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Symbolbild zu EuGH zu Kundenanlagen: Strommasten
02.12.2024 | KPMG Law Insights

EuGH: Deutsche Ausnahme für Kundenanlagen ist europarechtswidrig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az. C-293/23) hat am 28. November 2024 entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Infrastrukturkategorie der Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24 a) EnWG nicht mit dem Unionsrecht im Einklang stehen. Das Urteil kann Auswirkungen auf die Rechnungslegung sowie auf die Notwendigkeit zur Kalkulation von Netzentgelten und die Pflicht zum Anschluss von Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien durch Dritte an die eigenen Produktionsstandorte haben. Betroffenen Unternehmen kann zudem der Wegfall (energie-) steuerlicher Erleichterungen drohen.

Die Versorgungsinfrastruktur im deutschen Energierecht

Das deutsche Energierecht reguliert energiewirtschaftliche Tätigkeiten unabhängig davon, ob ein Unternehmen die Energieversorgung als Kerntätigkeit ausübt oder als Voraussetzung für ihre Produktionstätigkeit benötigt. Als Folge aus diesem Grundsatz müssen sich Unternehmen aller Branchen und Größen mit der Frage befassen, inwiefern ihre energiewirtschaftlichen Tätigkeiten Rechtsfolgen und Regulierung auslösen. Betroffen sind beispielsweise Unternehmen, die Blockheizkraftwerke, PV-Anlagen, Versorgungsinfrastrukturen wie Leitungen und Transformatoren an Produktionsstätten betreiben oder die Energie an Konzern- oder Drittgesellschaften abgeben. Dies ist schon vor dem Urteil eine komplexe und dynamische Aufgabe gewesen, da sich der gesetzliche Rahmen fortentwickelt und eine Reihe von behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen kurzfristiges Handeln erforderlich machen.

Der EuGH hat nun eine wichtige Einstufung der Versorgungsinfrastruktur im deutschen Energierecht und damit eine Möglichkeit zur Verhinderung von weitgehender Regulatorik für unzulässig erklärt. Betroffene Unternehmen sollten nun kurzfristig eine Neubestimmung der Situation vornehmen und kurz- und mittelfristige Handlungsmöglichkeiten ableiten.

Das galt bisher für Kundenanlagen in Deutschland

Nach dem bisher geltenden deutschen Energierecht ist eine Kundenanlage einem Energieversorgungsnetz nachgelagert und weitgehend von regulatorischen Pflichten ausgenommen. Kundenanlagen grenzen sich regulatorisch gegenüber dem Energieversorgungsnetz ab mit der Folge, dass die Betreiber umfassende netzregulatorische Vorgaben nicht umzusetzen brauchen. In der Praxis haben hiervon nicht nur dezentral versorgte Versorgungsquartiere, sondern auch eine Reihe von großen Produktions- und Industriestandorten profitiert. Die Liste möglicher Anwendungsfälle kann beliebig erweitert werden: So sind auch Krankenhäuser, Universitätsstandorte, Rechenzentren, Forschungseinrichtungen, Einkaufszentren oder Campingplätze Nutzer dieser Infrastrukturkategorie.

Neben der Herabsenkung regulatorischer Anforderungen gibt es aber auch vor allem ökonomische Anreize für eine Einstufung als Kundenanlage. Sowohl für Wohnquartiere als auch für Industriestandorte war es bisher kostengünstiger, Strom am Standort „hinter“ dem Netzanschluss zu erzeugen, ihn dort zu verteilen und zu verbrauchen. Dieser Strom wird weder mit Netzentgelten noch mit netzseitigen Abgaben und Umlagen (wie etwa KWK- und Offshore-Umlage, etc.) belastet. Die Einordnung einer Stromverteilinfrastruktur als Kundenanlage ist zudem in diversen Fördermechanismen, wie beispielsweise dem Mieterstrom nach § 21 Abs. 3 EEG, zwingend vorausgesetzt, da entsprechende Förderzuschläge nur dann gewährt werden, wenn das Netz nicht genutzt wird.

Die Vorlagefrage des BGH

Hintergrund der nun entschiedenen Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) war die Einordnung einer wohnwirtschaftlich genutzten Kundenanlage. Diese bestand aus zwei getrennten Energieanlagen, wobei eine vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten und die andere sechs Wohnblöcke insgesamt 160 Wohneinheiten umfasste. Die Wohnblöcke wurden mit 288 MWh/a bzw. 480 MWh/a Strom dezentral beliefert.

Der BGH war der Auffassung, dass die beiden wohnwirtschaftlich genutzten Energieverteilanlagen getrennt voneinander betrachtet werden müssen, sodass zwei Kundenanlagen gem. § 3 Nr. 24a EnWG anzunehmen seien. Aufgrund von Zweifeln durch die Größe der Kundenanlagen legte der BGH dem EuGH die Frage vor, ob unionsrechtliche Vorgaben zur Verteilung von Energie und zu Verteilernetzbetreibern einer Einordnung als Kundenanlage entgegenstehen. Der EuGH bejahte dies. Die deutsche Regelung verstoße daher gegen das Unionsrecht.

Der Tenor der Entscheidung bezieht sich zwar mit detaillierten Angaben auf den vorgelegten konkreten Einzelfall. Gleichwohl reicht die rechtliche Einschätzung des EuGH in den Entscheidungsgründen über den Einzelfall hinaus und wird künftig grundsätzliche Bedeutung für die rechtliche und regulatorische Einordnung von Versorgungssituationen in Wohnquartieren wie auch an vielen Industriestandorten haben.

EuGH: Mitgliedsstaaten dürfen Kundenanlagen nicht von der Kategorie des Verteilernetzes ausnehmen

In seinen Entscheidungsgründen führt der EuGH aus, dass die Mitgliedstaaten nicht davon ausgehen durften, dass eine bestimmte Art von Netz vom Begriff „Verteilernetz“ im Sinne der Richtlinie 2019/944 auszunehmen ist, indem sie sich auf ein zusätzliches Kriterium neben den im Unionsrecht vorgesehenen stützen (EuGH Urt. v. 28.11.2024, Az. C-293/23, Rn. 61). Zur Definition des Begriffs „Verteilernetz“ dürfen die Mitgliedsstaaten neben der Spannungsebene und der Kategorie von Kunden, an die die Elektrizität weitergeleitet wird, keine zusätzlichen Kriterien heranziehen. Ansonsten könne die autonome und einheitliche Auslegung von Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2019/944 beeinträchtigt sein (EuGH Urt. v. 28.11.2024, Az. C-293/23, Rn. 61).

Weiter stellt der EuGH fest, dass die Mitgliedsstaaten nicht berechtigt sind, eine Einrichtung, die unter den Begriff des „Verteilnetzbetreibers“ im Sinne der Richtlinie 2019/944 fällt, vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Andernfalls wäre eine Umgehung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2019/944 ermöglicht bzw. die praktische Wirksamkeit der Begriffe „Verteilung“ und „Verteilernetz“ beeinträchtigt (EuGH Urt. v. 28.11.2024, Az. C-293/23, Rn. 67).

Die Antwort auf die Vorlagefrage ist nach Ansicht des EuGH in zeitlicher Hinsicht mutatis mutandis auf Sachverhalte zu übertragen, die dem Anwendungsbereich der Vorgängerrichtlinie 2009/72 unterfallen, da die Begriffe „Verteilung“ und „Verteilnetzbetreiber“ aus der vorherigen Richtlinie übernommen wurden.

Betreiber von Kundenanlagen sollten zeitnah Maßnahmen einleiten

Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für alle Betreiber von Kundenanlagen. Betroffen sind nicht nur die Unternehmen, die die Versorgungsinfrastruktur betreiben, sondern häufig auch die mit diesen Unternehmen verbundenen Unternehmen, die wiederum energiewirtschaftliche Tätigkeiten ausführen, wie zum Beispiel den Betrieb einer PV-Anlage auf dem Verwaltungsgebäude, Zentraleinkauf der Energie für die Gruppe oder die Abgabe von Energie an eine Kantine oder an einen Wachschutz.

Die Auswirkungen sind nach den Urteilsgründen unternehmensindividuell. Zwar hat der EuGH keine Kompetenz, das deutsche Energierecht und damit den Kundenanlagenbegriff aufzuheben. Allerdings wird sich eine Beurteilung durch Behörden oder Gerichte daran orientieren müssen, ob die aktuelle Situation im Einzelfall den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. Für Betreiber von Kundenanlagen wird es jetzt darauf ankommen, zeitnah die jeweilige Einzelfallkonstellation vor dem Hintergrund der Urteilsgründe auf den Prüfstand zu stellen und ggf. individuelle Maßnahmen einzuleiten. Dies können unter anderem sein:

  • Juristische, ökonomische sowie steuerliche Analyse des Standorts und Abwägung von Alternativen
  • Ableitung von drohenden Rechtsfolgen und Bewertung der Veränderungen, zum Beispiel Umsetzung der buchhalterischen Entflechtung und Offenlegung von Geschäftsergebnissen
  • kurzfristige Einleitung von Gegenmaßnahmen wie Stellung eines Antrags auf Genehmigung eines geschlossenen Verteilernetzes
  • Kalkulation (und Genehmigung) von Netzentgelten und Veränderung der Preisstrukturen für den Energiebezug an Standorten
  • Anpassung von (Intercompany-) Vertragsverhältnissen an betroffenen Standorten
  • Überdenken von Geschäftsmodellen bzw. des Versorgungskonzeptes
  • Herauslösung von Standortinfrastrukturen bis hin zum Verkauf von Assets

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