Der Beitrag gibt einen Überblick über die EU-beihilferechtlichen Besonderheiten, die Ausgründungen bei der Zusammenarbeit mit ihren Ausgründungen im Blick behalten sollten.
Rechtspolitische Aktualität:
Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag in einem ganzen Abschnitt den Themen Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung gewidmet. Um einen Innovationsschub auszulösen, sollen auch Ausgründungen vorangetrieben werden (S. 17 des Koalitionsvertrags). Diese sehr zu begrüßenden Ambitionen bringen eine Reihe an Herausforderungen auf den verschiedenen Gebieten des Forschungs- und Wissenschaftsrechts mit sich. Daneben sind aber auch weitere Rechtsgebiete involviert, wenn es um die Zusammenarbeit von Wissenschaftseinrichtungen mit ihren Ausgründungen geht. Insbesondere auf den Gebieten des EU-Beihilferechts und des Vergaberechts gilt es einige Besonderheiten aus Sicht der Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen zu beachten. Welche Besonderheiten dies im Detail sind, zeigt dieser zweiteilige Beitrag auf. Den Einstieg macht mit dem vorliegenden ersten Teil die Betrachtung des EU-Beihilferechts.
EU-Beihilferechtliche Besonderheiten im Einzelnen:
Nicht nur die Finanzierung von Wissenschaftseinrichtungen ist an den Regeln des Beihilferechts zu messen, wenn sie (auch) wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Auch die Tätigkeit der Wissenschaftseinrichtungen selbst kann den Beschränkungen des Beihilferechts unterliegen, soweit eine Wissenschaftseinrichtung der öffentlichen Hand zuzuordnen ist. Ankernorm für die EU-beihilferechtliche Betrachtung ist das Beihilfeverbot in Art. 107 AEUV. Wenn staatliche oder staatlich geförderte Wissenschaftseinrichtungen nunmehr mit ihren Ausgründungen, in der Regel privatwirtschaftliche Start-ups, zusammenarbeiten wollen und diese fördern möchten, sind die Tatbestandsmerkmale des EU-Beihilfenverbotes aus Art. 107 AEUV streng zu beachten.
Soweit die Wissenschaftseinrichtung an das Beihilferecht gebunden ist, darf durch die Zusammenarbeit mit Dritten keine Begünstigung bestimmter Unternehmen begründet werden. Das Tatbestandsmerkmal der Gewährung staatlicher Mittel bzw. aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, ist regelmäßig erfüllt, wenn die Wissenschaftseinrichtung der öffentlichen Hand zuzuordnen ist und direkt öffentliche Gelder an ihre Ausgründungen ausschüttet oder Gelder, die sie wiederum aus staatlichen Förderungen erhalten hat, an die Ausgründungen weiterleiten. Sowohl die eigene Mittelausschüttung als auch die Weitergabe staatlicher Mittel auf dem Gebiet des Zuwendungsrechts, kann als Gewährung von staatlichen Mitteln oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe einzustufen sein. Die Beurteilung, ob es sich um staatliche Mittel handelt, ist anhand eines Zurechnungskataloges zu treffen, der durch die Rechtsprechung im Stardust-Marine-Urteil (EuGH Urt. v. 16.5.2002 – C-482/99) entwickelt wurde.
Ausgründungen sind meist als Unternehmen i.S.d Art. 107 AEUV zu qualifizieren. Sie gehen wirtschaftlichen Tätigkeiten nach und sind daher für gewöhnlich nicht vom Anwendungsbereich des Art. 107 AEUV ausgenommen. Eine Besonderheit besteht darin, dass Ausgründungen in aller Regel nicht von den Privilegien des FuE-Rahmens mitumfasst sind, da diese nur für Forschungseinrichtungen und Forschungsinfrastruktur gelten, deren Hauptzweck die unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung ist. Ausgründungen hingegen verfolgen regelmäßig nicht das Ziel, Grundlagen oder experimentelle Forschung als Haupttätigkeitsfeld zu erschließen, sondern streben an, ihre eigene Stellung auf dem Markt, oft durch Auftragsforschung oder Forschungsdienstleistungen, zu verbessern.
Soweit Ausgründungen von Wissenschaftseinrichtungen gefördert werden, die an das Beihilferecht gebunden sind, ist sicherzustellen, dass darin keine Begünstigung liegt, die zu einer Wettbewerbsverfälschung führen kann. Grundsätzlich ist jeder Vorteil, dem keine angemessene Gegenleistung entgegensteht, eine beihilferechtlich relevante Begünstigung. Ob eine Maßnahme eine Begünstigung im beihilferechtlichen Sinne ist, bemisst sich also danach, ob sie marktüblich ist. Eine Begünstigung kann nicht nur in der Auszahlung von Geldern und der Gewährung von Vorzugskonditionen liegen, sondern kann auch in Form von anderweitiger Vorteilsgewährung wie beispielsweise der Bereitstellung von Forschungsergebnissen oder dem Anbieten sonstiger Ressourcen der Wissenschaftseinrichtung wie Personal, Räumlichkeiten und Gerätschaften vorliegen. Sowohl Geld- als auch Sachleistungen können danach eine Begünstigung im beihilferechtlichen Sinne darstellen und sind unzulässig, wenn sie drohen den Wettbewerb zu verfälschen und den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen.
Es wird deutlich, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Beihilfenverbots bei der Zusammenarbeit von öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen und ihren Ausgründungen oft erfüllt sein können. Denn die ursprünglich an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen verorteten Projekte begeben sich durch ihre Abnabelung und Gründung von Start-ups oftmals auf den Markt, wo sie mit Konkurrenten in den Wettbewerb treten.
Handlungsmöglichkeiten:
Grundsätzlich sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen sowie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, unzulässig nach Art. 107 Abs. 1 EUV. Um eine effektive Überwachung gewährter Beihilfen sicherzustellen, sind alle Beihilfen bei der Kommission anzuzeigen (Notifizierungspflicht gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz. 1 AEUV). Bevor die Kommission eine Entscheidung getroffen hat, ob die Maßnahme ausnahmsweise zulässig ist, darf die Beihilfemaßnahme nicht durchgeführt werden (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV).
Anderes gilt indes dann, wenn die konkrete Maßnahme unter eine allgemeine Freistellung oder Genehmigung der Kommission fällt und damit gerechtfertigt ist. Im Falle einer existierenden Freistellung müsste die konkrete Maßnahme nicht bei der Kommission angemeldet (notifiziert) werden und dürfte unmittelbar durchgeführt werden.
Das Beihilfenrecht sieht einige Freistellungsmöglichkeiten vor, die Wissenschaftseinrichtungen bei der Zusammenarbeit mit ihren Ausgründungen im Blick haben sollte. Beispielsweise eröffnet die „De-minimis-Verordnung“ (Verordnung Nr. 1407/2013 der EU-Kommission vom 18.12.2013, ABl. L 352/1 vom 24.12.2013) die Gewährung von Mitteln an privatwirtschaftliche Unternehmen in einer Höhe von 200.000 Euro innerhalb von drei Steuerjahren, ohne dass das Beihilfenverbot zu beachten ist. Etwaige weitere Ausnahmen finden sich in der „Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung“ (Verordnung Nr. 651/2014 der EU-Kommission vom 17.06.2014, ABl. L 187/1 vom 26.06.2014), die jeweils von Umfang und Art der Zusammenarbeit mit den Ausgründungen abhängig sind.
Diese Freistellungsmöglichkeiten sind meist komplex und an bestimmte Anzeigepflichten gebunden. Es besteht hier die große Gefahr, Fehler zu begehen.
Neben den Freistellungsmöglichkeiten ist auf tatbestandlicher Ebene eine beihilfenrechtskonforme Preiskalkulation für die Nutzung einer Ressource aus öffentlich-rechtlichen Mitteln das Mittel der Wahl, um das Eingreifen des Beihilfeverbots zu verhindern. Voraussetzung hierfür ist eine Preisgestaltung zu Vollkosten plus Gewinn oder zu einem Marktpreis, der mindestens die Vollkosten deckt. Weitere Voraussetzung für einer Verhinderung einer Beihilfe ist zudem der Rückfluss der Nutzungsentgelte in den nichtwirtschaftlichen Bereich der Wissenschaftseinrichtung.
Ausblick:
Abzuwarten bleibt, ob die sehr zu begrüßenden Ambitionen der Regierung, in denen große Potenziale liegen, auch ausgeschöpft werden. Unabhängig von den zukünftigen Entwicklungen sollten Wissenschaftseinrichtungen sich bereits jetzt mit den rechtlichen Besonderheiten auseinandersetzen, die in der Zusammenarbeit mit ihren Ausgründungen auf sie zukommen. Nach diesem kurzen Überblick, der eine Übersicht über die EU-beihilferechtlichen Besonderheiten gegeben hat, widmet sich der nächste Beitrag in der folgenden Ausgabe des Newsletters „Querschnitt Wissenschaft“ der Betrachtung, welche Aspekte bei der Zusammenarbeit von Wissenschaftseinrichtung und ihren Ausgründungen auf dem Gebiet des Vergaberechts zu beachten sind.
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