Die Tübinger Verpackungssteuer ist verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verpackungssteuersatzung der Universitätsstadt Tübingen zurückgewiesen. Der Beschluss vom 27. November 2024 (1 BvR 1726/23) wurde am 22. Januar 2025 veröffentlicht.
Mit der Verpackungssteuersatzung erhebt die Stadt Tübingen seit dem 1. Januar 2022 eine Steuer auf den Verbrauch von Einweggeschirr und -besteck, mit dem Speisen und Getränke für den Verzehr vor Ort oder zum Take-away verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer verpflichtet. Beschwerdeführerin im Verfahren war ein Unternehmen, das ein Schnellrestaurant in Tübingen betreibt.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts unbegründet.
Die Beschwerdeführerin hatte argumentiert, die Stadt habe keine Steuergesetzgebungskompetenz. Dem folgten die Karlsruher Richter nicht. Die Stadt Tübingen könne sich für die Verpackungssteuersatzung auf die Steuergesetzgebungskompetenz der Länder für die Erhebung örtlicher Verbrauchsteuern nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG, § 9 Abs. 4 Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg berufen. Insbesondere handle es sich bei der Verpackungssteuer um eine „örtliche“ Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Nach § 1 Abs. 1 Alt. 1 Verpackungssteuersatzung knüpft die Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial an, das beim Verkauf von Speisen und Getränken „für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle“ Verwendung findet. Dadurch sei der notwendige Ortsbezug des Verbrauchs ohne weiteres gegeben. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass Speisen und Getränke in atypischen Fällen bestimmungswidrig in räumlicher Entfernung vom Verkaufsort außerhalb des Gemeindegebiets verzehrt werden. Diese atypischen Fälle änderten jedoch an dem Ortsbezug nichts. Die Örtlichkeit kann nach Ansicht des Gerichts auch bei Waren gegeben sein, die nicht „zum Verbrauch an Ort und Stelle“ des Verkaufs bestimmt sind, wenn der Verbrauch typischerweise im Gemeindegebiet erfolgt. Hierfür kann insbesondere die Beschaffenheit der Ware sprechen. Auch seien die weiteren Gegebenheiten zu berücksichtigen wie etwa die Versorgungsstruktur oder die Größe der Gemeinde. Eine darauf bezogene Steuerpflicht setze voraus, dass im Steuertatbestand diejenigen Waren benannt oder aufgrund konkreter Kriterien bestimmbar sind, die im Anschluss an den Verkauf typischerweise noch innerhalb der Grenzen der jeweiligen Gemeinde verbraucht werden. Dem Normgeber komme hierbei ein Einschätzungsspielraum zu.
Die Tübinger Verpackungssteuer stehe auch nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung, insbesondere nicht zum Abfallrecht des Bundes. Nach § 12 Einwegkunststofffondsgesetz ist ebenfalls eine Abgabe für Einwegkunststoff vorgesehen. Allerdings entzieht die Tübinger Verpackungssteuer dem Einwegkunststofffond nicht missbräuchlich die finanzielle Grundlage.
Auch das Argument der Beschwerdeführerin, die Steuer verletzte sie in ihrer Berufsfreiheit, überzeugte die Richter nicht. Zwar greife die Erhebung der als Lenkungsteuer ausgestalteten Verpackungssteuer in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Endverkäufer ein. Dieser Eingriff sei jedoch formell und materiell verfassungsgemäß. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die zur Erzielung von Einnahmen geeignete und erforderliche Verpackungssteuer die Endverkäufer unzumutbar beeinträchtigt. Für eine die Geschäftsaufgabe erzwingende Wirkung der Verpackungssteuer gebe es keine Hinweise. Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der Endverkäufer durch ihre Indienstnahme als Zahlstelle sei verhältnismäßig, da sie die einzige praktikable Möglichkeit sei, die Steuer zu vereinnahmen.
Im Ergebnis werden mit der Entscheidung die kommunalen Handlungsspielräume im Kampf gegen die „Vermüllung“ der Innenstädte und der Umwelt durch Einwegverpackungen gestärkt. Im Zusammenspiel mit dem Verpackungsgesetz des Bundes (siehe hierzu auch die neue EU-Verpackungsverordnung), das schon seit dem Jahr 2023 verpflichtende Mehrwegangebote für Speisen und Getränke To-Go vorsieht, kann auf diesem Weg das ungeordnete Wegwerfen von Abfall im öffentlichen Raum weiter reduziert werden. Ob weitere Kommunen im Rahmen ihrer Abfallvermeidungskonzepte dem Tübinger Beispiel folgen, bleibt abzuwarten, ist aber zu erwarten.
Bitte beachten Sie, dass die verfahrensgegenständliche Verpackungssteuer nicht mit der in Deutschland noch nicht eingeführten EU-Plastiksteuer zu verwechseln ist. Diese wird aller Voraussicht nach nicht vor dem 1. Januar 2026 in Kraft treten und wird vom Bund, nicht von den Kommunen erhoben werden.
Autoren:
Mario Urso, Partner, Tax, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Dr. Simon Meyer, Partner, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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