Hintergrund: Bekämpfung wettbewerbsverfälschender Subventionen aus Drittstaaten
Die Europäische Kommission hat am 17. Juni 2020 ihr Weißbuch mit dem Titel „Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten“ angenommen. Das Weißbuch enthält eine Vielzahl richtungsweisender Aussagen, die bereits jetzt einen Ausblick darauf geben, wie die Mitgliedstaaten in der Zukunft mit Subventionen aus Drittstaaten (d.h. Nicht-EU-Staaten) umzugehen haben.
Das Weißbuch enthält drei sogenannte Teilinstrumente, die auf unterschiedliche Fragestellungen abzielen. Teilinstrument 1 behandelt übergeordnet die Erfassung derartiger Subventionen und die Frage inwieweit sich durch sie eine Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt ergibt. Teilinstrument 2 beleuchtet die drittstaatliche Subventionierung im Zusammenhang mit dem Erwerb von EU-Zielunternehmen. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit Teilinstrument 3. In diesem beschreibt die Kommission, welche Ansatzpunkte sie für die Unterbindung drittstaatlicher Subventionen in öffentlichen Vergabeverfahren sieht.
Die Inhalte des Weißbuchs sind nicht verbindlich. Mit einem Weißbuch veröffentlicht die Kommission in aller Regel Vorschläge für ein gemeinschaftliches Vorgehen in einem bestimmten Bereich. In der Vergangenheit waren diese Weißbücher jedoch oftmals wichtige Impulsgeber für neue Rechtsentwicklungen. Ihre Bedeutung ist daher nicht zu unterschätzen.
Status quo: Regelungslücke in Bezug auf Subventionen aus Drittstaaten
Anlass für die Verabschiedung des Weißbuchs ist der Umstand, dass in Bezug auf Subventionen aus Drittstaaten nach derzeitigem Stand eine Regelungslücke besteht.
Die Beihilfevorschriften der Art. 107 ff. AEUV gelten bereits im Ausgangspunkt nur für Beihilfen der Mitgliedstaaten, nicht jedoch gegenüber Drittstaaten. Auch die Vergabevorschriften enthalten keine Regelungen, welche es den öffentlichen Auftraggebern erlauben würde, Subventionen aus Drittstaaten im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu sanktionieren. Die beispielsweise im deutschen Recht geregelte Preisprüfung bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten (vgl. z.B. § 60 Vergabeverordnung) bezieht sich ebenfalls nur auf Beihilfen der Mitgliedstaaten.
Bekämpfung von Subventionen aus Drittstaaten in der öffentlichen Auftragsvergabe: Die Vorschläge der Kommission
In ihrem Weißbuch entwickelt die Kommission nun erstmals Vorschläge um diesen Zustand zu bekämpfen und möchte dabei nach eigenem Bekunden in eine breit angelegte Diskussion mit den Stakeholdern eintreten.
Folgendes Verfahren der Subventionsprüfung wird hiernach im Rahmen öffentlicher Vergabeverfahren vorgeschlagen:
Künftige Anforderungen an öffentliche Auftraggeber
Die Vorschläge der Kommission geben zwar bereits einen Eindruck, wohin die Reise gehen soll, sie werfen aber auch eine Vielzahl von Fragen auf, die es im weiteren Verlauf der Debatte zu klären gilt.
Die Forderung nach einer Meldung durch die Unternehmen klingt zunächst nach einer bekannten Vorgehensweise und wird in der Praxis wohl im Wege von Formblättern abgefragt werden. Neben den bereits bekannten Formblättern zu den Ausschlussgründen nach §§ 123, 124 GWB, Tariftreueerklärungen, Scientology-Schutzklauseln und ähnlicher Erklärungen wird sich daher der Umfang der einzureichenden Unterlagen und damit der Aufwand für die Unternehmen und Auftraggeber noch erhöhen.
Noch gänzlich ungeklärt ist, wer die Aufgabe der nationalen Aufsichtsbehörde übernehmen soll. Die Beantwortung dieser Frage liegt naturgemäß in der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit, Themen der Staatsorganisation eigenständig zu regeln.
Dabei wirft die Einbindung nationaler oder gegebenenfalls sogar europäischer Aufsichtsbehörden natürlich unmittelbar Fragen nach der zeitlichen Dimension einer solchen Einbindung auf. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stehen Vergabestellen in öffentlichen Vergabeverfahren aus diversen Gründen unter erheblichem Zeitdruck. Hierzu führt die Kommission aus, dass Verzögerungen durch die Subventionsprüfung weitestgehend verhindert werden sollen. Zu diesem Zweck werden Fristen von 15 Tagen für die Vorprüfung und nicht mehr als drei Monaten für die eingehende Prüfung vorgeschlagen. Diese Vorschläge machen jedoch bereits deutlich, dass derartige Prüfverfahren zeitaufwendig sind und einer sorgfältigen und realistischen Planung im Vorfeld bedürfen. Hierzu ist es insbesondere erforderlich, den potenziellen Bieterkreis zu kennen. Öffentlichen Auftraggebern ist daher zu empfehlen, gerade in subventionsrelevanten Beschaffungsfeldern von Instrumenten wie Markterkundungsverfahren Gebrauch zu machen. Andernfalls besteht die Gefahr von Verzögerungen im Rahmen des Vergabeverfahrens.
Im Hinblick auf die vorgeschlagenen Sanktionsmechanismen dürften sich für viele öffentliche Auftraggeber ebenfalls Fragen stellen. Während der Ausschluss von Unternehmen aus Vergabeverfahren oder die Kündigung von Verträgen zum Tagesgeschäft von Vergabestellen gehört, dürfte die Verhängung und Eintreibung von Bußgeldern Neuland darstellen.
Daneben werden sich zwangsläufig auch eine Reihe von Rechtsfragen ergeben. Neben dem Subventionsbegriff im Allgemeinen, sind auch Nachweisprobleme im Rahmen des Vergabeverfahrens zu erwarten.
Daneben stellt sich bereits jetzt die Frage, wie im Fall einer drittstaatlichen Subvention vergaberechtlich vorzugehen ist. Soll zwingend ein Ausschluss des betreffenden Unternehmens erfolgen? Oder ist eine Berechnung des Subventionsäquivalents und entsprechende fiktive Erhöhung des Angebotspreises im Rahmen der Angebotswertung vorzunehmen? All diese Fragen werden im Verlauf der weiteren Debatte beleuchtet werden müssen.
Fazit: Das Weißbuch als Vorbote für künftige Regelungen
Mit dem Weißbuch hat die Kommission den Auftakt zu einer wichtigen Diskussion geliefert. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass drittstaatliche Subventionen in vielen Beschaffungsbereichen eine gewichtige Rolle spielen. Unternehmen aus Drittstaaten drängen beispielsweise im Bereich der Beschaffung von Zügen und Straßenbahnen, im Schiffsbau und im Rüstungssektor sowie im Anlagenbau immer stärker mit finanzieller Unterstützung aus Drittstaaten in den Markt. Potenzielle Anwendungsfälle betreffen dabei nicht nur die offensichtlichen Sachverhalte mit Unternehmen aus der Volksrepublik China. Mit dem Brexit wird auch Großbritannien im Verhältnis zur EU ein Drittstaat werden. Dies hat zur Folge, dass sich (vorbehaltlich einer gesonderte Einigung auf einen speziellen Zugang zum Binnenmarkt) künftig auch britische Unterstützungsmaßnahmen an derartigen Regelungen werden messen lassen müssen.
Die Konsultationen zum Weißbuch sind bereits abgeschlossen. Anhand der Ergebnisse der Konsultationen wird die Kommission entscheiden, auf welche Weise sich die Zielsetzung, den EU-Binnenmarkt bei Vergabeverfahren vor Subventionen aus Drittstaaten zu schützen, am wirksamsten realisieren lässt. Es ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl der Überlegungen aus dem Weißbuch auch im Rahmen einer künftigen gesetzgeberischen Umsetzung eine Rolle spielen werden.
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