Arbeitnehmer:innen können verpflichtet sein, in ihrer Freizeit dienstliche Nachrichten zu lesen. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (BAG, Urteil vom 23. August 2023 – Az. 5 AZR 349/22). Die Pflicht gilt zumindest dann, wenn mit einer Weisung zu rechnen ist, die die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag konkretisieren soll. Die Kenntnisnahme einer SMS kollidiere auch nicht mit dem Arbeitszeitgesetz.
Bei einem Rettungsdienst sieht eine Betriebsvereinbarung unter anderem Springerdienste vor. Das Personal kann zunächst pauschal für eine Springerschicht eingeteilt werden; eine Konkretisierung der Arbeitszeit hat dann bis zum Vorabend um 20 Uhr zu erfolgen. Unterbleibt diese, beginnt der Dienst um 7:30 Uhr. Nachdem der Arbeitgeber einen Rettungssanitäter am Tag vor seiner Springerschicht, einem freien Tag, telefonisch nicht erreichte, teilte er den Arbeitsbeginn per SMS mit. Der Arbeitnehmer erschien jedoch nicht zu der eingeteilten Uhrzeit um 6:00 Uhr, sondern erst um 7:30 Uhr. Trotz einer Ermahnung wiederholte sich der Vorfall eine Woche später, weshalb der Arbeitgeber eine Abmahnung erteilte. Die Zeiten für die Schichten bekam der Rettungssanitäter nicht vollständig auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Er klagte auf Entfernung der Abmahnung und auf vollständige Zeitgutschrift.
Das BAG wies die Klage insgesamt ab. Der Rettungssanitäter könne sich auch nicht darauf berufen, keine Kenntnis von der Weisung gehabt zu haben, denn diese sei ihm per SMS zugegangen. Der Arbeitnehmer habe eine vertragliche Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB gehabt, diese auch zu lesen. Denn er musste damit rechnen, dass sein am nächsten Tag stattfindender Springerdienst noch hinsichtlich der Uhrzeit konkretisiert werden würde.
Diese Nebenpflicht kollidiere auch nicht mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, meint das BAG. Das Lesen der Nachricht des Arbeitgebers sei nicht als Arbeitszeit anzusehen, da sich daraus keine ganz erhebliche Einschränkung der Freizeit des Arbeitnehmers ergebe. Der Arbeitnehmer habe den Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Inhalt der SMS frei bestimmen können. Die Ruhezeit des Arbeitnehmers wurde durch diese SMS beziehungsweise deren Kenntnisnahme nicht unterbrochen.
Das Urteil des BAG zeigt, dass Arbeitnehmer:innen auch außerhalb der regulären Arbeitszeit verpflichtet sein können, dienstliche Nachrichten zu lesen. Eine generelle Pflicht zur Kenntnisnahme von Kommunikation außerhalb der Arbeitszeit dürfte sich aus der Entscheidung jedoch nicht ableiten lassen. Die Kommunikation im entschiedenen Fall bezog sich auf eine „leistungssichernde“ Weisung zum Arbeitsbeginn, mit welcher der Arbeitnehmer aufgrund einer Betriebsvereinbarung auch rechnen musste.
Für die Praxis interessant ist allerdings die Wertung des BAG, dass das Lesen der Nachricht keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes darstellt. Im Zusammenhang mit mobiler Arbeit und New Work stellt sich vielfach die Frage, inwiefern eine flexible Arbeitszeiteinteilung durch die Mitarbeitenden selbst mit dem Arbeitszeitgesetz vereinbar ist. Insbesondere ob die Kenntnisnahme einer E-Mail in den Abendstunden die nach § 5 Abs. 1 ArbZG vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden unterbricht, ist ein wichtiger Aspekt. Die Antwort des BAG lautet: Maßgeblich ist der Umfang der Beeinträchtigung der Freizeit. Im entschiedenen Fall handelte es sich um eine kurze Nachricht und der Arbeitnehmer war frei, wann er hiervon Kenntnis nahm. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass auch längere Arbeiten oder dienstliche Anrufe während der Ruhezeit erlaubt sind. Das Absenden oder Lesen einer kurzen Nachricht dürfte jedoch unschädlich sein.
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