei überholt, da auch erstere Gebühren für Studiengänge sowie (Wochenend-)Veranstaltungen für Manager erheben. Eine Parallele bestehe zum Gesundheitswesen, welches, obwohl es teils durch private Anbieter gekennzeichnet ist, als nicht-wirtschaftliche Dienstleistung von allgemeinen Interesse eingeordnet wird, für die die Dienstleistungsfreiheit keine Anwendung findet. Folglich könne bei privaten Bildungsanbietern nicht von vornherein ein Ausschluss des Allgemeininteresses angenommen werden.

Deshalb müsse wie folgt abgegrenzt werden:

  • Nach jeder einzelnen Tätigkeit (insbesondere jedem Studiengang)
  • Nach Bildungsebene, da nur bei Grund- und Sekundarunterricht der soziale Charakter der Bildung deutlich wird, nicht hingegen im Hochschulbereich
  • Nach Finanzierung des Studiengangs und der Frage der Gegenleistung, wobei hier folgende Aspekte eine Rolle spielen:
  • Kostentragung (nicht ausschließlich und unmittelbar vom Kunden)
  • Marktkriterium (je größer der Markt für einen Studiengang [national, europäisch, global], desto weniger kann davon ausgegangen werden, dass eine besondere und einmalige soziale und kulturelle Zielsetzung verfolgt wird.

Bedeutung für die beihilferechtliche Praxis: Sollte der EuGH der Argumentation des Generalstaatsanwalts folgen, würde am Beispiel der entgeltlichen Weiterbildung von Berufstätigen wohl aufgrund der Kostentragung durch den Kunden eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen, die folglich als solche in der Trennungsrechnung ausgewiesen werden müsste. Ein solches Urteil hätte jedoch Einfluss auf weitere universitäre Tätigkeitsbereiche, sodass hier vorerst die Entscheidung des EuGH abgewartet werden muss.

 

 

 

Explore #more

22.03.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Aktuelle Themen aus dem Arbeitsrecht

Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung – BAG, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 21/22 Alle Arbeitgeber sind verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Diese Entscheidung…

17.03.2023 | KPMG Law Insights

MiCAR – Was die neue EU-Verordnung für Krypto-Dienstleister und Emittenten bedeutet

In Kürze tritt eine EU-Verordnung in Kraft, mit der Kryptowerte europaweit einheitlich geregelt werden. Sie enthält signifikante neue Verpflichtungen für Emittenten und Krypto-Dienstleister. Gleichzeitig bietet…

16.03.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Datenschutz nach Schrems II – Unternehmen im Handlungsdruck

Im Jahr 2013 legte ein 25-jähriger Österreicher vor einem irischen Gericht Klage gegen einen führenden Social Media-Anbieter ein. Der Vorwurf: Die Plattform habe seine Daten…

15.03.2023 | KPMG Law Insights

Der überarbeitete Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation von 2022

Der überarbeitete Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation von 2022 Am 19. Oktober 2022 ist der überarbeitete Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation in Kraft…

13.03.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Matrix-Organisationen – Chancen und Risiken der Unternehmenstransformation

Plötzlich ist möglich, was noch vor ein paar Jahren undenkbar schien: Mitarbeitende kommen nicht mehr zur Arbeit in die Unternehmenszentrale, sondern die Einstellung erfolgt dort,…

09.03.2023 | Dealmeldungen

KPMG Law berät XPRESS Ventures bei Finanzierungsrunde

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) hat die XPRESS Ventures Beteiligungs GmbH bei einer Finanzierungsrunde mit einer Pre-Seed-Finanzierung für das RetailTech-Start-up HomeRide beraten. HomeRide…

07.03.2023 | Pressemitteilungen

KPMG Law verstärkt sich mit Marcello Toscani

KPMG Law hat sich zum 1. März 2023 mit Marcello Toscani als Senior Manager am Standort Düsseldorf verstärkt. Herr Toscani kommt von der Peek &…

06.03.2023 | KPMG Law Insights

Urteil zur Entgeltgleichheit – das Ende der Gehaltsverhandlung?

Urteil zur Entgeltgleichheit – das Ende der Gehaltsverhandlung? Zahlt der Arbeitgeber einer Frau ein geringeres Gehalt als einem vergleichbaren männlichen Kollegen, kann er sich nicht…

01.03.2023 | Dealmeldungen

KPMG Law und KPMG beraten heptus, Muttergesellschaft der Syserso Networks und Portfoliogesellschaft von Chequers Capital, beim Erwerb der SHD

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) und die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) haben die heptus 391. GmbH (heptus), die die Muttergesellschaft der Syserso Networks…

28.02.2023 | KPMG Law Insights

EU verabschiedet zehntes Sanktionspaket gegen Russland

Im Hinblick auf die nun seit etwa einem Jahr anhaltenden Kampfhandlungen in der Ukraine hat die EU das mittlerweile zehnte Sanktionspaket gegen Russland erlassen. Dieses…

© 2023 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll