Forderungen gegen vermögenslose Limited Companies nach dem Brexit wieder werthaltig?
Das Bundesministerium der Finanzen hat am 30.12.2020 veröffentlicht (BStBl. I 2021, S. 46 ff), dass die Finanzverwaltung britische Gesellschaften mit Hauptverwaltungssitz in Deutschland ab dem 1.1.2021 nicht mehr anerkennt. Dies entspricht der in Deutschland von der Rechtsprechung traditionell vertretenen Sitztheorie. Die Sitztheorie wird gegenüber ausländischen Gesellschaften angewendet, sofern diese nicht aufgrund europäischem Recht oder aufgrund staatsvertraglicher Regelungen privilegiert sind. Nur aufgrund einer solchen Privilegierung werden ausländische Gesellschaften unabhängig vom Ort ihrer Hauptverwaltung ihrem Heimatrecht unterstellt. Das in letzter Minute abgeschlossener Handels- und Kooperationsabkommen mit dem Vereinigten Königreich vermittelt einen solchen Schutz nach Ansicht des BMF nicht. Das bedeutet, „eine Limited mit Geschäftsleitung in Deutschland (wird) zivilrechtlich – sofern mehrere Personen an ihr beteiligt sind – als eine der in Deutschland zur Verfügung stehenden Auffangrechtsformen behandelt, das heißt als offene Handelsgesellschaft (OHG) oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Ist nur eine Person an der Gesellschaft beteiligt, tritt zivilrechtlich der bisherige Alleingesellschafter als natürliche oder juristische Person an die Stelle der Limited.“ Zivilrechtlich sind dann „alle Aktiva und Passiva einer Mehr-Personen-Limited der Personengesellschaft, alle Aktiva und Passiva einer Ein-Personen-Limited ihrem bisherigen Alleingesellschafter zuzuordnen.“
Für die Gläubiger einer solchen Limited eröffnet sich damit zusätzliche Haftungsmasse. Denn während der Schutz des EU Rechts dazu führte, dass für die Verbindlichkeiten einer solchen Limited nur das Gesellschaftsvermögen haftete, können jetzt auch deren Gesellschafter dafür in Anspruch genommen werden. Denn die Gesellschafter einer OHG oder einer GbR haften bekanntlich unbeschränkt auch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Für den Alleingesellschafter, der Aktiva und Passiva der Limited im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt, gilt dies ohnehin. Forderungen gegen im Wesentlichen vermögenslose britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland werden durch diese zusätzlichen Schuldner möglicherweise wieder werthaltig. Gerade dort, wo solche Forderungen bisher nicht gerichtlich geltend gemacht wurden, weil es im Falle des Obsiegens kein ausreichendes vollstreckungsfähiges Vermögen gab, wird eine Klage jetzt möglicherweise doch attraktiv.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass dieses Verständnis der Rechtsfolgen des Brexit zwar aktuell herrschend, aber keinesfalls unbestritten ist. Mit Hinweis auf das Europa- und/oder Verfassungsrecht wird vertreten, dass solchen Gesellschaften jedenfalls noch eine Übergangsfrist eingeräumt werden müsse. Nutzen sie diese Zeit zur Anpassung an die neuen Gegebenheiten, müsse auch für den Übergangszeitraum die Haftungsbeschränkung erhalten bleiben. Da es noch tausende solcher Gesellschaften in Deutschland gibt, wäre der Gesetzgeber gut beraten, durch angemessene gesetzliche Regelungen Rechtssicherheit zu schaffen. Das Schreiben des BMF spricht aber dagegen, dass die Bundesregierung hier aktiv wird. Es ist daher zu erwarten, dass der Europäische Gerichtshof oder auch des Bundesverfassungsgericht hier irgendwann das letzte Wort in die eine oder andere Richtung spricht. Schon vorher ist das Schreiben des BMF aber jedenfalls für einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich über eine Forderung gut, die u.U. schon lange abgeschrieben war.
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