Suche
Contact
Symbolbild zur Kontrolle des Fremdpersonaleinsatzes durch KIRA: Mann schaut auf Bildschirm
06.11.2025 | KPMG Law Insights

Fremdpersonal: Behörden verschärfen Prüfung mit KI-Unterstützung

KI ist für viele Unternehmen ein Segen, sie kann aber auch schnell zum Fluch werden, gerade dann, wenn Behörden die Technik nutzen, um Rechtsverstöße von Unternehmen aufzudecken. Genau das beabsichtigt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) bei ihren Betriebsprüfungen. Sie hat ein Tool namens KIRA entwickelt, das digitale Unterlagen scannt und nach Auffälligkeiten und Risikomustern durchsucht. Dies kann Unternehmen vor allem beim Fremdpersonaleinsatz zum Verhängnis werden. Denn hier waren die Möglichkeiten zur Aufdeckung von Verstößen bisher begrenzt. Die DRV prüft nach eigenen Angaben mit rund 1.700 Mitarbeitenden ca. 400.000 Betriebe im Jahr. Wenn also pro Prüfung weniger als ein Tag zur Verfügung steht, fallen viele Verstöße durchs Raster. Hinzu kommt, dass die DRV bei Betriebsprüfungen bisher nur die Lohnbuchhaltung in Augenschein genommen hat. Erst seit 2025 prüft sie auch die Finanzbuchhaltung, wo Rechnungen für Fremdpersonal normalerweise verbucht werden.

Neue Befugnisse soll auch der Zoll im Kampf gegen Schwarzarbeit – und damit auch gegen Scheinselbständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung – bekommen: Der im August 2025 im Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung und Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung erlaubt den Einsatz digitaler und datengestützter Prüfungs- und Ermittlungsmethoden einschließlich künstlicher Intelligenz.

Die Konsequenzen von aufgedeckten Fällen sind schwerwiegend: Es drohen hohe Nachzahlungen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, Bußgelder und sogar eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen wegen der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern.

KIRA sucht gezielt nach Fällen von Scheinselbständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung

Aufdecken kann die DRV mit KIRA Fälle von Scheinselbständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung.

Von Scheinselbstständigkeit spricht man, wenn eine natürliche Person formal als selbstständig beauftragt wird – in der Regel über einen Werk- oder Dienstvertrag – tatsächlich aber wie ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin behandelt wird (insbesondere Weisungen unterliegt) und/oder in den Betrieb organisatorisch eingegliedert ist. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Person weisungsgebunden arbeitet, feste Arbeitszeiten einhält, ausschließlich für einen Auftraggeber tätig ist oder dessen Arbeitsmittel nutzt. Stellt die DRV Scheinselbständigkeit fest, gilt das Vertragsverhältnis rückwirkend als abhängige Beschäftigung. Das Unternehmen muss Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, in der Regel auch den Arbeitnehmeranteil. Zusätzlich drohen Säumniszuschläge, Bußgelder und je nach Umfang strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Personen (in der Regel Geschäftsleitung).

Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn ein Unternehmen über einen Dienstvertrag oder Werkvertrag einem anderen Unternehmen Personal überlässt und dieses fremde Personal – wie zuvor – in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert ist und/oder dessen Weisungen unterliegt. Die Vertragsleistung wird in diesen Fällen dann gerade nicht auf Basis eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) erbracht. Wird eine unerlaubte Überlassung aufgedeckt, gelten im Grundsatz dieselben Rechtsfolgen wie bei der Scheinselbständigkeit, vor allem müssen Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge nachentrichtet werden. Und: Es kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen dem eingesetzten Personal und dem Auftraggeber zustande – mit allen Rechten und Pflichten. Ferner drohen auch hier Bußgelder sowie – je nach Umfang – auch strafrechtliche Verfolgung.

Nach solchen Konstellationen sucht die DRV mit KIRA künftig gezielt in ihren Betriebsprüfungen. Und sie kann fündig werden, auch wenn der Verstoß vom Unternehmen nicht gewollt war.

Die Arbeitsweise von KIRA

Die Beschäftigung von Scheinselbständigen oder die Inanspruchnahme einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sind selten beabsichtigt. Vielmehr sind sie oft die Folge von Unkenntnis und Unachtsamkeit, sowohl bei der Beauftragung, der Gestaltung der Verträge und der Rechnungsstellung als auch bei der Ausgestaltung der tatsächlichen Zusammenarbeit.

Insbesondere schriftliche Unterlagen wird KIRA künftig in Betriebsprüfungen auswerten. Die Software scannt dabei alle digital vorhandenen Daten der Unternehmen, sucht nach Mustern und Auffälligkeiten. Dazu zählen beispielsweise ungewöhnlich hohe oder niedrige Zahlbeträge und fehlende Nachweise.  Die Mitarbeitenden des Prüfdienstes gehen den gefundenen Auffälligkeiten nach und können mit diesen Anhaltspunkten in die Detailprüfungen einsteigen.

Hinweise für Scheinselbständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung bleibt in der Praxis eine der größten Herausforderungen beim Einsatz von Fremdpersonal.

Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung bzw. abhängige Beschäftigung liefern oftmals die abgeschlossenen Verträge, die Leistungsbeschreibungen und die Rechnungen.

Typische Risikosignale sind

  • regelmäßig wiederkehrende oder gleichförmige Abrechnungen,
  • eine fehlende Konkretisierung der beauftragten Leistungen oder
  • ein Leistungszeitraum, der dem Charakter einer dauerhaften Mitarbeit entspricht.

Solche Hinweise können schnell von KIRA erkannt und zu einer Neubewertung der Vertragsverhältnisse führen.

Rechtsverstöße und Fehler beruhen meist auf Unkenntnis

In der Regel beauftragt der Einkauf die externen Leistungen. Nicht immer verfügen die Mitarbeitenden dort über die notwendigen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Kenntnisse oder sind hinreichend sensibilisiert. Die Personalabteilung wird oftmals nicht hinzugezogen, weil ja gerade keine Arbeitsverhältnisse begründet werden sollen. In manchen Unternehmen erfolgt die Beauftragung auch direkt über die Fachabteilungen wie das Facility Management oder die IT-Abteilung. Dies macht es noch schwieriger, die damit verbundenen Risiken zu erkennen.

Nicht selten weicht zudem die tatsächliche Durchführung der Zusammenarbeit von der vertraglichen Gestaltung ab, etwa durch eine faktische Eingliederung in betriebliche Strukturen, die Nutzung interner Arbeitsmittel oder eine enge Abstimmung mit Führungskräften.

Gerade diese Diskrepanz zwischen Vertragslage und tatsächlicher Umsetzung ist es, die im Rahmen von Betriebsprüfungen zunehmend in den Fokus rückt und aufgrund KI-basierten Auswertungen nun auch quantitativ und qualitativ durch die DRV besser erfasst werden kann.

Unternehmen sollten einen Fremdpersonal-Compliance-Prozess etablieren

Vor dem Hintergrund der drohenden wirtschaftlichen und persönlichen Haftungsfolgen und des durch KIRA erheblich gestiegenen Entdeckungsrisikos sollte jedes Unternehmen einen Fremdpersonal-Compliance-Prozess etablieren. Dieser sollte sicherstellen, dass externe Beauftragungen keine Risiken für Scheinselbständigkeit oder verdeckte Arbeitnehmerüberlassung beinhalten. Da sich die Bewertungspraxis der DRV, Gesetze und insbesondere auch die Rechtsprechung ständig fortentwickeln, sollte dieser Prozess auch regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden.

Auf die kommenden Betriebsprüfungen mit KIRA sollten sich Unternehmen gut vorbereiten. Insbesondere sollten sie digitale Dokumente im Zusammenhang mit der Beauftragung fremder Leistungen in den Systemen der Finanzbuchhaltung und des Einkaufs – idealerweise ebenfalls mit KI-Unterstützung – auf Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung überprüfen. Werden solche Hinweise tatsächlich entdeckt, sollte das Unternehmen prüfen, ob für die Vergangenheit rechtliche Handlungspflichten bestehen. Für die Zukunft sollte zudem ein Fremdpersonal-Compliance-Prozess so aufgesetzt werden, dass Risiken einer abhängigen Beschäftigung möglichst ausgeschlossen und mithin wirtschaftliche und persönliche Haftungsfolgen vermieden werden.

 

Explore #more

26.11.2025 | KPMG Law Insights

Die Entwaldungsverordnung der EU zwingt Unternehmen zum Handeln

Wer mit den Rohstoffen Soja, Ölpalme, Rinder, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz sowie bestimmten daraus hergestellten Erzeugnissen handelt oder diese verwendet, sollte schnellstmöglich aktiv werden.…

25.11.2025 | KPMG Law Insights

Sondervermögen Infrastruktur: So gelingt der Verwaltung eine schnelle Umsetzung der Projekte

Die gesetzlichen Grundlagen des Sondervermögens sind jetzt in Kraft. Der Bund hat im Oktober 2025 sowohl das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Infrastruktur und Klimaneutralität“…

21.11.2025 | In den Medien

KPMG Law Interview in Immobilien I Haufe: Ersatzbaustoffe: „Sekundär ist nicht zweitklassig“

Die Ersatzbaustoffverordnung soll Kreislaufwirtschaft im Bau harmonisieren, doch Rechtsunsicherheit und Bürokratie bremsen. Wie kann der Durchbruch gelingen? Antworten darauf weiß KPMG Law Experte Simon Meyer

21.11.2025 | KPMG Law Insights

Wohnungsbau-Turbo: Mehr Wohnraum auf Bestandsgrundstücken

Seit dem 30. Oktober 2025 gelten neue Regelungen zur Schaffung von Wohnraum im Baugesetzbuch (BauGB). Herzstück der Änderungen ist der sogenannte Wohnungsbau-Turbo. Das Gesetzespaket…

19.11.2025 | KPMG Law Insights

Neues Verpackungsdurchführungsgesetz verschärft Pflichten für Unternehmen

Mit einem neuen Verpackungsdurchführungsgesetz (VerpackDG) soll das deutsche Recht an die EU-Verpackungsverordnung angepasst werden. Das Bundesumweltministerium hat am 17. November 2025 einen Referentenentwurf vorgelegt. Das…

18.11.2025 | In den Medien

KPMG Law Statement in der FAZ zum Thema Deepfakes

Betrüger fälschen kinderleicht Rechnungen oder treten sogar als Firmenchefs auf. Unternehmen können sich dagegen wehren, doch Wunderwaffen gegen KI-Angriffe gibt es keine. KPMG Law Experte…

17.11.2025 | KPMG Law Insights

Videoüberwachung im Mietobjekt: Was sollten Vermieter beachten?

Die Videoüberwachung von vermieteten Immobilien ist nur unter strengen rechtlichen Voraussetzungen möglich. Immer mehr Eigentümer möchten ihre Objekte auf diese Weise im Blick behalten und…

13.11.2025 | KPMG Law Insights

KI in der Rechtsabteilung implementieren – das sind die Erfolgsfaktoren

Künstliche Intelligenz (KI) nutzt der Rechtsabteilung nur dann, wenn sie richtig implementiert wird. Die Technologie verspricht, zeitintensive Routinearbeiten zu automatisieren und die Qualität juristischer Arbeit…

13.11.2025 | KPMG Law Insights

Erstes Omnibus-Paket soll Pflichten der CSDDD, CSRD und EU-Taxonomie lockern

Am 13. November 2025 hat das EU-Parlament über seine Verhandlungsposition bezüglich des sogenannten Omnibus-Paketes gestimmt, das Lockerungen der CSRD, der CSDDD und der Taxonomie vorsieht.…

12.11.2025 | In den Medien

KPMG Law Statement im In-house Counsel: Mehr Stabilität unter dem Dach der Corporate Governance

Über „Corporate Governance“ wird angesichts multipler Krisen und Regulierungstendenzen der Gesetzgeber viel gesprochen. Was ist das eigentlich – eine „gute“ Corporate Governance? Wie lässt sich…

Kontakt

Andreas Pruksch

Partner

Theodor-Heuss-Straße 5
70174 Stuttgart

Tel.: +49 711 781923-419
apruksch@kpmg-law.com

Dr. Stefan Middendorf

Partner

Tersteegenstraße 19-23
40474 Düsseldorf

Tel.: +49 211 4155597316
smiddendorf@kpmg-law.com

© 2025 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll