Hintergrund:
OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaften (OGAW-KVGen) haben für ihre Vergütungssysteme seit dem 1. Januar 2017 die „Leitlinien für solide Vergütungspolitiken unter Berücksichtigung der OGAW-Richtlinie“ der ESMA (OGAW-Leitlinien) zu beachten, die die Vorgaben der OGAW-Richtlinie (2014/91/EU) zu den Vergütungssystemen konkretisieren. In der Praxis bereitet der in den OGAW-Leitlinien erörterte Proportionalitätsgrundsatz große Herausforderungen. Dies v.a. mit Blick darauf, ob OGAW-KVGen – vergleichbar wie AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften (AIF-KVGen) – auf die Anwendung einzelner regulatorischen Vorgaben verzichten können.
Der Europäische Gesetzgeber hat in der – drei Jahre nach der AIF-Richtlinie (2011/61/EU) erlassen – OGAW-Richtlinie erstmals gesetzliche Vorgaben für die Vergütungssysteme von OGAW-KVGen aufgestellt. Die ESMA ist mit den OGAW-Leitlinien ihrem in der OGAW-Richtlinie bestimmten Auftrag nachgekommen, der Praxis Leitlinien zur Anwendung der Vorgaben der OGAW-Richtlinie in den Vergütungssystemen zur Verfügung zu stellen. Sie hatte sich in der Ausgestaltung der OGAW-Leitlinien gemäß der Vorgabe der OGAW-Richtlinie an ihre Leitlinie für solide Vergütungspolitiken unter Berücksichtigung der AIF-Richtlinie (AIF-Leitlinie) zu orientieren.
Die OGAW-Richtlinie und die OGAW-Leitlinien sind für OGAW-KVGen mit Sitz in Deutschland verbindlich. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher von der im KAGB bestimmten Ermächtigung für eine Verordnung zur gesetzlichen Konkretisierung der Vorgaben für die Vergütungssysteme von OGAW-KVGen keinen Gebrauch gemacht.
1. Welchen Inhalt hat der Proportionalitätsgrundsatz für die Vergütungssysteme im Ausgangspunkt?
Der Proportionalitätsgrundsatz ist Ausfluss des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: OGAW-KVGen sollen die regulatorischen Vorgaben in ihre Vergütungssysteme in einer Art und einem Ausmaß umsetzen, die ihrer Größe, ihrer internen Organisation, dem Umfang und der Komplexität ihrer Geschäfte angemessen sind. Er ermöglicht der einzelnen OGAW-KVG eine eigenständige und bedarfsgerechte Umsetzung der Vorgaben. Die eigenständige Umsetzung ist auf der Basis einer individuellen Risikobeurteilung durchzuführen. Sie hat den Zweck der regulatorischen Vorgaben zu beachten, der im Kern auf die Risikosteuerung der (identifizierten) Mitarbeiter durch monetäre Verhaltensanreize gerichtet ist. Die OGAW-Richtlinie stellt für die bedarfsgerechte Umsetzung verschiedene Gestaltungsspielräume zur Verfügung, die sich auf eine individuelle Ausgestaltung der Auszahlung variablen Vergütung von identifizierten Mitarbeitern fokussieren, insbesondere mit Bezug auf die regulatorischen Vorgaben zur (i) Vergütung in Instrumenten, (ii) Sperrfrist, (iii) Deferral und (iv) nachträglichen Risikobewertung und damit verknüpfter Malusregelungen.
Die Risikobeurteilung ist zur Darlegung der konkreten Umsetzungsentscheidung u.a. gegenüber dem Abschlussprüfer und gegenüber der Finanzaufsicht transparent zu dokumentieren.
2. Welche Reichweite hat der Proportionalitätsgrundsatz bei AIF-KVGen?
AIF-KVGen können nach den Verlautbarungen der ESMA in der ESMA-Leitlinie auf die Umsetzung von einzelnen regulatorischen Vorgaben in die Vergütungssysteme der identifizierten Mitarbeiter vollständig verzichten, wenn sie plausibel begründen können, dass die Umsetzung mit Blick auf den Zweck der regulatorischen Vorgaben nicht erforderlich ist. Sie können konkret absehen von einer Umsetzung der vorgenannten Vorgaben zur Auszahlung der variablen Vergütung, sowie von der Errichtung eines Vergütungsausschusses. In der Praxis haben die AIF-KVGen in unterschiedlicher Weise von diesen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht. Einzelne KVGen haben auf die Umsetzung der vorgenannten Vorgaben umfassend verzichtet; dies mitunter mit einem großen Aufwand bei der plausiblen Begründung der Abwahl.
3. Welche Reichweite hat der Proportionalitätsgrundsatz bei OGAW-KVGen nach den OGAW-Leitlinien?
Die OGAW-Leitlinien enthalten keine ausdrücklichen Ausführungen zu einem Verzicht auf die Umsetzung der regulatorischen Vorgaben. Die ESMA begründet diese – gegenüber den Verlautbarungen in der AIF-Richtlinie defensivere – Vorgehensweise damit, dass sie bei der inhaltlichen Ausfüllung der OGAW-Leitlinien den in der OGAW-Richtlinie verankerten weiteren Leitgedanken einer engen Zusammenarbeit mit der EBA zu beachten hatte und den Verzicht auf die Umsetzung von einzelnen regulatorischen Vorgaben in Abstimmung mit der EBA zulassen würde. Die EBA hat in ihren Leitlinien zu den regulatorischen Vorgaben der CRD IV (2013/36(EU) zu den Vergütungssystemen bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsunternehmen (Institute) einen Verzicht auf die Umsetzung von einzelnen regulatorischen Vorgaben gemäß der aktuellen Gesetzeslage abgelehnt und den Gesetzgeber zu einer gesetzlichen Klarstellung aufgefordert. Die Europäische Kommission ist dieser Aufforderung mit einem am 23. November 2016 veröffentlichten Vorschlag zur Ergänzung der CRD IV nachgekommen. Der Vorschlag sieht unter anderem vor, dass Institute mit einer Bilanzsumme von maximal 5 Mrd. EUR bei der variablen Vergütung der als Risikoträger identifizierten Mitarbeiter auf einen Deferral sowie auf die Gewährung eines Teils der variablen Vergütung in Instrumenten verzichten können. Der Vorschlag zur Ergänzung der CRD IV befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren.
Die ESMA hatte bereits vor dem Vorschlag der Europäischen Kommission in einer weiteren Verlautbarung vom 31. März 2016 ausgeführt, dass sie bis zu einer gesetzlichen Modifizierung den in der AIF-Leitlinie als zulässig erachteten Verzicht auf die Umsetzung von einzelnen regulatorischen Vorgaben nicht (mehr) explizit empfehlen wird.
4. Wie ist der aktuelle Status des Proportionalitätsgrundsatzes bei OGAW-KVGen in der Praxis zu behandeln?
Die ESMA hat in ihrer Verlautbarung vom 31. März 2016 zu ihrer Position zum möglichen Verzicht auf die Umsetzung von einzelnen regulatorischen Vorgaben ausgeführt, dass sie alternativ die Verlautbarung einer umfassenden Umsetzung der regulatorischen Vorgaben der AIF-Richtlinie und der OGAW-Richtlinie in Erwägung gezogen hat; diese Erwägung aber mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz letztlich verworfen hat. Diese Aussage der ESMA macht eine Anwendung des Proportionalitätsgrundsatzes mit der Möglichkeit des Verzichts auf die Umsetzung von einzelnen Vorgaben der OGAW-Richtlinie nicht von vornherein unzulässig; die konkret bestimmten Vergütungsparameter sind vielmehr nach Maßgabe der in Art. 14a, 14b der OGAW-Richtlinie vorgegebenen Beurteilungskriterien zu bestimmen und die konkrete (Nicht-) Umsetzung von einzelnen regulatorischen Vorgaben ist in einer geeigneten Dokumentation transparent und nachvollziehbar zu beurteilen. OGAW-KVGen können die maßgeblichen Parameter im Konzept zur Umsetzung der regulatorischen Vorgaben entsprechend berücksichtigen.
Ausblick
Die Ergänzung der CRD IV wird voraussichtlich frühestens im vierten Quartal 2017 in Kraft treten. Es ist damit zu rechnen, dass EBA und ESMA nach dem Inkrafttreten ihre Leitlinien jeweils in Bezug auf den Verzicht auf einzelne regulatorische Vorgaben anpassen werden. Wir halten Sie zu den weiteren Entwicklungen mit unserem Client Alert auf dem Laufenden.
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