BVerwG: Änderung einer Prüfungsordnung mit Wirkung für aktive Studierende
In Kürze
Das BVerwG befasste sich in einem Beschluss (BverwG Beschl. vom 15.03.2021 – 6 BN 2.20) mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die rückwirkende Änderung einer Prüfungsordnung rechtmäßig ist. Es stellte fest, dass der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit eine nachträgliche Änderung und auch eine damit einhergehende Ungleichbehandlung von Studierenden aus verschiedenen Semestern nicht ausschließt. Außerdem kam es im Wesentlichen auf die Frage an, ob die gegenständliche Änderung eine echte oder unechte Rückwirkung darstellt. Bei der im vorliegenden Fall gegenständlichen Änderung der Berücksichtigung von Modulnoten in der Gesamtnote, sah das BVerwG eine unechte Rückwirkung, die den Vertrauensschutz ausreichend berücksichtige.
Hintergrund
Ein Student eines Masterstudiengangs hatte sich gegen eine Änderung der Prüfungsordnung (PO) seines Studiengangs nach Beginn seines Studiums wehren wollen. Während in der alten (zu Beginn seines Studiums geltenden) Fassung der PO bei der Berechnung der Abschlussnote die Möglichkeit bestand die Noten aus Kursen aus dem Wahlpflicht- oder Wahlbereich (bis zu 15 Credits) unberücksichtigt zu lassen, fiel diese Möglichkeit durch die Änderung der PO weg. Erhalten blieb, auch nach der Änderung, die sog. Freischussregelung, welche es ermöglicht auch bestandene Klausuren nochmals zu schreiben, wenn sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt erstmalig geschrieben wurden.
Die Übergangsregelung der PO sah vor, dass für Studierende, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung der PO im vierten Semester (oder höher) waren, die alte Fassung der Prüfungsordnung weitergelten sollte. Der Studiengang ist grundsätzlich für vier Semester ausgelegt.
Der Student befand sich im dritten Semester des Studiengangs und meinte, die Neuregelung verletze das bei ihm berechtigterweise bestehende Vertrauen. Er habe seine bisherige Studienplanung darauf ausgerichtet, dass er einzelne Wahlpflicht- bzw. Wahlbereich Kurse später in der Notenberechnung unberücksichtigt lassen könnte. Deshalb habe er auch bei einzelnen Leistungen, die eher schlechter ausfielen, auf die Freischussmöglichkeit verzichtet und müsse sich durch die Neuregelung auf eine deutlich schlechtere Abschlussnote einstellen. Außerdem werde er durch die Regelung, ohne einen besonderen Grund, anders behandelt, als die Studierenden im 4. Semester (oder höher).
Für die Beurteilung kam es damit auf zwei Fragen an:
Der Student sah in der Regelung (und der Anwendung auf bereits immatrikulierte Studierende) eine echte Rückwirkung. Sie greife in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt ein (Namentlich: die nachträglich geänderte Berücksichtigung bei der Bildung der Gesamtnote von bereits geschriebenen Klausuren). Die Möglichkeit einer Wiederholung der unter der Freischussregelung geschriebenen Klausuren ändere an dieser Beurteilung auch nichts. Zum einen, weil die Prüfungsordnung dafür eine Jahresfrist vorsehe, welche teilweise bereits abgelaufen sein könnte. Zum zweiten, weil auch die nochmalige Vorbereitung auf eine Prüfung, das Studium verlängere und die ständige Wissensaktualisierung, nach Abschluss eines Moduls und dem Verzicht auf einen erneuten Versuch im Anschluss, nicht erwartbar sei.
Die Universität widersprach und meinte es handele sich um eine unechte Rückwirkung, denn die Regelung betreffe allein die Gesamtnotenbildung, welche erst erfolge, wenn alle dafür notwendigen Leistungen erbracht seien – der Sachverhalt sei also für all jene noch nicht abgeschlossen, die noch nicht alle Leistungen erbracht hatten. Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes werde nicht beeinträchtigt, weil das insoweit schützenswerte Vertrauen durch die Freischussregelung ausreichend berücksichtigt würde.
Entscheidung
Prozessual handelte es sich bei dem Verfahren vor dem BVerwG um eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Entsprechend beschränkte sich das BVerwG zunächst auf den prozessual vorgegebenen Prüfungskatalog. Es beschäftigte sich mit der Frage, ob es sich um eine Rechtssache mit Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) handelte. Dies verneinte das BVerwG unter Verweis auf bestehende Rechtsprechung des BVerfG und anderen Bundesgerichten, welche die Beantwortung der Frage unzweifelhaft ermöglichten.
Inhaltlich betonte es, dass es im Wesentlichen die vorinstanzliche Entscheidung des OVG Lüneburg (Urt. v. 23.9.2020 – 2 KN 378/19) teile.
Zu der Frage der Ungleichbehandlung
Das BVerwG führte aus, dass höchstrichterlich geklärt sei, dass eine Unterscheidung nach dem Studienfortschritt einen sachgerechten Grund für eine Unterscheidung darstelle. Die entsprechenden Ausführungen des OVG Lüneburg, die sich auf die besondere Situation der Studierenden im letzten Semester des Masters konzentriert hatten, seien nicht zu beanstanden und die Ungleichbehandlung gerechtfertigt.
Zu der Frage der echten / unechten Rückwirkung
Das BVerwG schloss sich auch den Ausführungen des OVG Lüneburg in Bezug auf die Einordnung als echte / unechte Rückwirkung an. Das OVG hatte sich im Wesentlichen der Argumentation der Hochschule angeschlossen und darauf abgestellt, dass der Sachverhalt erst dann abgeschlossen sei, wenn alle für die Berechnung der Gesamtnote notwendigen Leistungen erbracht seien. Damit lag nach der Einschätzung des Gerichts eine (grundsätzlich zulässige) unechte Rückwirkung vor. Aber auch bei einer unechten Rückwirkung müssen sich die Regelungen am rechtsstaatlich garantierten Vertrauensschutz, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit messen lassen.
Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit hielt das BVerwG fest, dass die Bedeutung der Neuregelung für das Wohl der Allgemeinheit das enttäuschte Vertrauen der Einzelnen überwiegen muss. Das OVG Lüneburg hatte in der Änderung eine verhältnismäßige Regelung gesehen. Insbesondere unter der Berücksichtigung der (gleichheitsrechtlichen) Verbesserungen durch die Neufassung der Prüfungsordnung (wie z.B. die Abschaffung der Möglichkeit der Nichtberücksichtigung von Studienleistungen, die nur eine kleine Gruppe von Studierenden bevorteilt) verfolge die Neuregelung einen legitimen Zweck, mit einem geeigneten Mittel, welches auch erforderlich und angemessen sei.
Doch auch bei einer unechten Rückwirkung seien die Prüflinge vor überraschenden Änderungen der Prüfungsbedingungen geschützt, die die Prüfungsdispositionen entwerteten. Das bedeute jedoch keinen grundsätzlichen Schutz der Prüflinge vor einer Änderung der Prüfungsordnung im Laufe des Studiums, solange die Hochschule berücksichtigt, dass eine angemessene Übergangsregelung nicht zu unbilligen Härten führt. Wenn aber, wie hier, durch die Freischussregelung, weiterhin die Möglichkeit besteht Prüfungen (die jetzt in die Abschlussnote einfließen sollen) nochmals abzulegen, werde das schutzwürdige Vertrauen ausreichend berücksichtigt.
Was können die Leser:innen mitnehmen?
Bei der Änderung einer Prüfungsordnung mit Wirkung für aktive Studierende, sind die rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes (insbesondere das grundsätzliche Verbot einer echten Rückwirkung) zu beachten. Die Urteile zeigen aber auch, wie eine rechtssichere (rückwirkende) Änderung der Prüfungsordnung gelingen kann.
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