Der EuGH (C-298/22) hat zuletzt strenge Maßstäbe für den zulässigen Informationsaustausch zwischen Unternehmen festgelegt. Dadurch stehen Unternehmen jetzt umso mehr vor der Frage: Über was darf ich mit anderen Unternehmen noch sprechen? Was ist noch zulässiges Networking und ab wann ist der Austausch von geschäftsbezogenen Informationen eine Wettbewerbsbeschränkung und damit ein Kartellrechtsverstoß?
Der EuGH hatte über eine Vorlage des portugiesischen Gerichts für Wettbewerb zu entscheiden. Es ging um 14 portugiesische Banken, die über mehr als zehn Jahre nicht-öffentliche Informationen zu ihren Geschäftsbedingungen sowie zur Höhe der im Vormonat vergebenen Kredite untereinander ausgetauscht hatten. Dies hatte die Kartellbehörde mit einem Bußgeld von 225 Millionen Euro geahndet. Der Fall landete beim portugiesischen Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht. Vom EuGH wollte es wissen, ob das Kartellverbot in Art. 101 AEUV der Einstufung dieses Informationsaustauschs als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung entgegensteht. Würde das Verhalten nämlich als bezweckte (und nicht nur „bewirkte“) Wettbewerbsbeschränkung qualifiziert, läge ein Verstoß gegen das Kartellverbot vor, ohne dass weiter festgestellt werden müsste, ob und welche schädlichen Auswirkungen das Verhalten auf den Wettbewerb hatte.
Der EuGH sah in dem Verhalten der Banken eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 AEUV:
„Ein Informationsaustausch, der, auch wenn er formal nicht als Verfolgung eines wettbewerbswidrigen Zwecks in Erscheinung tritt, angesichts seiner Form und des Zusammenhangs, in dem er stattfand, nicht anders als mit der Verfolgung eines Zwecks erklärt werden kann, der einem der konstituierenden Merkmale des Grundsatzes des freien Wettbewerbs zuwiderläuft, ist […] als bezweckte Beschränkung anzusehen.“
Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV untersagt Verhaltensweisen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in der EU bezwecken oder bewirken. Im Fall einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ist es daher nicht erforderlich, dass das Verhalten den Markt auch tatsächlich beeinträchtigt.
Der EuGH sah dies als gegeben an. Angesichts der Form des Informationsaustauschs der Banken und des Zusammenhangs, in dem er stattfand, könne er nur einen Zweck gehabt haben, der dem freien Wettbewerbs zuwiderläuft.
Für eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung sei nach dem EuGH auch nicht notwendig, dass die Beteiligten ihr Verhalten tatsächlich koordiniert haben. Vielmehr reiche es aus, dass Unternehmen Informationen erhalten, die vertraulich und strategisch sind und ihnen Anhaltspunkte dafür liefern, wie die anderen Marktteilnehmer sich in der Zukunft verhalten könnten. Dann könne davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten ihr Marktverhalten stillschweigend koordinieren:
„Deswegen […] ist davon auszugehen, dass ein Informationsaustausch dann Merkmale aufweist, um ihn mit einer Form der Koordinierung zwischen Unternehmen in Verbindung zu bringen, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, wenn sich sein Inhalt auf Informationen bezieht, die unabhängig davon, ob sie sensibel oder vertraulich sind, in dem Zusammenhang, in dem dieser Austausch stattfindet, die an dem Austausch Beteiligten, sofern sie hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig sind, dazu veranlassen dürften, sich in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, stillschweigend in der gleichen Weise zu verhalten.“
Ein Informationsaustausch ist – gemessen an Inhalt, Zusammenhang und objektiv verfolgten Zielen – nach bisheriger Rechtsprechung dann schädlich, wenn er sich auf Informationen bezieht, die zu einer Koordinationswahrscheinlichkeit führen. Unerheblich ist dabei, ob die ausgetauschten Informationen sensibel oder vertraulich sind. Ausreichend ist auch, dass die Informationen es ermöglichen, die Ungewissheit über künftiges Marktverhalten der anderen Marktteilnehmer zu beseitigen, indem sie sowohl vertraulicher als auch strategischer Natur seien.
Den Begriff der strategischen Information fasst der EuGH weit. Darunter fallen:
Niedrig hängt der EuGH die Messlatte auch bei der Häufigkeit des Informationsaustauschs. Es müsse keine häufige oder regelmäßige Kommunikation zwischen den beteiligten Unternehmen stattgefunden haben, um von einer Wettbewerbsbeschränkung auszugehen. Auch ein einmaliger Austausch könne bereits eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung begründen. Im Rahmen einer etwaigen Bußgeldbemessung wird die Frequenz der Informationswechsel – ebenso wie Dauer, konkrete Auswirkungen oder die Betroffenheit nur einzelner Parameter – hingegen sehr wohl erhöhend oder ermäßigend relevant.
Unternehmen sollten äußerst zurückhaltend mit der Weitergabe von nicht öffentlichen Informationen sein. Ein Informationsaustausch kann auch dann eine bußgeldgewährte Wettbewerbsbeschränkung sein, wenn er nicht von der höchsten Management-Ebene ausgeht. Grundsätzlich ist es immer eine Einzelfallbetrachtung. Aber auch ein Austausch auf Networking-Veranstaltungen einzelner Fachabteilungen wie zum Beispiel HR oder Marketing ist bereits kritisch. Denn der Austausch über einen einzelnen strategischen Parameter kann für die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung ausreichen. Nicht erforderlich ist, dass größere Teile der Unternehmensstrategie preisgegeben werden. Vorsichtig sein sollten Unternehmen insbesondere auch im Rahmen von Kooperationen und gemeinsamen Plattformen.
Unter Compliance-Gesichtspunkten sollten Unternehmen ihre Mitarbeiterschulungen anpassen und alle Mitarbeitenden für diese Thematik sensibilisieren.
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