Suche
Contact
28.07.2022 | KPMG Law Insights

Vergabekammer BaWü: Unzulässige Drittlandübermittlung durch den Einsatz des EU-Tochterunternehmens eines US-Dienstleisters

Selten hat die Entscheidung einer Vergabekammer bereits in kurzer Zeit für so viel Aufsehen gesorgt wie der Beschluss der VK Baden-Württemberg vom 13. Juli 2022 (Az. 1 VK 23/22). Der noch nicht rechtskräftige Beschluss ist dabei nicht allein für Vergabeverfahren relevant. Die Ausführungen der Vergabekammer können sich ebenso auf die Auswahl von IT-Dienstleistern im privatrechtlichen Bereich auswirken.

Im zu Grunde liegenden Verfahren ging es um die Beschaffung von Software durch einen öffentlichen Auftraggeber. Das Lastenheft des Auftraggebers enthielt in den Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz insbesondere folgende Voraussetzungen:

„[…]

– Erfüllung der Anforderungen aus der DS-GVO und dem BDSG […]

– Daten werden ausschließlich in einem EU-EWR Rechenzentrum verarbeitet bei dem keine Subdienstleister/ Konzernunternehmen in Drittstaaten ansässig sind

[…]“

Der Zuschlag wurde einem Bieter erteilt, welcher sich zur Erbringung der Server- und Hosting-Leistungen eines Unterauftragnehmers mit Sitz in der EU bediente. Allerdings handelte es sich hierbei um eine Tochtergesellschaft eines US-Konzerns. Der zweitplatzierte Bieter hat hiergegen einen Nachprüfungsantrag gestellt. Unter anderem berief sich der Antragsteller dabei darauf, dass der Einsatz des Rechenzentrumsbetreibers mit US-Muttergesellschaft einen Verstoß gegen Artikel 44 ff. der DSGVO darstelle und damit die Anforderungen der Vergabeunterlagen nicht erfüllt seien.

Einsatz europäischer Tochterunternehmen von US-Dienstleistern als Drittlandübermittlung

Die Vergabekammer folgte der Ansicht des Antragstellers und stellte fest:

„In dem Einsetzen von X. als Hosting-Dienstleister ist eine Übermittlung im Sinne der Art. 44 ff. DS-GVO zu sehen. […].

Der Übermittlungsbegriff ist im Lichte des weil [sic!] gefassten Wortlauts des Art. 44 S. 1 DS-GVO sowie der in Art. 44 S. 2 DS-GVO niedergelegten Anweisung in Bezug auf die Normanwendung auszulegen und damit umfassend zu verstehen: Übermittlung ist jede Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber einem Empfänger in einem Drittland oder einer internationalen Organisation, wobei es weder auf die Art der Offenlegung, noch auf die Offenlegung gegenüber einem Dritten ankommt […].

Eine Zugriffsmöglichkeit – etwa durch Einräumung von Zugriffsrechten konstituiert ein latentes Risiko, dass eine unzulässige Übermittlung personenbezogener Daten stattfinden kann, ohne dass hierfür die in der DS-GVO normierten rechtlichen Grundlagen gegeben sind […].

Gemessen an diesen Maßstäben führt der von der Beigeladenen beabsichtigte Einsatz der X., eine europäische Gesellschaft, deren Muttergesellschaft die in den USA ansässige X. lnc. ist, zu einer unzulässigen Datenübermittlung in ein Drittland.“

Keine ausreichenden Ausgleichsmaßnahmen zur Einhaltung eines angemessenen Datenschutzniveaus

Weiterhin erachtete die Kammer die zwischen dem erfolgreichen Bieter und dem Rechenzentrumsbetreiber geschlossenen Datenschutzverträge sowie die darin vorgesehenen Maßnahmen als nicht ausreichend, um ein angemessenes Datenschutzniveau zu gewährleisten:

„Die Beauftragung der X. durch die Beigeladene basiert unter anderem auf dem „X. GDPR DATA PROCESSING ADDENDUM“. Diese Vereinbarung enthält unter Ziffer 3 eine Klausel, die die Vertraulichkeit von Kundendaten zum Gegenstand hat („Confidentiality of Costumer Data“). Nach dieser Klausel darf auf die Kundendaten seitens X. weder zugegriffen noch dürfen diese verwendet oder an Dritte weitergegeben werden, es sei denn, dies ist zur Aufrechterhaltung oder Bereitstellung der Dienste oder zur Einhaltung von Gesetzen oder wirksamen und rechtskräftigen Anordnungen staatlicher Stellen erforderlich. […]

Ziffer 3 und 12.1 des „X. GDPR DATA PROCESSING ADDENDUM“ sind generalklauselartig gestaltet und eröffnen sowohl staatlichen als auch privaten Stellen außerhalb der EU und insbesondere in den USA im Rahmen der im konkreten Fall jeweils anwendbaren vertraglichen oder gesetzlichen Ermächtigungen eine Möglichkeit, in bestimmten Situationen auf bei der X. gespeicherte Daten zuzugreifen. […]

Schließlich kann sich das latente Risiko jederzeit realisieren. Die Beigeladene gibt durch die Eingehung der Vereinbarung mit X. die Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die der X. anvertrauten Daten jedenfalls partiell aus der Hand. […]

Die Übernahme einer Verpflichtung durch X., zu weit gehende oder unangemessene Anfragen staatlicher Stellen einschließlich solcher Anfragen, die im Widerspruch zum Recht der EU oder zum geltenden Recht der Mitgliedsstaaten stehen, anzufechten, beseitigt das latente Risiko eines Zugriffs durch ebendiese Stellen nicht.“

Unzulässigkeit des Einsatzes von EU-Tochterunternehmen eines US-Dienstleisters

Dementsprechend kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass die festgestellte Datenübermittlung in die USA rechtswidrig erfolgt:

„Hier liegt kein besonderer Erlaubnisgrund nach Art. 44 ff. DS-GVO vor. So fehlt es hier an einem Angemessenheitsbeschluss im Sinne des Art. 45 Abs. 1 DS-GVO. Auch Art. 46 Abs. 2 c), d) DS-GVO greift hier nicht ein. Standarddatenschutzklauseln im Sinne dieser Vorschrift sind nicht geeignet, Übermittlungen per se zu legitimieren; vielmehr bedarf es insofern einer Einzelfallprüfung […]. Diese führt – wie dargelegt – zur Annahme der datenschutzrechtlichen Unzulässigkeit. Ein Ausnahmetatbestand nach Art. 49 DS-GVO ist hier ebenfalls nicht gegeben.“

Die Argumentation der Vergabekammer, eine unzulässige Datenübermittlung in ein Drittland bereits durch den Einsatz eines europäischen Tochterunternehmens einer US-Gesellschaft auf Grund des Vorliegens einer „latenten Gefahr“ anzunehmen, ist nicht unumstritten. Darüber hinaus hat die Vergabekammer aus verfahrensrechtlichen Gründen den Vortrag zu einer vom Rechenzentrumsbetreiber eingesetzten Verschlüsselungstechnik nicht berücksichtigt. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung bemerkenswert. Sie verdeutlicht, dass bereits Zweifel an der datenschutzrechtlichen Compliance sich als echter Wettbewerbsnachteil darstellen können. Auch der enge zeitliche Zusammenhang mit dem kontroversen Einsatz eines US-Cloud-Anbieters im Rahmen des Online-Portals zur Durchführung des Zensus 2022, welcher noch durch den BfDI untersucht wird, macht deutlich, dass das Thema der Drittlandübermittlung – auch im öffentlichen Sektor – zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt. Die Entscheidungen, die eine Rechtswidrigkeit auf Grund mangelnder vertraglicher, technischer und organisatorischer Ausgleichsmaßnahmen annehmen, beginnen sich zu häufen.

Explore #more

29.08.2025 | In den Medien

Statement von Ulrich Keunecke zum Infrastrursondervermögen in Politico

KPMG Law Finanzexperte Ulrich Keunecke erklärt, wie das Sondervermögen Infrastruktur mit Kapital von Privatanlegern gehebelt werden kann. Sie finden den Beitrag in Politico (PayWall). „Wenn…

25.08.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law berät APELOS im Rahmen der Refinanzierung und dem Kauf einer Praxisgruppe mit rund 50 Praxisstandorten.

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) und die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) haben die APELOS Therapie GmbH, eine führende Therapiepraxisgruppe in Deutschland, im Rahmen…

15.08.2025 | In den Medien

KPMG Law Statement in Die-Stiftung.de zum Thema Stiftungsregister – Der lange Weg zur digitalen Ordnung

Das Inkrafttreten der Stiftungsrechtsreform am 1. Juli 2023 markiert einen Wendepunkt im deutschen Stiftungswesen. Die Liste der nicht unumstrittenen Änderungen ist lang und soll auch…

14.08.2025 | KPMG Law Insights

Elektromobilität in der Logistik – rechtliche Herausforderungen

Um ihren CO2-Ausstoß zu verringern, setzt die Logistikbranche immer mehr auf Elektromobilität. Nicht nur die ESG-Regulatorik wie die Berichtspflichten sind die Ursache hierfür, auch…

07.08.2025 | KPMG Law Insights

NIS2: So müssen sich Energieversorger vor Cyberangriffen schützen

Im Juli 2025 meldete der Militärische Abschirmdienst Medienberichten zufolge einen deutlichen Anstieg von Ausspähversuchen und Störmaßnahmen durch den russischen Geheimdienst. Dass auch die deutsche Energieinfrastruktur…

06.08.2025 | KPMG Law Insights

Steueroasen: Wenn Geschäftsbeziehungen ein Strafverfahren auslösen

Ein deutsches Tech-Unternehmen zahlte seit Jahren Lizenzgebühren an einen Vertragspartner in Panama, ohne je Probleme gehabt zu haben. Nur wenige wussten jedoch, dass Panama seit

06.08.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law, KPMG in Deutschland und KPMG in der Schweiz haben Bureau Veritas bei der Übernahme von Dornier Hinneburg und dessen Schweizer Tochtergesellschaft Hinneburg Swiss beraten

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) hat gemeinsam mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) und der KPMG AG Switzerland die Bureau Veritas Gruppe (Bureau…

05.08.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law berät Athagoras Holding GmbH beim Erwerb der IGES Gruppe

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) hat die Athagoras Holding GmbH, eine Plattform des Münchener PE Hauses Greenpeak Partners, bei der Akquisition der IGES…

05.08.2025 | In den Medien

Wirtschaftswoche zeichnet KPMG Law als Top Kanzlei im Vergaberecht aus

Das aktuelle Ranking des Handelsblatt Research Instituts in Kooperation mit der WirtschaftsWoche hat die Top Kanzleien sowie Top-Anwält:innen in den Rechtsgebieten „Vergaberecht“, „Umwelt- und Bauplanungsrecht“…

04.08.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law und KPMG AG beraten NMP Germany bei dem Kauf der DESMA Schuhmaschinen GmbH

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) hat die NMP Germany GmbH (NMP) bei dem Kauf der DESMA Schuhmaschinen GmbH (DESMA) rechtlich beraten. KPMG Law…

Kontakt

Sebastian Hoegl, LL.M. (Wellington)

Senior Manager
Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht
LL.M. (Wellington)

Heinrich-von-Stephan-Straße 23
79100 Freiburg im Breisgau

Tel.: +49 761 769999-20
shoegl@kpmg-law.com

Francois Heynike, LL.M. (Stellenbosch)

Partner
Leiter Technologierecht

THE SQUAIRE Am Flughafen
60549 Frankfurt am Main

Tel.: +49-69-951195770
fheynike@kpmg-law.com

© 2025 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll