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15.03.2023 | KPMG Law Insights

Der überarbeitete Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation von 2022

Der überarbeitete Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation von 2022

Am 19. Oktober 2022 ist der überarbeitete Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation in Kraft getreten.[1] Er soll laut EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager „öffentlich-private Investitionen in bahnbrechende Innovationen und Forschung sowie Erprobungs- und Versuchsinfrastruktur“ erleichtern und damit den ökologischen und digitalen Wandel in Europa unterstützen.[2] Die Kommission hat dazu gezielt Vorschriften des 2014er FuEuI-Unionsrahmens angepasst und ergänzt.

1. Neue Fördermöglichkeiten für Forschung, Entwicklung und Innovation

Der neue FuEuI-Unionsrahmen eröffnet den EU-Mitgliedsstaaten neue Fördermöglichkeiten für Innovationen und Forschung sowie für Erprobungs- und Versuchsinfrastrukturen, die die Kommission nun für mit dem Binnenmarkt als vereinbar erklären kann.

1.1. Beihilfen für den Auf- bzw. Ausbau von Erprobungs- und Versuchsinfrastrukturen

Als neue Kategorie hinzugekommen sind Beihilfen für den Auf- bzw. Ausbau von Erprobungs- und Versuchsinfrastrukturen, vgl. Rn. 13 lit. d) und Rn. 16 lit. ll) FuEuI-Unionsrahmen.[3]

Erprobungs- und Versuchsinfrastrukturen, die teilweise auch als Technologieinfrastrukturen bezeichnet werden, sind Infrastrukturen, die hauptsächlich von kommerziellen Unternehmen genutzt werden, um neue oder verbesserte Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen zu entwickeln sowie Technologien zu erproben und zu optimieren. Die Technologieinfrastrukturen sind näher am Markt als Forschungsinfrastrukturen und ermöglichen es Unternehmen, durch industrielle Forschung und experimentelle Entwicklung voranzukommen. Die Beihilfen dienen vorwiegend der Behebung von Marktversagen aufgrund unzureichender und asymmetrischer Informationen oder Koordinierungsmängel. Da der Auf- oder Ausbau von Technologieinfrastrukturen häufig mit hohen Vorlaufkosten verbunden und der Kundenstamm ungewiss ist, stehen solche Vorhaben nicht selten vor besonderen Finanzierungsherausforderungen.

Da die Technologieinfrastrukturen von Unternehmen für marktnahe Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten genutzt werden, sind die Beihilfehöchstintensitäten niedriger als bei reinen Forschungsinfrastrukturen, wobei für kleinere Unternehmen, die die Infrastruktur betreiben, oder für grenzüberschreitende Projekte Aufschläge und damit höhere Intensitäten vorgesehen sind. Der Zugang zu den geförderten Infrastrukturen muss den Nutzerinnen und Nutzern (zumeist KMU und Start-ups) auf transparente und diskriminierungsfreie Weise und zu marktüblichen Bedingungen gewährt werden, wobei die Nutzungsgebühren im Einklang mit Vorgaben des FuEuI-Unionsrahmens 2022 oder der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO)[4] oder der De-minimis-Verordnung[5] gesenkt werden können.

1.2. Beihilfen für Verfahrens- oder Organisationsinnovationen

Weiterhin wurde der FuEuI-Unionsrahmen 2022 um Beihilfen für Verfahrens- oder Organisationsinnovationen erweitert.[6] Die Beihilfen richten sich in erster Linie an KMU und sind vorrangig auf Marktversagen im Zusammenhang mit positiven externen Effekten (Wissens-Spillover), Koordinierungsproblemen und, in geringerem Maße, Informationsasymmetrie ausgerichtet, vgl. Rn. 13 lit. f) FuEuI-Unionsrahmen 2022. Für KMU sind Beihilfeintensitäten bis zu 50 Prozent zulässig, für große Unternehmen bis 15 Prozent, wenn eine wirksame Zusammenarbeit mit mindestens einem KMU vorliegt.

Verfahrens- bzw. „Prozessinnovation“ bedeutet die Anwendung einer neuen oder wesentlich verbesserten Methode für die Produktion oder die Erbringung von Leistungen (einschließlich wesentlicher Änderungen in Bezug auf Technik, Ausrüstung oder Software) auf Ebene des Unternehmens (auf Konzernebene in dem jeweiligen Wirtschaftszweig im EWR), beispielsweise durch die Nutzung neuer oder innovativer digitaler Technologien oder Lösungen, vgl. Rn. 16 lit. cc) FuEuI-Unionsrahmen 2022. Prozessinnovation kann auch soziale Innovation umfassen. Nicht als Prozessinnovationen angesehen werden dagegen geringfügige Änderungen oder Verbesserungen, der Ausbau der Produktions- oder Dienstleistungskapazitäten durch zusätzliche Herstellungs- oder Logistiksysteme, die den bereits verwendeten sehr ähnlich sind, die Einstellung eines Arbeitsablaufs, einfache Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen, allein aus Veränderungen bei den Faktorpreisen resultierende Änderungen, neue Kundenausrichtung, Lokalisierung, regelmäßige, saisonale und sonstige zyklische Veränderungen sowie der Handel mit neuen oder erheblich verbesserten Produkten.

„Organisationsinnovation“ wird nach Rn. 16 lit. z) FuEuI-Unionsrahmen 2022 definiert als die Anwendung neuer Organisationsmethoden auf Ebene des Unternehmens (auf Konzernebene in dem jeweiligen Wirtschaftszweig im EWR), im Bereich der Arbeitsabläufe oder der Geschäftsbeziehungen eines Unternehmens, beispielsweise durch die Nutzung neuer oder innovativer digitaler Technologien. Organisationsinnovation kann ebenfalls soziale Innovation umfassen. Nicht als Organisationsinnovation angesehen werden Änderungen, die auf bereits in dem Unternehmen angewandten Organisationsmethoden beruhen, Änderungen in der Managementstrategie, Fusionen und Übernahmen, die Einstellung der Anwendung eines Arbeitsablaufs einfache Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen, allein aus Veränderungen bei den Faktorpreisen resultierende Änderungen, neue Kundenausrichtung, Lokalisierung, regelmäßige, saisonale oder sonstige zyklische Veränderungen sowie der Handel mit neuen oder erheblich verbesserten Produkten.

2. Vereinfachung von Vorschriften

Ferner wurden die Begriffsbestimmungen unter Rn. 16 FuEuI-Unionsrahmen 2022 aktualisiert.[7] So wird insbesondere die Anwendbarkeit in Bezug auf digitale Technologien und Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Digitalisierung (z. B. Hochleistungsrechnen, Quantentechnologien, Blockchains, künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Big Data, Cloud-Computing und Edge-Computing) präzisiert, um mehr Transparenz und Rechtssicherheit zu schaffen und so den digitalen Wandel in der EU zu fördern. Auch die Vereinfachung von Vorschriften soll die praktische Anwendung des FuEuI-Unionsrahmen erleichtern und den Verwaltungsaufwand für Unternehmen und Behörden verringern.[8] Mit den neuen Vorschriften wird beispielsweise ein vereinfachter Mechanismus zur Bestimmung der indirekten Kosten von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben eingeführt.

3. Fazit

Hintergrund der Überarbeitung des FuEuI-Unionsrahmens von 2014 war eine 2019 initiierte Evaluation der Beihilfevorschriften durch die Kommission, an der sich die Mitgliedstaaten, Unternehmens- und Forschungsverbände, Interessengruppen und Unternehmen, NGO sowie Bürgerinnen und Bürger beteiligen konnten.[9] Die Ergebnisse zeichneten ein vorwiegend positives Bild vom 2014er FuEuI-Unionsrahmen, weshalb die Kommission 2020 nur punktuelle Anpassungen vorschlug, mit denen legislativen Entwicklungen, aktuellen Prioritäten sowie Markt- und Technologieentwicklungen wie dem Europäischen Grünen Deal sowie die Digital- und Industriestrategie der EU-Kommission Rechnung getragen wird.[10]

Vom Grundsatz unterscheidet sich der neue FuEuI-Unionsrahmen nicht wesentlich vom „alten“ FuEuI-Unionsrahmen. Die bestehende und in Teilen komplexe Systematik der Förderung von FuEuI-Vorhaben wurde beibehalten und gezielt erweitert und angepasst an die Anforderungen, die mit dem ökologischen und digitalen Wandel einhergehen. Die Beihilfen für den Auf- bzw. Ausbau von Erprobungs- und Versuchsinfrastrukturen und für Verfahrens- oder Organisationsinnovationen eröffnen neue Spielräume für die öffentliche Förderung. Die Erweiterungen zielen auch auf eine stärkere Einbeziehung von KMU und Start-ups ab. Wünschenswert wäre aber auch eine Vereinfachung der sogenannten 20-Prozent-Klausel gewesen, die bis heute weder durch Rechtsprechung der europäischen Gerichte noch Entscheidungen der Kommission einer abschließenden Klärung zugeführt worden ist. Insgesamt sind die neuen Fördermöglichkeiten, Präzisierungen und Erleichterungen allerdings zu begrüßen, denn sie stärken die Vorreiterrolle der EU beim ökologischen und digitalen Wandel.

 

[1] Pressemitteilung der Kommission vom 19.10.2022 (siehe: Staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation: Überarbeiteter Unionsrahmen unterstützt ökologischen und digitalen Wandel (europa.eu) Abruf: 27.02.2023).

[2] Ebd.

[3] Mitteilung der Kommission zum Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation vom 28.10.2022 (2022/C 414/01), Rn.13 c).

[4] Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. L 187 vom 26.6.2014, S. 1).

[5] Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen (ABl. L 352 vom 24.12.2013, S. 1).

[6] Mitteilung der Kommission zum Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation vom 28.10.2022 (2022/C 414/01), Rn.13 f).

[7] Mitteilung der Kommission zum Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation vom 28.10.2022 (2022/C 414/01), Rn.16 a) – zz) ll).

[8] Pressemitteilung der Kommission vom 19.10.2022 (siehe: Staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation: Überarbeiteter Unionsrahmen unterstützt ökologischen und digitalen Wandel (europa.eu) Abruf: 27.02.2023).

[9] Pressemitteilung der Kommission vom 19.10.2022 (siehe: Staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation: Überarbeiteter Unionsrahmen unterstützt ökologischen und digitalen Wandel (europa.eu) Abruf: 27.02.2023).

[10] Pressemitteilung der Kommission vom 30.10.2022 (siehe: Ergebnisse der Evaluierung der EU-Beihilfevorschriften (europa.eu) Abruf: 07.03.2023).

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