Suche
Contact
Symbolbild zur Verbandsklage: Viele Menschen auf öffentlichem Platz
10.01.2024 | KPMG Law Insights

Die neue Verbandsklage als Alternative zu Massenverfahren

Mangelhafte Produkte, Datenschutzverletzungen oder Verstöße gegen das Kartellrecht führen in manchen Fällen zu Massenklagen. Die vielen Verfahren fordern die Gerichte, die über jede Klage einzeln entscheiden müssen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist eine Klage oft ein finanzielles Risiko. Dieses Risiko hatte der Gesetzgeber bereits mit der Musterfeststellungsklage verringert. Verbraucherverbände können die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und einem Unternehmer geltend machen. Dennoch müssen einzelne Betroffene ihren Schadensersatz im Anschluss individuell einklagen. Das ändert sich nun mit der Verbandsklage.

Am 7. Juli 2023 hat der Bundestag das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG) beschlossen. Kernstück des Gesetzes ist ein neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG), das am 12. Oktober 2023 verkündet wurde und am 13. Oktober 2023 in Kraft getreten ist.

Mit der neu eingeführten Abhilfeklage können qualifizierte Verbraucherverbände und Verbraucherzentralen gleichartige Leistungsansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegen ein Unternehmen unmittelbar gerichtlich einklagen. Die Abhilfeklage soll Justiz, Wirtschaft und Verbraucher entlasten und Prozesskosten in Millionenhöhe vermeiden.

Das sind die Eckpunkte der neuen Klageform:

 

Diese Verbände sind klageberechtigt

Klageberechtigt sind gemäß § 2 VDuG die Stellen, die von den Mitgliedstaaten benannt worden sind. Hierzu gehören die Verbraucherverbände, die in der Liste gemäß § 4 Unterlassungsklagengesetz eingetragen sind und nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen. Darüber hinaus sind qualifizierte Einrichtungen klageberechtigt, die im Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 5 Abs. 1, S. 4 der EU-Richtlinie über Verbandsklagen eingetragen sind.

Nicht nur Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern können gelten gemacht werden, sondern auch die von kleinen Unternehmen. Das sind solche, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz zwei Millionen Euro nicht übersteigt.

 

Dann ist eine Verbandsklage zulässig

Die klageberechtigte Stelle muss gemäß § 4 VDuG glaubhaft machen, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen sind oder von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbrauchern abhängen. Denn Gegenstand der Verbandsklage sind die Interessen der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an der Verbandsklage aktiv beteiligen (Opt-In-Verfahren). Noch bis zu zwei Monate nach dem ersten Termin des gerichtlichen Verfahrens können sich Verbraucherinnen und Verbraucher der Verbandsklage anschließen.

Zuständig für die Verbandsklage ist gemäß § 3 VDuG das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk sich der allgemeine Gerichtsstand des beklagten Unternehmens befindet.

 

Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher müssen gleichartig sein

Zulässig ist die Verbandsklage gemäß § 15 VDuG nur dann, wenn die Ansprüche gleichartig sind. Dies setzt voraus, dass die Ansprüche erstens auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe vergleichbarer Sachverhalte beruhen und zweitens für sie die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Die Frage, ob Ansprüche als gleichartig bewertet werden können, wird bereits jetzt diskutiert. Die Gesetzesbegründung spricht von der Gleichartigkeit der Verbraucheransprüche in tatsächlicher Hinsicht. Beispiele hierfür sind die Annullierung eines konkreten Fluges oder der Abschluss von Verträgen mit gleichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Weichen die Lebenssachverhalte demgegenüber erheblich voneinander ab, sind die Ansprüche nicht gleichartig. Das ist etwa dann der Fall, wenn nicht alle Produkte einer Serie mangelhaft sind und jeweils im Einzelfall geklärt werden muss, ob das konkret erworbene Produkt tatsächlich mangelhaft ist oder nicht. Das Gleiche gilt, wenn es darauf ankommt, ob die Verbraucherin oder der Verbraucher von einem bestimmten Umstand bei Vertragsschluss Kenntnis hatte. Gleichartig sind Ansprüche auch dann nicht, wenn für die Entscheidung unterschiedliche Rechtsfragen zu klären sind, zum Beispiel ob Ansprüche verjährt sind oder nicht.

 

Die drei Phasen des gerichtlichen Verfahrens

Das gerichtliche Verfahren ist in drei Phasen unterteilt:

In der ersten Phase kann der klageberechtigte Verband ein Abhilfegrundurteil erwirken, das die Haftung des verklagten Unternehmens dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und konkrete Parameter für die Berechnung der Verbraucheransprüche festlegt.

In der zweiten Phase, der sogenannten Vergleichsphase, sollen die Parteien eine gütliche Einigung über die Abwicklung des Rechtsstreits anstreben.

Schließen die Parteien keinen Vergleich, folgt die dritte Phase, die mit einem Abhilfeendurteil des Gerichts endet. Mit der Umsetzung des Abhilfeendurteils wird eine Sachwalterin oder ein Sachwalter beauftragt. Wird der Abhilfeklage stattgegeben, erhalten die von der Klage betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher den ihnen zustehenden Geldbetrag direkt von der Sachwalterin oder dem Sachwalter ausgezahlt. Der Erhebung einer zusätzlichen Individualklage bedarf es dann grundsätzlich nicht mehr.

 

Die Umsetzung erfolgt durch einen Sachwalter

Der mit der Umsetzung des Abhilfeurteils beauftragte Sachwalter oder die beauftragte Sachwalterin errichtet einen Umsetzungsfonds, in den das verurteilte Unternehmen den vom Gericht festgesetzten Betrag einzahlen muss. Die Sachwalterin oder der Sachwalter prüft die individuelle Anspruchsberechtigung der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher und ist berechtigt, hierüber Nachweise und Erklärungen zu verlangen. Berechtigte Verbraucheransprüche werden von ihm beziehungsweise ihr befriedigt. Stellt die Sachwalterin oder der Sachwalter fest, dass der vom Gericht ausgeurteilte Betrag für die Befriedigung der berechtigten Ansprüche nicht ausreicht, kann das Gericht auf Antrag den Kollektivgesamtbetrag nachträglich angemessen erhöhen.

Gegen die Entscheidung der Sachwalterin oder des Sachwalters können betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher binnen vier Wochen Widerspruch einlegen. Der Widerspruch ist in Textform an die Sachwalterin oder den Sachwalter zu richten und zu begründen. Die Widerspruchsentscheidung ist gerichtlich nicht überprüfbar. Sofern er die Ansprüche von Verbrauchern ablehnt, bleibt diesen aber die Möglichkeit der Erhebung einer Individualklage gegen das Unternehmen.

Das Umsetzungsverfahren endet mit einer Schlussrechnung oder einem Schlussbericht, der vom Gericht überprüft wird. Etwaige gerichtliche Beanstandungen müssen behoben werden. Erst dann stellt das Gericht die Beendigung des Umsetzungsverfahrens fest.

 

Die Verbandsklage kann auch mit einem Vergleich enden

Die Verbandsklage kann auch mit einem Vergleich enden, der Wirkung für die im Verbandsklageregister angemeldeten Verbraucher hat. Ein Vergleich bedarf gemäß § 9 VDuG der Genehmigung des Gerichts. Verbraucherinnen und Verbraucher können allerdings innerhalb einer Frist von einem Monat nach Bekanntgabe des Vergleichs im Verbandsklageregister ihren Austritt aus dem Vergleich erklären.

 

Hemmung der Verjährung nur für zum Verbandsklageregister angemeldete Ansprüche

Die Regelung zur Hemmung der Verjährung bei Abhilfe- und Musterfeststellungsklagen entspricht der bisherigen Regelung für Musterfeststellungsklagen. Die Verbandsklage hat verjährungshemmende Wirkung, aber nur für die Personen, die ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse wirksam zum Verbandsklageregister angemeldet haben. Die Verjährung wird dabei immer für den gesamten Anspruch gehemmt, unabhängig davon, ob die Ansprüche durch die Abhilfeklage in vollem Umfang oder nur teilweise geltend gemacht werden.

 

Das bedeutet die Verbandsklage für Unternehmen

Gegenüber Massenklagen ist die Verbandsklage für die beklagten Unternehmen deutlich effizienter und kann Kosten ersparen. Gleichzeitig sinkt aber auch die Hürde für einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher, ihre Ansprüche geltend zu machen. Inwieweit Verbraucherverbände von der neuen Klageform Gebrauch machen werden und ob damit tatsächlich Massenverfahren vermieden werden können, wird sich zeigen.

Explore #more

11.11.2024 | Dealmeldungen

KPMG Law and KPMG advised Senseca on the acquisition of Biral

KPMG Law and KPMG advised Senseca Germany GmbH, a global leader in environmental monitoring and measurement technology, on the acquisition of British-based Biral Ltd., a…

08.11.2024 | Legal Financial Services, Pressemitteilungen

KPMG Law stärkt Financial Services mit Philippe Lorenz

KPMG Law hat sich zum 1. November mit Philippe Lorenz im Bereich Financial Services verstärkt. Philippe Lorenz kommt von GSK Stockmann, wo er mehr als…

08.11.2024 | In den Medien

Gastbeitrag in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht: Das Urteil „Wassergebühren Kassel II“ – Systemgerechtigkeit der gebührenmindernden Berücksichtigung von Trinkwasserkonzessionsabgaben?

Der Beitrag untersucht die Systemgerechtigkeit der gebührenmindernden Berücksichtigung von Trinkwasserkonzessionsabgaben und beleuchtet die rechtlichen und wirtschaftlichen Implikationen des Urteils. Dabei wird vor allem die Entwicklung…

06.11.2024 | In den Medien

Interview im stores + shops Magazin zum Thema: „Unternehmen brauchen KI-Regeln“

Bewerbungsvideos per KI auswerten, den Arbeitsvertrag per Smartphone übersetzen oder KI-Analysen für Zielvereinbarungen und Gehaltsgespräche nutzen – all das ist heute schon möglich. Aber ist…

06.11.2024 | KPMG Law Insights

Bürokratieentlastungsgesetz: Textform statt Schriftform für Gewerbemietverträge

Das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz tritt am 1. Januar 2025 in Kraft. Der Bundestag hatte das Gesetz am 26. September 2024 beschlossen, der Bundesrat hatte am 18.…

31.10.2024 | In den Medien, Legal Financial Services

Statement von Ulrich Keunecke im In-house-Counsel zum Thema Kapitalmarkt-Compliance

Für Private-Equity-Investoren ist der Börsengang die häufige Exitstrategie bei einer Unternehmensbeteiligung. Doch auch Familienbetriebe und Mittelständler können über den Aktienmarkt neues Kapital und Investoren gewinnen.…

30.10.2024 | In den Medien

Gastbeitrag in der ZURe zum Thema Meldekanäle nach dem Hinweisgeberschutzgesetz und Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Die doppelte Verpflichtung zur Implementierung vonMeldekanälen nach HinSchGund LkSG stellt die Praxis gerade in Zeiten von Fachkräftemangel vor große personelle und auch administrative Herausforderungen. Vor…

25.10.2024 | In den Medien

Gastbeitrag in der Audit Committee Quarterly: Neue Regelungen zur Vergütung von Betriebsräten

Der Deutsche Bundestag hat am 28.6.2024 das Zweite Gesetz zur Änderung des BetrVG verabschiedet. Mit dieser Gesetzesänderung soll die Rechtssicherheit für Arbeitgeber bei der Vergütung…

23.10.2024 | In den Medien

Gastbeitrag in der Neuen Zeitschrift für Gesellschaftsrecht: Update Gesellschafterdarlehen: Risiken bei M&A-Transaktionen

Christian Hensel und Daniel Dörstling haben in der Neuen Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (NZG 2024, 1207 ff.) einen neuen Beitrag zum insolvenzfesten Umgang mit Gesellschafterdarlehen im…

21.10.2024 | KPMG Law Insights

Die Entwaldungsverordnung der EU zwingt Unternehmen zum Handeln

Wer mit den Rohstoffen Soja, Ölpalme, Rinder, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz sowie bestimmten daraus hergestellten Erzeugnissen handelt oder diese verwendet, sollte schnellstmöglich aktiv werden.…

Kontakt

Dr. Matthias Aldejohann

Partner
Standortleiter Dresden
Leiter Litigation & ADR

Galeriestraße 2
01067 Dresden

Tel.: +49 351 21294411
maldejohann@kpmg-law.com

© 2024 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll