Suche
Contact
04.02.2021 | KPMG Law Insights

EuGH: Keine Entscheidung über die Einordnung von entgeltlichen Lehrangeboten öffentlicher Hochschulen als Dienstleistung bzw. wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Unionsrechts

EuGH: Keine Entscheidung über die Einordnung von entgeltlichen Lehrangeboten öffentlicher Hochschulen als Dienstleistung bzw. wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Unionsrechts


In Kürze

Der EuGH (Urteil vom 04.07.2019 – C-393/17) bestätigte, dass die entgeltliche Erbringung von Leistungen, die der Hochschultätigkeit zugeordnet werden können, dem Dienstleistungsbegriff des Art. 57 AEUV unterfallen, wenn diese von privaten Einrichtungen angeboten werden, die mit Gewinnerzielungsabsicht handeln.

Eine Auseinandersetzung, mit der zuletzt aufgekommenen Frage, ob Lehrangebote öffentlicher Hochschulen für Berufstätige, die entgeltlich und mit Gewinnerzielungsabsicht angeboten werden (z.B. Wochenend-Manager-Seminare), als Dienstleistungen im Sinne des Unions- und als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Beihilferechts betrachtet werden müssen, blieb aus.

Hintergrund

Zwei Betreiber einer nicht akkreditierten privaten Hochschule in Belgien begehrten vor einem belgischen Berufungsgericht die Aufhebung der gegen sie verhängten Geldstrafen. Grund für die strafrechtliche Sanktionszahlung war die nach Ansicht der flämischen Strafverfolgungsbehörde vorliegende rechtswidrige Verleihung von akademischen Titeln. In der Strafvorschrift sahen die beiden Betreiber der Hochschule u.a. einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG). Das belgische Gericht legte eine Reihe von Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) vor. Maßgeblich war insbesondere der Dienstleistungsbegriff und dessen Anwendung auf die Angebote der privaten Hochschule.

Der Generalanwalt beim EuGH hatte diesen Fall zum Anlass genommen, die seit der Rechtssache Humbel und Edel (263/68) verwandten „Humbel-Kriterien“ einer aktuellen Betrachtung zu unterziehen. Die Argumentation im Schlussantrag war im Hinblick auf die Frage relevant, ob insbesondere gegen Entgelt erbrachte universitäre Angebote zur Weiterbildung von Berufstätigen als Dienstleistung nach Art. 57 AEUV zu qualifizieren seien. Daran hätte sich die Frage angeschlossen, ob insbesondere in der entgeltlichen Weiterbildung von Berufstätigen eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Beihilferechts, liegt, die als solche in der beihilferechtlichen Trennungsrechnung ausgewiesen werden müsste (Art. 107 Abs. 1 AEUV i.V.m. Ziff. 2.1.1. ff. des Unionsrahmens für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation vom 21.05.2014 [2014/C 198/01]).

Die „Humbel-Kriterien“: Nach Art. 57 AEUV ist eine Dienstleistung, eine gegen Entgelt erbrachte Leistung, wobei dies im Sinne einer wirtschaftlichen Gegenleistung für die erbrachte Leistung verstanden werden muss. Trotz der Erhebung eines Schulgelds gilt, dass Bildung grundsätzlich nicht als Dienstleistung zu betrachten ist, da der Staat im Rahmen des nationalen Bildungssystems keine gewinnbringende Tätigkeit aufnimmt, sondern seine sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Pflichten erfüllt. Dies gilt nach neuerer Rechtsprechung auch für Hochschulen des staatlichen Bildungssystems, soweit diese vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, selbst wenn gelegentlich Gebühren zur Kostendeckung gezahlt werden müssen.

Umgekehrt fallen die Leistungen privater Hochschulen unter den Dienstleistungsbegriff im Sinne von Art. 57 AEUV, wenn die in Frage stehenden Angebote entgeltlich erbracht und die Einrichtungen im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert werden und einen Gewinn zu erzielen suchen.

Der Schlussantrag des Generalanwalts: Der Generalanwalt hatte diese in den 80er-Jahren entstandene Bewertung in Frage gezogen. Er argumentierte, die scharfe Grenze für staatliche und private Universitäten könne in der heutigen Hochschullandschaft nicht mehr gelten:

„Was ist staatlich in einer Welt, in der (sogar) staatliche Hochschulen Standorte in anderen Mitgliedstaaten errichten oder Joint Ventures mit verschiedenen anderen Einrichtungen schließen und/oder Spin-Off-Gesellschaften für Lehre und Forschung gründen?“ (GA beim EuGH, 15.11.2018 – C-393/17, ECLI:EU:C:2018:918 Rn. 73.)

Das Bild der edlen, ausschließlich auf das Gemeinwohl bedachten staatlichen Hochschule, gegenüber dem kapitalistischen Konstrukt der Privat-Uni, sei überholt, da auch erstere Gebühren für Studiengänge sowie (Wochenend-)Veranstaltungen für Manager erhöben. Eine Parallele bestehe zum Gesundheitswesen, welches, obwohl es teils durch private Anbieter gekennzeichnet ist, als nicht-wirtschaftliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse eingeordnet wird, für die die Dienstleistungsfreiheit keine Anwendung findet. Folglich könne bei privaten Bildungsanbietern nicht von vornherein ein Ausschluss des Allgemeininteresses angenommen werden.

Deshalb schlug der Generalanwalt vor, man könne u.a. nach der einzelnen Tätigkeit (insbesondere jedem Studiengang), nach der Bildungsebene, der Finanzierung und der Größe des Marktes des Angebotes differenzieren, um zu determinieren, ob eine in das Hochschulwesen fallende Leistung unter den Dienstleistungsbegriff zu subsumieren sei (die vorgeschlagenen Kriterien werden hier genauer betrachtet).

Entscheidung

Die damit aufgeworfene Frage der Einordnung eines entgeltlichen Bildungsangebots einer überwiegend oder weit überwiegend öffentlich finanzierten Bildungseinrichtung war nicht notwendigerweise im vorliegenden Verfahren zu entscheiden. Der EuGH nahm die Diskussion des Generalanwalts nicht auf. Vielmehr berief er sich auf die etablierte Rechtsprechung und stellte fest, dass Bildungsangebote, die von privaten Bildungseinrichtungen entgeltlich erbracht werden, unter den Dienstleistungsbegriff fallen, wenn die Einrichtungen im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert werden und sie einen Gewinn zu erzielen suchen.

Was kann der Leser mitnehmen?

Nach der Entscheidung des EuGHs bleibt die grundsätzliche Ausnahme vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie für überwiegend öffentlich finanzierte Bildungsangebote unverändert.

Der Ausgang der Diskussion, die durch die Argumentation des Generalanwalts im Schlussantrag angestoßen wurde, über die Einordnung von Lehrangeboten öffentlicher Hochschulen, die entgeltlich und mit Gewinnerzielungsabsicht angeboten werden, als Dienstleistungen im Sinne des Unionsrechts und als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Beihilferechts, bleibt damit offen.

Explore #more

31.05.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Die Digitalstrategie der EU

Die Digitalstrategie der EU soll Europa zum Spitzenreiter einer datengesteuerten Gesellschaft machen. Unter anderem soll ein „Binnenmarkt für Daten“ entstehen. Zumindest plant es die EU-Kommission…

25.05.2023 | KPMG Law Insights

Podcast-Serie „KPMG Law on air”: Mergers & Acquisitions (M&A) in Krisenzeiten

Der Transaktionsmarkt hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Nachfrage nach Unternehmenskäufen ist generell gesunken; insbesondere große Transaktionen sind rückläufig. Expansion ist in…

13.05.2023 | Pressemitteilungen

Neue Ausgabe des digitalen Magazins „Talk – Tax & Law Kompass“

Das digitale Magazin „Talk – Tax & Law Kompass“ greift aktuelle steuerliche und rechtliche Aspekte aktueller, unternehmensrelevanter Themen auf.
Diesmal geht es um die Trendthemen…

12.05.2023 | KPMG Law Insights

Bundestag und Bundesrat haben Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet

Das Hinweisgeberschutzgesetz ist beschlossen. Am 9. Mai 2023 hatte sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat geeinigt und eine Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf vorgelegt. Der Bundestag…

09.05.2023 | Dealmeldungen

KPMG Law Deutschland und Österreich beraten ZF Friedrichshafen bei Tsetinis-Verkauf

KPMG Law in Deutschland und KPMG Law in Österreich haben die ZF Friedrichshafen AG bei der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung an der Ing. Tsetinis Beratungs GmbH…

09.05.2023 | KPMG Law Insights

UPDATE Transparenzregister und Immobilien in Deutschland – Ausufernde Meldepflichten für ausländische Unternehmen

Das Bundesverwaltungsamt hat klargestellt, dass ausländische Gesellschaften auch dann zum Transparenzregister gemeldet werden müssen, wenn sie nur indirekt an deutschen Immobilien beteiligt sind. Die Meldepflicht…

09.05.2023 | KPMG Law Insights

EuGH zum Datenschutz: Keine Erheblichkeitsschwelle für Schadensersatz

Ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) allein genügt nicht, um einen Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden zu begründen. Nach Ansicht des EuGH muss auch…

01.05.2023 | Pressemitteilungen

KPMG Law stärkt Handels- und Vertriebsrecht sowie Kartellrecht und Fusionskontrolle mit zwei Partner-Neuzugängen in Stuttgart und Berlin

KPMG Law hat sich zum 1. Mai 2023 mit zwei Neuzugängen auf Partnerebene verstärkt: Dr. Jonas Brueckner ergänzt als Partner den Bereich Kartell- und Wettbewerbsrecht…

28.04.2023 | KPMG Law Insights

EuGH: Generalanwalt lehnt verschuldensunabhängige Haftung für Datenschutzverstöße ab

Zu der umstrittenen Frage der verschuldensunabhängigen Haftung von Unternehmen für Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat der Generalanwalt beim EuGH am 27. April 2023 (C-807/21)

06.04.2023 | KPMG Law Insights

BGH zur Geschäftsführerbestellung: Das sollten Konzerne beachten

Vorstände einer Aktiengesellschaft können sich nicht selbst zu Geschäftsführer:innen einer Tochter-GmbH bestellen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 17.01.2023 (Az. II ZB 6/22) beschlossen und…

© 2023 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll