Arbeitgeber behalten sich in Versorgungszusagen gerne ein Kapitalwahlrecht vor. Doch ob dieses im Einzelfall auch geltend gemacht werden kann, hängt von verschiedenen Aspekten ab. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich dazu im letzten Jahr mehrfach geäußert.
Im ersten Fall zum Thema Kapitalwahlrecht (BAG, Urteil vom 15. Mai 2019, 3 AZR 150/17) bestimmte die Versorgungszusage im Kern: „Einmalzahlung oder Raten oder Rentenzahlung unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers“. Der Arbeitgeber schloss beim Eintritt des Versorgungsfalls eine Leistung in Form der Rente aus. Der Versorgungsberechtigte wies daraufhin die Zahlung zurück und klagte auf Verrentung des Versorgungsguthabens. Der Arbeitgeber habe sein Wahlrecht unzulässig ausgeübt, indem er die Verrentung von vornherein ausgeschlossen habe, obwohl der Arbeitnehmer daran erkennbar ein gesteigertes Interesse habe. Aufgrund seiner dem Arbeitgeber bekannten Erkrankung sei er mit einer Kapitalleistung überfordert und könne damit keine Absicherung seines Lebensunterhalts erzielen.
Das BAG stellte heraus, dass es den Tarifvertragsparteien freistehe, die Regelungsbefugnis zu delegieren und einer Partei ein echtes Wahlrecht einzuräumen. Versorgungsberechtigten stehe aus einer solchen Versorgungszusage kein Anspruch auf eine Rentenzahlung zu, aber auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausübung des Wahlrechts.
Zwischenfazit: Ob und inwieweit eine Versorgungszusage einen Anspruch auf Verrentung gewährt oder ob eine Partei die Leistungsart einseitig bestimmen darf, hängt von deren Rechtsgrundlage ab. Sofern kein Vorrang für eine bestimmte Leistungsart eingeräumt wurde, muss das Wahlrecht gleichwohl nach billigem Ermessen gemäß § 315 BGB ausgeübt werden. Das heißt, die wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls sind abzuwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Diese Interessenabwägung ist justiziabel, weshalb sie sorgfältig durchgeführt und dokumentiert werden sollte. Zu beachten ist, dass das bloße arbeitgeberseitige Interesse an dem Ausschluss einer Verrentung wegen wirtschaftlicher und administrativer Mehrbelastung im Vergleich zu den anderen Leistungsarten kein hinreichendes Argument ist. Das Ansinnen eines nachträglichen De-Risikings über den Weg der Kapitalisierung ist zurückzuweisen, da dieser Aufwand aus einer Rente gerade typisch ist für die Übernahme von Langlebigkeits- und
Als erheblich sah das BAG in weiteren Urteilen die Unterscheidung zwischen zwei Regelungsnuancen an: der Wahlschuld auf der einen Seite und der Ersetzungsbefugnis auf der anderen Seite (vgl. hierzu die Urteile des BAG vom 17. Januar 2023, 3 AZR 501/21 und 3 AZR 220/22)
Bei einer echten Wahlschuld im Sinne von § 262 BGB schuldet der Arbeitgeber bei Eintritt des Versorgungsfalls per se mehrere verschiedene Leistungen, die jedoch als spezifische Einzelschuld gedacht sind. Nachträglich kann eine Leistung ausgewählt werden, die zu bewirken ist. Diese Auswahl gilt dann als von Anfang an geschuldet.
Eine Ersetzungsbefugnis hingegen ist zwar nicht gesetzlich geregelt, ist als Rechtsfigur aber ebenfalls anerkannt. Sie bedeutet das Recht, ein bestimmtes Schuldverhältnis nachträglich inhaltlich zu ändern. Im Vergleich zur Wahlschuld ist bei der Ersetzungsbefugnis die einzige geschuldete Leistung von Anfang an festgelegt und kann später geändert werden. Diese Unterscheidung ist unter anderem deshalb relevant, da nur eine Klausel, die eine Ersetzungsbefugnis oder einen Änderungsvorbehalt enthält, nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) kontrolliert werden kann.
Der BAG-Entscheidung 3 AZR 220/22 lag ein Rechtsstreit zugrunde, bei der sich eine Gruppen-Unterstützungskasse in ihrem Leistungsplan vorbehalten hatte, im Versorgungsfall anstelle einer laufenden Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe der zehnfachen Jahresrente zu zahlen. Die Unterstützungskasse informierte die Versorgungsberechtigte darüber, dass ihre monatliche Altersrente rund 1.000 Euro betrage und man entsprechend dem Vorbehalt die Anwartschaft durch eine Einmalzahlung in Höhe von rund 123.000 Euro ersetze. Die Versorgungsberechtigte widersprach der Einmalzahlung und überwies das Geld zurück. Die Kasse wollte feststellen lassen, dass sie zur Ersetzung der Rentenansprüche durch eine Einmalzahlung berechtigt sei. Das BAG wies die Klage zurück. Entscheidend war, dass die Klausel keine Wahlschuld, sondern eine Ersetzungsbefugnis beinhaltete und als solche unter anderem an § 308 Nr. 4 BGB zu messen ist. Das Gericht stellte fest, dass im Rahmen der Zumutbarkeit die Interessen beider Parteien an einer Änderung der Leistung bzw. deren Unveränderlichkeit abgewogen werden müssen. Die Ersetzung der laufenden Altersrente durch eine einmalige auf nur zehn Jahre bemessene Kapitalleistung bliebe erkennbar hinter dem Barwert der zugesagten Altersabsicherung zurück. Die Versorgungsberechtigte erhielte keine andere gleichwertige, sondern geringerwertige Leistung. Die Klausel war somit unwirksam.
Zwischenfazit: Sofern die konkrete Rechtsgrundlage der Versorgungszusage einer Partei ein besonderes Recht einräumt, nach dem sich die Leistungsart richtet, ist zu bestimmen, ob es sich dabei um eine Wahlschuld handelt („entweder X oder Y“) bzw. eine Ersetzungsbefugnis („X anstelle von Y“). Nur die echte Wahlschuld zwischen zugesagten Hauptleistungen bleibt AGB-kontrollfrei. Im Rahmen der Ersetzung ist zu beachten, dass Änderungsvorbehalte in AGB nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam sind, die dem Verwender das Recht einräumen, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, wenn dies für den anderen Vertragsteil unzumutbar ist.
In dem Rechtsstreit 3 AZR 501/21 hatte der Arbeitgeber sich vorbehalten, zugesagte lebenslange Renten durch eine einmalige, barwertgleiche Kapitalleistung zu ersetzen. Nach der konkreten Zusage sollte die Höhe der einmaligen Kapitalzahlung dem Barwert der künftigen Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften entsprechen, ermittelt nach den Rechnungsgrundlagen des versicherungsmathematischen Gutachtens über die Höhe der ertrags-steuerlich zulässigen Pensionsrückstellung gemäß § 6a EStG zum letzten Bilanztermin vor der Zahlung. Das BAG stellte klar, dass eine Ersetzung dann billigem Ermessen im Sinne von § 15 BGB entspricht, wenn Interessen des Versorgungsschuldners an der Kapitalzahlung bestehen, die die Interessen des Versorgungsempfängers an der Beibehaltung der Rentenleistung überwiegen. Ob die vorgegebene Berechnungsmethode wirtschaftlich zu Nachteilen des Versorgungsempfängers führte, hat das BAG nicht entschieden. Es erfolgte eine Zurückverweisung an das LAG zur weiteren Verhandlung.
Zwischenfazit: Neben weiteren Bewertungsfaktoren ist damit der Rechnungszins eine wesentliche Komponente bei der Berechnung der Kapitalzahlung. Er beinhaltet die Annahme, welche Rendite mit einem ausgezahlten Kapital in den folgenden Jahren erzielt werden kann. Die Leistungshöhen hängen somit maßgeblich vom jeweils verwendeten Rechnungszins ab. Ein höherer Rechnungszins führt zu einem niedrigeren tatsächlichen Barwert der Kapitalzahlung.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber in der Wahl des Rechnungszinses für die Berechnung der Kapitalzahlung frei. Aufgrund der langen Laufzeiten bietet sich ein von Wertschwankungen unabhängiger Rechnungszins an, um größere Differenzen zwischen den Kapitalauszahlungen zu verschiedenen Zeitpunkten zu vermeiden. Es gibt verschiedene Ansätze, den Rechnungszins zu bestimmen. In Betracht kommen etwa der Rechnungszins nach § 6a EstG, der jedoch nicht die Gehalts- und Inflationstrends berücksichtigt, die Rechnungszinsen zur angemessenen Ausstattung von Rentnergesellschaften, Rechnungszinsen aus dem Handelsgesetzbuch, internationale Rechnungslegungsstandards, Rechnungszinsen gemäß der Deckungsrückstellungsverordnung oder besondere zusageimmanente Rechnungszinsen. Der Rechnungszins variierte somit je nach Ansatz von 0,25 Prozent bis 6 Prozent. Zur Berechnungsmethodik fehlt bislang eine Klarstellung. Die weitere Beobachtung der Rechtsprechung ist daher geboten.
Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie das BAG entscheiden würde, wenn die Klausel nicht als Ersetzungsbefugnis, sondern als echte Wahlschuld formuliert worden wäre und somit keine Prüfung nach AGB-Recht erfolgen müsste.
Aus den aktuellen Urteilen kann auch geschlossen werden, dass bei einem Kapitalwahlrecht der Versorgungsberechtigten keine Wertgleichheit der Leistungen vorliegen muss, da diese frei entscheiden können. In diesem Fall muss der Arbeitgeber allerdings über die Berechnungsfaktoren informieren. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Rentenleistung und Kapitalzahlung dürfte rechtlich unzulässig sein.
Die Anforderungen an Kapitalisierungswahlrecht und Ersetzungsbefugnis und die Fragen zur Umrechnung von Rente in Kapital werden uns in der Praxis noch weiter begleiten. Insbesondere in Zeiten der hohen Inflation wurde ersichtlich, welchen Wert die bAV zur dynamischen Absicherung des Lebensstandards der Versorgungsberechtigten hat. Sofern der Arbeitgeber dieses finanzielle Risiko der weiteren Geldentwicklung und der Langlebigkeit nicht tragen möchte, muss er dies bereits bei der Gestaltung seiner Zusage regeln. Sofern er nur eine Wahlschuld oder Ersetzungsbefugnis vereinbart hat, kann er sich seiner Versorgungsverpflichtung nicht per se durch eine Einmalzahlung entziehen. Hier bedarf es einer wohlüberlegten, genauen Betrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls unter Rücksichtnahme auf die Interessen der Versorgungsberechtigten. Mit Blick auf die Darlegungs- und Beweislast bei einer etwaigen späteren gerichtlichen Überprüfung empfiehlt sich die sorgsame Dokumentation dieser Erwägungen zur Interessenlage und Wertigkeit der Leistung.
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