Suche
Contact
27.02.2020 | KPMG Law Insights

Societas Europaea (SE) – Update Leiharbeitnehmer und unternehmerische Mitbestimmung

Societas Europaea (SE) – Update Leiharbeitnehmer und unternehmerische Mitbestimmung

Ein im Juni 2019 ergangener Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) hat Auswirkungen auf das maßgebliche Mitbestimmungsniveau in Unternehmen und Unternehmensgruppen, in denen Leiharbeitnehmer beschäftigt werden:

BGH, Beschluss v. 25. Juni 2019 – II ZB 21/18
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern in der Unternehmensmitbestimmung – Arbeitsplatzbezogene Betrachtung 

Ausgangslage

Sobald die Arbeitnehmerzahl in einem Unternehmen regelmäßig die Grenze von 500 bzw. 2.000 Mitarbeitern überschreitet, ist ein mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzter Aufsichtsrat zu bilden (§ 1 Abs. 1 DrittelbG und § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG). Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sieht vor, dass bei der Ermittlung der relevanten Schwellenwerte auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind (§ 14 Abs. 2 S. 5 AÜG). Das soll jedenfalls gelten, wenn „die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt“ (§ 14 Abs. 2 S. 6 AÜG). Bislang wurde kont-rovers diskutiert, wie das Merkmal der „Einsatzdauer von sechs Monaten“ auszulegen sei. Nach einer Ansicht in der Fachliteratur sollte entscheidend sein, dass ein konkreter Mitarbeiter mehr als sechs Monate im Entleiherunternehmen eingesetzt war (arbeitnehmerbezogene Betrachtung). Die Gegenansicht stellte abstrakt darauf auf, ob auf einem bestimmten Arbeitsplatz im Unternehmen für mehr als sechs Monate Leiharbeitnehmer – auch wenn diese personenverschieden sind – eingesetzt wurden (arbeitsplatzbezogene Betrachtung).

Entscheidung des BGH

Mit Beschluss vom 25. Juni 2019 hat der BGH nun über diese für die Praxis relevante Frage entschieden. Er geht davon aus, dass das Merkmal der „Einsatzdauer“ arbeitsplatzbezogen zu verstehen ist. Maßgeblich sei, ob ein Unternehmen „während eines Jahres über die Dauer von mehr als sechs Monaten“ Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetze. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um den Einsatz bestimmter oder wechselnder Leiharbeitnehmer handele. Bei der Ermittlung ist laut Beschluss wie folgt vorzugehen: Zunächst ist zu prüfen, ob und wie viele Arbeitsplätze das Entleiherunternehmen während eines Jahres und über die Dauer von mehr als sechs Mo-naten mit Leiharbeitnehmern besetzt (Stufe 1). Wird die Stufe 1 bejaht, kommt es weiterhin darauf an, ob der Leiharbeitnehmereinsatz als „regelmäßige Beschäftigung“ im Sinne der Mitbestimmungsgesetze (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG oder § 1 Abs. 1 Drit-telbG) anzusehen ist (Stufe 2). Das wäre nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts z.B. dann zu verneinen, wenn „zeitlich begrenzte Aufgaben“ (z.B. saisonal bedingte Aufträge) einen Einsatz von Leiharbeitern erfordern, der zwar die Dauer von sechs Monaten übersteigt, jedoch nicht „längerfristig als Instrument zur Deckung des Personalbedarfs im Betrieb“ dient.

Empfehlungen für die Praxis

Die arbeitsplatzbezogene Betrachtung des BGH ist künftig für die Bestimmung der Schwellenwerte in den Mitbestimmungsgesetzen zu berücksichtigen. Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, die Leiharbeitnehmer beschäftigen und die entsprechende Mitarbeiterzahlen bislang auf Basis einer „arbeitnehmerbezogenen“ Betrachtung ermittelt haben, müssen eine aktualisierte Berechnung vornehmen. Entscheidend ist dies für Unternehmen, die sich derzeit noch unterhalb der Grenze von 500 oder 2.000 Mitarbeitern befinden, und erstmals einen Aufsichtsrat mit Arbeitnehmervertretern einrichten müssten. Bereits bestehende mitbestimmte Aufsichtsräte sind ggf. zu vergrößern (§ 7 Abs. 1 Mit-bestG). Da der Leiharbeitnehmereinsatz für die Berücksichtigung bei den Schwellenwerten des Mitbestimmungsrechts zusätzlich eine „regelmäßige Beschäftigung“ darstellen muss, ist auch in Zukunft stets eine differenzierte Einzelfallbetrachtung erforderlich.

Gestaltungsoption Societas Europaea

Angesichts der Verschärfung im Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung stellt sich für Unter-nehmen und Unternehmensgruppen einmal mehr die Frage, ob sie mit einer Societas Europaea (Europäi-sche Gesellschaft, kurz: SE) besser aufgestellt sind: Die SE unterliegt als europäische Rechtsform nicht der direkten Anwendung des deutschen Mitbestimmungsrechts. Zudem führen europäische Bestimmungen dazu, dass das bei Gründung der SE vorhandene Mitbestimmungsniveau eingefroren werden kann. Das bietet Gestaltungsoptionen bei der Bildung wie auch bei der Ausgestaltung mitbestimmter Aufsichtsräte.
Die SE hat sich nicht zuletzt hierdurch innerhalb weniger Jahre zu einem beliebtem Alternativmodell gegenüber den in Deutschland vorgesehenen Gesellschaftsrechtsformen entwickelt. Attraktivität verleiht der SE dabei zudem ihre internationale Ausrichtung. Durch Wahlrechte hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur können darüber hinaus Eigenschaften einer Aktiengesellschaft mit solchen der GmbH kombiniert werden, was z.B. bei familiengeführten Unternehmensgruppen interessant sein kann. Die SE hat gerade in Deutschland eine nachhaltige Praxisfestigkeit erlangt. Von derzeit ca. 640 in Europa operativ tätigen SE (Stand: November 2019) haben ca. 350 ihren Sitz hierzulande.

 

 

Explore #more

29.01.2025 | KPMG Law Insights

Grüner Wasserstoff aus Abwasser – rechtliche Hürden bei der Herstellung

Wasserstoff liefert deutlich mehr Energie als Benzin oder Diesel. Wird er mit erneuerbaren Energien hergestellt, kann Wasserstoff einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Erst vor…

29.01.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law begleitet HWP beim Erwerb der Hydro-Tech GmbH

Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) hat die HWP Handwerkspartner Gruppe (HWP) beim Erwerb der Hydro-Tech GmbH Hochdruck- und Reinigungstechniken Maler und Betoninstandsetzungsarbeiten (Hydro-Tech)…

29.01.2025 | KPMG Law Insights

Was die Green Claims Directive für Unternehmen bedeutet – ein Überblick

Mit der Green Claims Directive wird die EU umfangreiche Regelungen zu den Voraussetzungen zulässiger Umweltaussagen einführen. Das Ziel ist, Greenwashing zu verhindern, damit Verbraucher:innen künftig…

27.01.2025 | In den Medien

Merger control and national security: key considerations for corporate transactions

Financier Worldwide discusses key merger control and national security considerations for corporate transactions with Lisa Navarro, Stuart Bedford, Gerrit Rixen (KPMG Law Germany), Helen Roxburgh…

24.01.2025 | In den Medien

Gastbeitrag in der ESGZ: Chancen mit Diskriminierungsrisiken: KI im Bereich Human Resources

Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht länger Zukunftsmusik, sondern verändert bereits die Arbeitswelt in rasantem Tempo. Unternehmen setzen zunehmend auf KI-basierte Lösungen, um Prozesse zu optimieren…

24.01.2025 | Dealmeldungen

KPMG Law berät DKB bei Joint Ventures mit Sparkassen-Finanzgruppe im Kreditprocessing

KPMG Law berät die Deutsche Kreditbank AG (DKB) bei der Errichtung eines Joint Ventures im Bereich Kreditkartenprocessing mit Gesellschaften der Sparkassen-Finanzgruppe. Die KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft…

24.01.2025 | KPMG Law Insights

Tübinger Verpackungssteuersatzung ist verfassungsgemäß

Die Tübinger Verpackungssteuer ist verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verpackungssteuersatzung der Universitätsstadt Tübingen zurückgewiesen. Der Beschluss vom 27. November 2024 (1 BvR

22.01.2025 | KPMG Law Insights

Die EU-Verpackungsverordnung macht strenge Vorgaben für Verpackungen

Die Verpackungsverordnung tritt am 11. Februar 2025 in Kraft. Nachdem das Europäische Parlament bereits am 24. April 2024 den Entwurf der Kommission angenommen hatte, hatten…

22.01.2025 | In den Medien

Interview im Versicherungsmonitor zum Digital Operational Resilience Act (DORA)

Seit dem 17. Januar gelten die Regeln des Digital Operational Resilience Act (DORA), der die europäischen Finanzunternehmen weniger anfällig für IT-Risiken machen soll. Im Interview…

20.01.2025 | KPMG Law Insights

Governance für Bauprojekte – diese fünf Kriterien bestimmen den Erfolg

Immer wieder scheitern große Bauprojekte an demselben Problem. Es fehlt an einer passenden Governance. Die Reformkommission des damaligen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur hat…

Kontakt

Dr. Heiko Hoffmann

Partner
Standortleiter München
Leiter Steuerstrafrecht

Friedenstraße 10
81671 München

Tel.: +49 89 59976061652
HHoffmann@kpmg-law.com

Dr. Stefan Middendorf

Partner

Tersteegenstraße 19-23
40474 Düsseldorf

Tel.: +49 211 4155597316
smiddendorf@kpmg-law.com

Anna Reimann

Senior Manager

Friedenstraße 10
81671 München

Tel.: +49 89 59976061124
annareimann@kpmg-law.com

© 2024 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll