Das Urteil (BGH Urt. v. 09.05.2017; Az.: 1 StR 265/16)
Der Angeklagte, leitender Angestellter eines deutschen Rüstungsunternehmens, war in erster Instanz vom LG München I wegen diverser Steuerdelikte verurteilt worden. Gegen das Rüstungsunternehmen als Nebenbeteiligte wurde eine Geldbuße verhängt. Hintergrund der Verurteilung war – vereinfacht – ein Rüstungsgeschäft des Unternehmens mit dem griechischen Staat aus dem Jahr 2001, dem eine Bestechungsabrede zwischen der Geschäftsleitung des Unternehmens und dem griechischen Verteidigungsminister zugrunde lag. Der Angeklagte hatte eine Rechnung freigegeben, die der Verschleierung der Bestechungszahlung diente, sowie selbst Provisionszahlungen („Rückvergütungen“) nicht versteuert. Der Angeklagte hat während der laufenden Ermittlungen eine Selbstanzeige betreffend seine deutschen Einkünfte bei den deutschen Finanzbehörden eingereicht.
Die griechischen Behörden sind im Zuge der Ermittlungen in den Besitz von Kontoauszügen gelangt, welche die Provisionszahlungen belegten. Dementsprechend nahm der BGH an, dass den griechischen Behörden zum Zeitpunkt der Selbstanzeige des Angeklagten die Provisionszahlungen bekannt waren. Eine strafbefreiende Wirkung der bei den deutschen Finanzbehörden eingereichten Selbstanzeige scheitert nach dem BGH damit gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO an der Tatentdeckung durch die griechischen Ermittlungsbehörden.
Tatentdeckung
Eine Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO wird angenommen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose dürfen dabei nicht überspannt werden, da diese regelmäßig noch auf einer schmalen Tatsachenbasis erfolgt. So ist weder ein hinreichender Tatverdacht erforderlich, noch dass der Täter der Steuerhinterziehung bereits ermittelt ist.
Vielmehr genügt es, dass konkrete Anhaltspunkte für die Tat als solche bekannt sind. Zwar reicht die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle alleine nicht für eine Tatentdeckung aus. Allerdings ist die Tat entdeckt, wenn weitere Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahelegen. Stets ist die Tat daher entdeckt, wenn ein Abgleich mit den entsprechenden Steuererklärungen stattgefunden hat. Tatentdeckung ist aber auch schon vor einem Abgleich denkbar, wenn die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben ist.
Ferner kann die Tat nicht nur durch Finanzbehörden, sondern durch jedermann, auch Privatpersonen, entdeckt werden. Erforderlich ist dabei aber, dass mit der Weiterleitung der Erkenntnisse an die Behörden zu rechnen ist. Das Gleiche gilt nach dem aktuellen Urteil des BGH auch für Angehörige ausländischer Behörden, sofern der betreffende Staat aufgrund bestehender Abkommen internationale Rechtshilfe leistet. Für die Beurteilung, ob mit der Weitergabe der Erkenntnisse zu rechnen ist, kommt es darauf an, wie wahrscheinlich die Rechtshilfe gewährt wird. Eine solche Lage kann sich nach dem BGH nicht erst zu dem Zeitpunkt ergeben, in dem sich die ausländische Behörde dazu entschließt, Rechtshilfe zu gewähren. Sie kann vielmehr auch bereits mit dem Erlangen der Informationen über die Straftat zusammen fallen, sofern in diesem Zeitpunkt die Rechtshilfegewährung wahrscheinlich ist. Ob dies der Fall ist, hängt von der jeweiligen Praxis des betroffenen Staates bei der Rechtshilfe in Fiskalangelegenheiten ab.
Im vorliegenden Fall war es für die griechischen Behörden nach kriminalistischer Erfahrung aufgrund der Art und Weise der Verschleierung der Zahlungen „ausgesprochen naheliegend“, dass der Angeklagte die Einnahmen in Deutschland nicht gegenüber den Finanzbehörden erklärt hatte. Weiter war angesichts des großen Medieninteresses und der Tragweite des Falles mit einer Weiterleitung der Erkenntnisse an die deutschen Behörden zu rechnen. Damit galt die Tat als entdeckt im Sinne von § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO, so dass die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht zur Geltung kommen konnte.
In diesem Zusammenhang ist auch auf das OECD-Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen hinzuweisen. Artikel 6 des Übereinkommens sieht vor, dass zwei oder mehr Vertragsparteien steuerliche Informationen automatisch in von diesen festgelegten Fallkategorien und nach einem festgelegten Verfahren austauschen können. Für die Praxis ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der automatische Informationsaustausch lediglich eine internationale Amtshilfe darstellt. Eine Rechtshilfe, also eine strafrechtliche internationale Zusammenarbeit, wie sie der BGH in seinem Urteil voraussetzt, kann darin wohl nicht erblickt werden. Der Informationsaustausch ist damit zwar nicht für die Tatentdeckung durch ausländische Behörden, jedoch für die Tatentdeckung durch deutsche Behörden von Relevanz. Vor diesem Hintergrund ist ggf. dringend zu empfehlen, vor einer etwaigen Tatentdeckung durch deutsche Behörden die Möglichkeit einer Selbstanzeige in Erwägung zu ziehen.
Bußgeldhöhe / Existenz eines Compliance-Systems
Gegen den Rüstungskonzern wurde zudem eine Geldbuße gem. § 30 OWiG verhängt. Diese Vorschrift ermöglicht es, eine Geldbuße gegen juristische Personen zu verhängen und knüpft dabei an Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ihrer Leitungspersonen. Beteiligen sich mehrere Leitungspersonen an ein und derselben Straftat kann jedoch nach dem BGH nur eine einzige Geldbuße gegenüber dem Unternehmen verhängt werden. Bei der Bemessung dieser Geldbuße ist dann allerdings die Schuld aller an der Anknüpfungstat beteiligten Leitungspersonen bußgelderhöhend einzubeziehen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin hob der BGH die gegen das Unternehmen verhängte Geldbuße auf: Das Landgericht habe bei Bemessung der Geldbuße fälschlicherweise ausschließlich auf die Schuld des Angeklagten abgestellt, nicht aber auch den von den involvierten Gesellschafter-Geschäftsführern verwirklichten Unrechtsgehalt bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt.
In diesem Zusammenhang wies der BGH für die neue Verhandlung darauf hin, dass bei der Bemessung der Geldbuße auch von Bedeutung sei, inwieweit das Unternehmen seiner Pflicht, „Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss“. Hierbei sollen laut BGH ausdrücklich auch solche Handlungen des Unternehmens eine Rolle spielen, die dieses erst in der Folge des staatlichen Ermittlungsverfahrens umgesetzt hat, wie die Optimierung der entsprechenden Regelungen und die Gestaltung der betriebsinternen Abläufe dergestalt, „dass vergleichbare Normverletzungen künftig jedenfalls deutlich erschwert werden“.
Mit dem Urteil hat der BGH sich erstmals zu der Streitfrage geäußert, ob und inwieweit die Einrichtung eines Compliance-Management-Systems (CMS) bei der Bemessung einer Geldbuße nach § 30 OWiG – bußgeldmindernd – berücksichtigt werden kann. Anders als bei einigen ausländischen Rechtsordnungen (USA: FCPA; Vereinigtes Königreich: UK Bribery Act) hat diese Möglichkeit in Deutschland keine gesetzliche Normierung erfahren. Im Anschluss an eine bisher schon in der Literatur vertretene Auffassung hat sich der BGH nun für eine Berücksichtigung ausgesprochen.
Bußgeldhöhe / Überarbeitung eines Compliance-Systems nach einem Fehlverhalten
Darüber hinaus hat der BGH auch betont, dass im konkreten Fall nicht nur zu prüfen ist, ob ein effizientes Compliance-System implementiert wurde, sondern auch, ob dieses nach dem Bekanntwerden der Rechtsverstöße derart optimiert wurde, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.
Compliance-System und vorsätzliche Steuerhinterziehung
Die Entscheidung des BGH fügt sich in ein Gesamtbild, nach dem auch der Gesetzgeber zumindest im Bereich des Steuerstrafrechts die Einführung und Pflege eines Compliance-Systems honoriert. So hat das Bundesministerium der Finanzen in dem Anwendungserlass zur AO (AEAO) vom 23. Mai 2016 eine positive Wirkung von innerbetrieblichen Kontrollsystemen im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Selbstanzeige und Berichtigung gemäß § 153 AO dokumentiert. Danach kann ein innerbetriebliches Kontrollsystem, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann. Es kann daher dazu beitragen, den Vorwurf einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung zu entkräften.
IV. Fazit und Handlungsempfehlung
Sollte eine Steuerstraftat bereits entdeckt sein – sei es durch nationale, sei es durch ausländische Behörden – so bedeutet das für das Unternehmen nicht, dass „das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.“
Vor dem Hintergrund des Urteils des BGH sowie des Anwendungserlasses des BMF bieten sich vielmehr eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Ausgang eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens noch zu Gunsten des Unternehmens zu beeinflussen. Insbesondere gilt es, ein effizientes Compliance-System zu implementieren und bei Verstößen konsequent nachzubessern.
Wir unterstützen Sie gerne bei der Implementierung, Überprüfung und soweit erforderlich auch Nachbesserung eines Compliance-Systems.
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