Wenn Vollzeitbeschäftigte ab der ersten Überstunde einen Anspruch auf Überstundenzuschläge haben, muss das auch für Teilzeitbeschäftigte gelten, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden (Urteil vom 5. Dezember 2024 – Az. 8 AZR 370/20 – bislang nur als Pressemitteilung verfügbar). Eine tarifvertragliche Regelung, nach der Mitarbeitende unabhängig von ihrer individuellen Arbeitszeit erst dann Überstundenzuschläge erhalten, wenn sie die Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Person überschreiten, diskriminiert Teilzeitmitarbeitende.
Im konkreten Fall ist die Klägerin mit einer Kapazität von 40 Prozent beschäftigt. Für ihr Arbeitsverhältnis gilt ein zwischen dem Arbeitgeber und der Gewerkschaft ver.di geschlossener Manteltarifvertrag. Nach diesem fällt für Überstunden ein Zuschlag an. Als Überstunden gelten nach dem Tarifvertrag jedoch nur solche Stunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Person hinausgehen. Die Arbeitszeit in Vollzeit beträgt nach dem Tarifvertrag 38,5 Stunden pro Woche. Teilzeitkräfte sind somit nur selten in den Genuss von Überstundenzuschlägen gekommen, wenn sie über ihre individuelle Wochenarbeitszeit hinaus gearbeitet haben.
Das BAG hatte die Frage dem EuGH vorgelegt, ob die tarifliche Regelung gegen Unionsrecht verstoße. Der EuGH bejahte dies und beantwortete die Frage mit Urteil vom 24. Juli 2024 (C-184/22 und C-185/22) wie folgt: Die tarifliche Regelung verstößt sowohl gegen die Richtlinie 97/81/EG über Teilzeitarbeit als auch gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie (2006/54/EG), da erheblich mehr Frauen als Männer von der Regelung betroffen waren.
Der EuGH hatte in der Vorlageentscheidung argumentiert, dass die Überstundenvergütung zwar für alle Beschäftigten gleich geregelt sei, indem allen der Zuschlag bei Überschreitung der Grenze von 38,5 Stunden zustehe. Teilzeitbeschäftigte müssten jedoch eine größere Anzahl an Überstunden ohne Zuschläge leisten, während Vollzeitbeschäftigte ab der ersten Überstunde einen Zuschlag verlangen können. Dies sei eine unzulässige Ungleichbehandlung. Das Entgelt von Teilzeitbeschäftigten müsse entsprechend ihrer Arbeitszeit anteilig dem der vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten entsprechen.
Eine Ungleichbehandlung kann durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Einen sachlichen Grund hat das BAG aber nicht gesehen. Insbesondere scheint das BAG nicht der Argumentation zu folgen, dass eine den Überstundenzuschlag rechtfertigende Belastung erst ab Überschreiten der für Vollzeitbeschäftigte geltenden Arbeitszeit anzunehmen ist.
Das BAG sprach der Klägerin eine Zeitgutschrift in Höhe der Überstundenzuschläge sowie eine Entschädigung wegen der mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu.
Dass Überstundenzuschläge nur für Stunden gezahlt werden, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinausgehen, war bisher bislang nicht unüblich. Entsprechende Regelungen finden sich häufig in Tarifverträgen. Für die Bemessung der Überstundenzuschläge ihrer Teilzeitmitarbeitenden sollten sie ab sofort die gleichen Maßstäbe anlegen wie bei Vollzeitbeschäftigten, das heißt, dass ihnen ein Zuschlag ab der ersten Überstunde in Bezug auf ihre individuelle Arbeitszeit gewährt werden muss, wenn das auch bei vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten der Fall ist.
Teilzeitbeschäftigte können oft versehentlich diskriminiert werden. Nicht nur bei der Vergütung, auch bei Urlaubsregelungen, bei der Aufgabenverteilung und beim Zugang zu betrieblichen Einrichtungen besteht die Gefahr, dass Teilzeitmitarbeitende ungerechtfertigt benachteiligt werden. Die Schlechterstellung von Teilzeitmitarbeitenden ist gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG verboten. Beachten Arbeitgeber das Gleichbehandlungsgebot nicht, riskieren sie Klagen. Wenn die Teilzeitbeschäftigten überwiegend Frauen sind, kann es sich gleichzeitig um eine Diskriminierung wegen des Geschlechts handeln und den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auslösen.
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