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30.07.2020 | KPMG Law Insights

Vergabe an Generalunternehmer – Leitfaden für öffentliche Auftraggeber

Vergabe an Generalunternehmer – Leitfaden für öffentliche Auftraggeber

Die Komplexität von Fördermittel-, Bau- und Vergaberecht sowie Personalengpässe in der Verwaltung führen häufig dazu, dass Kommunen vorhandene Investitionsmittel nicht einsetzen. Gerade bei komplexen Bauvorhaben kann durch eine Vergabe an Generalunternehmer (GU-Vergabe) der Ausschreibungsprozess vereinfacht werden, ohne die Erreichung der Projektziele zu gefährden. Dennoch greifen die Kommunen vor allem aus Sorge vor vergaberechtlichen Verstößen nur zurückhaltend auf das Mittel der GU-Vergabe zurück.

Um öffentlichen Auftraggebern eine fundierte erste Abwägung für und wider eine GU-Vergabe zu ermöglichen, hat KPMG Law in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum für öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. (KOWID) und dem Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS), beide Universität Leipzig, den Leitfaden „Vergabe an Generalunternehmer“ erstellt. Die Publikation kann hier heruntergeladen werden. Der Leitfaden bietet eine praxisnahe Handlungshilfe, die öffentliche Auftraggeber bei der Auswahl und Gestaltung ihres vergaberechtlichen Vorgehens unterstützt. Im Folgenden ein kurzer Überblick über die wesentlichen Inhalte:

Welche Projekte eignen sich für eine GU-Vergabe?

Es wird immer anhand der Besonderheiten und Bedürfnisse eines Projekts abzuwägen sein, ob die Vorteile der GU-Vergabe im Einzelfall überwiegen.

Die gewerkeweise Vergabe von Bauleistungen zieht für den Auftraggeber einen hohen Aufwand nach sich: Er muss präzise die Leistungsschnittstellen der verschiedenen Gewerke definieren und zahlreiche Einzelunternehmer koordinieren. Eine GU-Vergabe bietet sich daher dann an, wenn die losweise Vergabe eine besonders hohe Anzahl von Ausschreibungen erfordern würde und der Bauherr nicht auf die notwendige Anzahl qualifizierter und erfahrener Mitarbeiter für Ausschreibung und Koordination zurückgreifen kann.

Die GU-Vergabe erlaubt eine für den Bauherrn vorteilhafte Risikoallokation. Der Generalunternehmer übernimmt typischerweise einhergehend mit seiner gesamtheitlichen Verantwortung für die Bauausführung wesentliche Bauausführungs- und Koordinationsrisiken. Der Auftraggeber muss sich bei Gewährleistungsfragen zudem nur an einen Ansprechpartner wenden.

Bei Bauprojekten mit einem hohen Standardisierungsgrad kann ein Generalunternehmer den Bauablauf besonders effizient an seine individuelle Vorgehensweise anpassen und dadurch Kosten- und Terminvorteile erzielen.

Der Auftraggeber hat zudem ein erhöhtes Maß an zeitlicher und finanzieller Planbarkeit. Bei der GU-Vergabe stehen weitaus früher die Gesamtkosten eines Projekts fest, als wenn einzelne Gewerke getrennt beauftragt werden. Außerdem wird typischerweise bereits bei Zuschlagserteilung ein Fertigstellungstermin vereinbart. Allerdings verlangen Generalunternehmer für ihre Managementleistungen einen GU-Zuschlag.

Unter welchen Voraussetzungen sind GU-Vergaben rechtlich zulässig?

Gesetzlicher Regelfall ist die Vergabe von Aufträgen in Teil- und Fachlosen (§ 97 Abs. 4 GWB). Dies soll eine mittelstandsfreundliche Beschaffung sichern. Bei der Abweichung von diesem Leitbild ist die Sorge von Auftraggebern groß, mit Nachprüfungsverfahren oder Fördermittelrückforderungen konfrontiert zu werden. Die Sorge vor Nachprüfung findet in der Praxis keine Bestätigung – bei circa 40.000 Nachprüfungsverfahren seit 1999 hat es nur 128 Nachprüfungsverfahren zur Losvergabe gegeben (Stand: September 2019). Davon waren nur 39 aufgrund einer fehlerhaften Losaufteilung begründet.

Bei der Prüfung, ob eine GU-Vergabe möglich ist, darf der Auftraggeber zunächst, ausgehend von seinem Leistungsbestimmungsrecht, seinen Beschaffungsbedarf strukturieren. Als nächstes ist zu prüfen, ob eine Ausnahme vom Gebot der Losvergabe möglich ist, wobei wirtschaftliche und technische Gründe in Betracht kommen. Sollten solche Gründe vorliegen, ist eine Gesamtvergabe möglich, wenn die für den Auftraggeber mit der GU-Vergabe verbundenen Vorteile gegenüber den Interessen des Mittelstands an der Losvergabe überwiegen. Dies hat der Auftraggeber immer anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen und zu bewerten. In Betracht kommen hier technische Aspekte, wie beispielsweise bei einer bautechnischen Koppelung oder besonderes losübergreifendes Know-how, aber auch wirtschaftliche Argumente wie eine unverhältnismäßige Zersplitterung durch Losaufteilung.

Die rechtlichen Risiken der GU-Vergabe können durch die Einhaltung gewisser Leitlinien minimiert werden: Die Entscheidung für eine GU-Vergabe ist mit ausführlicher Begründung und sorgfältiger Abwägung im Vergabevermerk zu dokumentieren. Auftraggeber können sich durch vorgeschaltete Markterkundungsverfahren einen hinreichenden Marktüberblick verschaffen, um eine zielführende Projektstrukturierung zu ermöglichen. Es ist empfehlenswert, die GU-Vergabe als zweistufiges Verfahren mit Teilnahmewettbewerb zu gestalten und bereits in der Bekanntgabe die Gründe der Abweichung von der Losvergabe darzulegen. Bei geförderten Projekten ist eine frühzeitige Abstimmung mit den Förderbehörden unverzichtbar. Zu guter Letzt kann und sollte auch die GU-Vergabe möglichst mittelstandsfreundlich ausgestaltet werden.

Wie kann ein GU-Projekt partnerschaftlich gestaltet werden?

Bauprojekte gehen häufig mit Konflikten zu Terminen, entstehenden Kosten und Qualität einher. Die Auftraggeber in GU-Projekten sind oftmals gut auf solche Situationen eingestellt und agieren auf Augenhöhe mit dem Auftraggeber. GU-Projekte werden daher als besonders streitträchtig wahrgenommen. Das Streitpotenzial kann aber mit verschiedenen Ansätzen entschärft werden.

Wichtig ist zunächst, dass eine Kooperationskultur etabliert wird, etwa durch eine gemeinsam entwickelte und unterschriebene Projektcharta und gemeinsame Kick-off-Termine der beteiligten Personen. Einige Konflikte lassen sich dadurch vermeiden, dass das bauausführende Unternehmen möglichst frühzeitig in die Planung einbezogen wird. Durch vertragliche Anreizmodelle wie Beschleunigungs- und Kostenoptimierungsprämien können die Interessen des Generalunternehmers sowie des Auftraggebers besonders wirkungsvoll in Einklang gebracht werden. Da eine schnelle baubegleitende Konfliktlösung in aller Regel kostengünstiger und besser für den Projekterfolg ist, ist es zielführend, außergerichtliche Konfliktlösungsmöglichkeiten festzulegen. Die Parteien können insbesondere interne Streitbeilegungsmechanismen, Schlichtungsverfahren, Adjudikation durch einen unabhängigen sachverständigen Experten oder letztlich eine Schiedsklausel vereinbaren.

Wie kann ausreichend Wettbewerb für eine GU-Vergabe sichergestellt werden?

Angesichts der allgemein sinkenden Zahl an Bewerbern für öffentliche Bauaufträge und der relativ geringen Zahl von Generalunternehmern ist ein starker Wettbewerb nicht immer selbstverständlich. Für die Schaffung von mehr Wettbewerb müssen Auftraggeber besonderes Augenmerk auf die Marktattraktivität ihrer Vergabe legen. Dazu gehört es, Verfahren transparent, schlank und kooperativ zu gestalten. Auch hier bringt die Einbindung des Know-hows der Bauunternehmen in die Projektplanung Vorteile. Die Steigerung der Attraktivität setzt Marktkenntnis voraus, die vor allem durch Markterkundung erlangt werden kann. Denkbar ist im Ausnahmefall auch die Wahl einer Losvergabe bei alternativer Zulassung von Paketangeboten, obgleich dieses Modell für den Markt Unsicherheiten schafft und die Potenziale einer Gesamtlosvergabe nicht vollständig genutzt werden können.

Fazit

GU-Vergaben können sinnvoll und rechtskonform gestaltet werden. Pauschalisierungen verbieten sich; Auftraggeber müssen sich in jedem Projekt individuell mit den Vor- und Nachteilen der Beschaffungsmodelle auseinandersetzen. Der Leitfaden ist ein Werkzeug, das öffentlichen Auftraggebern diese Bewertung im Einzelfall erleichtert und es ihnen ermöglicht, bedarfsgerecht zu agieren.

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