Viel vorgenommen hat sich die Koalition im Bereich von Bürokratieabbau, Staatsmodernisierung und moderner Justiz. Aus gutem Grund: Durch umfassende Strukturreformen soll das Vertrauen von Bürgerschaft und Unternehmen in die Leistungsfähigkeit des Staates und damit in das demokratische Gemeinwesen selbst gestärkt werden. Gleichzeitig sollen Strukturreformen, Digitalisierung und Effizienzsteigerungen die Voraussetzung schaffen, dass geplante Investitionen wirken. Zu diesem Zweck möchte die Koalition noch 2025 eine Modernisierungsagenda erarbeiten. Darin werden auch Vorschläge der parteiübergreifenden „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ aufgegriffen. Das haben CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart:
Die Koalition gibt sich ein neues Leitbild für Regierung und Verwaltung. Das Ziel ist eine vernetzte, effiziente, leistungsfähige und für alle niederschwellig und nutzerfreundlich erreichbare Verwaltung. Diese soll konsequent digital und möglichst ohne vorherige Antragstellung (zum Beispiel beim Kindergeld) arbeiten. Zu diesem Zweck soll eine zentrale digitale Plattform für Verwaltungsleistungen geschaffen werden. Für jeden Bürger soll verpflichtend ein Bürgerkonto und eine digitale Identität eingeführt werden – inklusive Hilfsangeboten für Menschen, die den digitalen Weg nicht gehen können oder wollen. Unternehmen, Selbstständige und Vereine sollen spezifische Zugänge erhalten. Unternehmensgründungen sollen auf diesem Weg binnen 24 Stunden möglich werden. Sozialleistungen sollen zur Blaupause für das moderne bürgerfreundlichere Vorgehen werden. Menschen in schwierigen Lebenslagen sollen somit einfacher Sozialleistungen erhalten können und sich nicht durch die Bürokratie quälen müssen. Sozialrechtliche Grundlagen, Verfahren und Zuständigkeiten sollen zusammengeführt und vereinfacht werden; hierfür will die Koalition bis Ende 2025 ein Konzept vorlegen.
Die Zusammenarbeit in der Bundesverwaltung soll effizienter werden: Durch Aufgabenkritik, ressortübergreifende Zusammenarbeit, Abbau von Doppelstrukturen zugunsten von gebündelten Serviceeinheiten in Querschnittsfragen soll es möglich sein, mit weniger Personal gute Arbeit zu leisten. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes werden dabei als Stabilitätsanker des deutschen Staates gewürdigt. Zur Fachkräftegewinnung sollen ein Kulturwandel hin zu einer modernen und wertschätzenden Führungskultur sowie einer Kultur des zuständigkeitsübergreifenden Denkens, der Entscheidungsfreudigkeit und des Ausschöpfens von Handlungsspielräumen dienen. Der öffentliche Dienst soll attraktiver werden durch ein modernisiertes Dienstrecht mit flexibleren Einstiegs- und Wechselmöglichkeiten, durch mehr Durchlässigkeit zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, mit mehr Frauen in Führungspositionen, flexibleren Arbeitszeitmodellen und der Abbildung von mehr Vielfalt.
Neue Wege will die Koalition bei der Nutzung von Daten sowie in der Gesetzgebung gehen. Sie fordert einen offeneren Umgang mit der Nutzung von Daten, möchte Daten zur strategischen Steuerung, Modellierung und Wirkungskontrolle nutzen und Hindernisse im Verwaltungsleben beseitigen. Verwaltungsprozesse sollen automatisiert, beschleunigt und effizienter gestaltet werden – insbesondere mit KI.
Im Bereich der Datenerhebung soll der Grundsatz „Once only“ eingeführt werden. Bürgerschaft und Unternehmen sollen Angaben nur ein einziges Mal machen müssen; der Staat selbst regelt dann den Austausch zwischen den Behörden.
Die Einführung eines ziel- und wirkungsorientierten Haushaltswesens soll geprüft werden.
Die Koalition verspricht Zurückhaltung in der Gesetzgebung: Nicht nötige Gesetze sollen nicht erlassen, überholte Gesetze gestrichen werden. Recht soll verständlich und digitaltauglich sein und einem Praxischeck unterliegen. Wirkungslose Berichtspflichten sollen gestrichen werden. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern soll entflochten und erleichtert werden. Im Bereich der Digitalisierung soll der Bund eine Führungsrolle übernehmen. Auf Grundlage einer Verfassungsänderung soll es möglich werden, dass der Bund digitale Verwaltungsverfahren regeln und IT-Systeme für alle staatlichen Ebenen zur Verfügung stellen kann.
Bürokratische Prozesse belasten Bürger:innen, Unternehmen und auch die Verwaltung. Ein Sofortprogramm soll noch 2025 Entlastung im Bereich von Betriebsbeauftragten sowie Schulungs- und Dokumentationsaufwand bringen, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll durch ein schlankeres Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung abgelöst werden. Die Bonpflicht soll abgeschafft werden. Dafür wird eine Registrierkassenpflicht ab einem Jahresumsatz von über 100.000 Euro für 2027 angekündigt. Die Nachhaltigkeits-Berichtspflichten sollen entsprechend der Omnibus-Initiative der EU-Kommission reduziert werden.
Die Bürokratiekosten für die Wirtschaft sollen um ein Viertel reduziert werden, der Erfüllungsaufwand für Bürger:innen, Unternehmen und Verwaltung deutlich gesenkt. Dazu sollen Vorgaben abgebaut, Schwellenwerte erhöht und Ermessensspielräume erweitert werden. Dokumentationspflichten, Datenerhebungen und Meldepflichten sollen insbesondere im Handwerk, Einzelhandel, Landwirtschaft, Hotellerie und Gastronomie abgebaut werden. Statt dauerhaften Nachweispflichten setzt die Koalition auf die Sanktionierung von Verstößen. Eine Absenkung von relevanten Standards aus dem Bereich Menschenrechte, Bürgerrechte, Verbraucherrechte, Arbeitnehmerrechte oder zur Verhinderung von Steuerbetrug ist dabei nicht geplant.
Neben den Abbau von Bürokratie tritt die Beschleunigung für die Umsetzung von Vorhaben. Damit die wichtigen Vorhaben aus dem Sondervermögen schnell umgesetzt werden, soll ein ambitioniertes Infrastruktur-Zukunftsgesetz die Möglichkeiten zur Beschleunigung von Planung und Genehmigung, Beschaffung und Vergabe der Infrastrukturprojekte regeln und diese Vorhaben rechtlich durch Ausstattung mit einem überragenden öffentlichen Interesse priorisiert werden. Planungs- und Genehmigungsvorhaben sollen durch eine Vielzahl von Maßnahmen beschleunigt und Infrastrukturvorhaben vereinfacht werden.
Förderprogramme sollen einfacher und schneller werden: durch Pauschalen statt Antragsförderungen, Standardisierung und eine zentrale digitale Förderplattform. Ehrenamtliche Tätigkeiten sollen erleichtert werden.
Beim Bürokratieabbau richtet die Bundesregierung den Blick auch auf andere Ebenen: Sie will auf weniger Vorgaben der EU hinwirken, bei der Umsetzung zusätzliche Vorgaben unterlassen und Parallelregelungen auf deutscher und europäischer Ebene verhindern.
Das Vergaberecht soll auf europäischer wie nationaler Ebene vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert werden. Sektorale Befreiungen für den Sicherheitsbereich und für Leitmärkte für emissionsarme Produkte in der Grundstoffindustrie sollen geschaffen werden. Gemeinsam mit den Ländern sollen Regelungen vereinheitlicht werden, zum Beispiel für schnellere Vergaben mit einheitlichen Schwellenwerte im nationalen Recht, höheren Wertgrenzen für Direktaufträge (bis 50.000 Euro bei Liefer- und Dienstleistungen). Wichtig für eine schnelle Beschaffung in der Praxis: Die aufschiebende Wirkung der zweiten Instanz im Vergabenachprüfungsverfahren soll entfallen.
Generell soll das öffentliche Beschaffungswesen systematisch optimiert werden. Es soll ein strategisches Beschaffungsmanagement implementiert werden, insbesondere die IT-Beschaffung des Bundes soll zentral strategisch gesteuert werden. Die Bedeutung von Rahmenverträgen soll steigen, indem Behörden auch auf Rahmenverträge anderer Behörden zugreifen dürfen. Die Bestellplattform des Bundes soll zu einem digitalen Marktplatz für Bund, Länder und Kommunen ausgebaut werden.
Durch Digitalisierung, Verschlankung und Beschleunigung von Verfahrensabläufen sowie eine personelle Stärkung soll die Justiz leistungsfähiger werden. Medienbrüche in Gerichtsverfahren sollen der Vergangenheit angehören. Ein zentrales Justizportal soll eingerichtet und die Nutzung von KI ermöglicht werden. Die Justiz in der Fläche soll durch höhere Zuständigkeitsgrenzen der Amtsgerichte gestärkt werden. Die Rechtsmittelstreitwerte sollen steigen. Zivilprozesse sollen auch online durchgeführt werden können. Die Koalition will so einen Pakt für den Rechtsstaat schließen.
Der Plan der Koalition für die Modernisierung des Staates und den Abbau von Bürokratie steht. Ob die Prognose trägt, dass die geschilderten Maßnahmen im Saldo ohne finanzielle Mehrausgaben erreichbar sind, bleibt allerdings abzuwarten. Abwarten – das heißt es auch bis zur Umsetzung der Maßnahmen. In der Zwischenzeit bietet der Koalitionsvertrag auch für andere staatliche und kommunale Akteure aber eine interessante Vergleichsperspektive. Sicher lassen sich auch auf Landes- und Kommunalebene Möglichkeiten suchen und finden, digitaler, kooperativer und bürokratieärmer zu werden – dort, wo eigene Gestaltungsmöglichkeiten bestehen.
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