Suche
Contact
04.07.2017 | KPMG Law Insights

Ein Side Letter ist keine Lösung

Ein Side Letter ist keine Lösung

Typischerweise enthält ein Side Letter Nebenvereinbarungen von Ver-tragsparteien, die diese nicht in den Hauptvertrag aufnehmen wollen. Side Letter werden jedoch mit sehr unterschiedlichen Inhalten und zu unter-schiedlichen Zwecken abgeschlossen. Die Verwendung eines Side Letter kann Auswirkungen auf den zugehörigen Hauptvertrag haben.

Ein Side Letter stellt in der Regel eine schuldrechtliche Zusatzvereinbarung zu einem Hauptvertrag dar. Die inhaltliche Ausgestaltung einer solchen Vereinbarung ist keinen Zwängen unterworfen, denn es gibt weder einen gesetzlich zwingenden, rechtlich kennzeichnenden oder auch nur typischen Inhalt für einen Side Letter. Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit ist neben dem Geheimhaltungsinteresse der Vertragsparteien häufig der ausschlaggebende Grund dafür, einen Side Letter abschließen zu wollen. Das Gesetz enthält auch keine ausdrückliche Formvorschrift für schuldrechtliche Zusatzvereinbarungen. Die grundsätzliche Formfreiheit und die damit einhergehenden Kostenvorteile (bei Vermeidung einer notariellen Beurkundung, öffentlichen Beglaubigung oder Vergleichsprotokollierung) können Vertragsparteien ebenfalls dazu motivieren, Zusatzvereinbarungen neben einem Hauptvertrag in einem Side Letter niederlegen zu wollen.

Notarielle Beurkundung von Grundstückskaufverträgen

Diese vermeintlichen Vorteile sind im Zusammenhang mit Grundstückstransaktionen aber nur sehr eingeschränkt gültig: Gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Die Norm verfolgt den Zweck, die Vertragsparteien auf die Bedeutung des Rechtsgeschäfts hinzuweisen und vor übereilten Entscheidungen zu schützen, wodurch dem Formzwang eine Warnfunktion zukommt. Zudem sollen Streitigkeiten vermieden werden, indem die Parteien vor dem Abschluss des regelmäßig materiell bedeutsamen Geschäfts eine fachkundige Beratung erhalten.

Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts

Sofern ein Side Letter nun dem Formerfordernis des § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB unterliegt, führt dessen form- loser Abschluss nach § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der in dem Side Letter enthaltenden Vereinbarungen. Die Nichtigkeit eines Side Letter kann darüber hinaus zur Unwirksamkeit eines an sich formgültig beurkundeten Grundstückskaufvertrages als Hauptvertrag führen. Denn nach § 139 BGB ist das ganze Rechtsgeschäft nicht, wenn ein Teil des Rechtsgeschäfts nichtig ist und wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Hierbei ist entscheidend, ob die verschiedenen Vereinbarungen nach dem Willen der Vertragsparteien des Grundstückskaufvertrages derart voneinander abhängen sollen, dass sie „miteinander stehen und fallen“ sollen. Dies kann wegen des vielgestaltigen Inhalts eines Side Letter nur im jeweiligen Einzelfall entschieden werden.

Einbeziehungswille

Von der Formbedürftigkeit eines Grundstückskaufvertrages nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB werden alle Vereinbarungen umfasst, aus denen sich nach dem Willen der Vertragsparteien das Veräußerungsgeschäft zusammensetzen soll. Insoweit genügt es bereits, wenn eine Partei die Abrede zum Vertragsbestandteil machen will.

Kaufvertrag und Side Letter können demgemäß ein einheitliches Veräußerungsgeschäft, eine rechtliche Einheit bilden. Eine rechtliche Einheit liegt vor, wenn die Vereinbarungen nach dem Willen der Vertragsparteien nicht für sich alleine gelten, sondern voneinander abhängig sind, wobei auch eine einseitige Abhängigkeit des Grundstückskaufvertrages vom Side Letter ausreicht.

Erläuterungen

Neben Erklärungen im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages, die auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet sind, bedürfen auch solche Vereinbarungen der notariellen Beurkundung, die den Inhalt und den Umfang der Leistungen beschreiben und konkretisieren. Mitunter kann es schwierig sein, solche Vereinbarungen von bloßen Erläuterungen abzugrenzen. Ein Side Letter, der lediglich Erläuterungen zu einem Grundstückskaufvertrag enthält, unterfällt nicht dem Formzwang des § 311b BGB. Eine Erläuterung liegt regelmäßig vor, wenn nur das veranschaulicht wird, was der zu beurkundende Grundstückskaufvertrag regelt. Die Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo sich der Vertragsinhalt selbst erst aus der Erläuterung oder in Verbindung mit der Erläuterung erschließt oder begreiflich wird.

Vereinbarungen mit einem Dritten

Es ist auch denkbar, dass ein Side Letter zwischen der Vertragspartei eines Grundstückskaufvertrags und einem Dritten geschlossen wird, der am Kauf nicht als verkaufende oder kaufende Partei beteiligt ist. Auch in dieser Konstellation ist jedoch die Notwendigkeit einer notariellen Beurkundung nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB zu prüfen und davon abhängig, welchen Inhalt ein derartiger Side Letter hat. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei einem Side Letter zwischen Vertragsparteien. Entscheidend ist auch hier ein Wille der Vertragsparteien des Kaufvertrages, die in einem solchen Side Letter enthaltenen Vereinbarung zu einem Bestandteil der kaufvertraglichen Einigung machen zu wollen. Würde mindestens eine Partei den Grundstückskaufvertrag nicht oder nicht so abschließen wollen, wenn es den Side Letter mit dem Dritten nicht gäbe, belegt dies die Notwendigkeit, auch den Side Letter zum Gegenstand der notariellen Kaufvertragsbeurkundung zu machen.

Praxishinweis

Bei Grundstückstransaktionen ist beim Abschluss eines Side Letter stets höchste Vorsicht geboten, denn mit einem formlos abgeschlossenen Side Letter riskieren die Vertragsparteien die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts. Es bedarf daher immer einer genauen Prüfung des im jeweiligen Einzelfall angestrebten Regelungsinhalts des Side Letter.

Explore #more

14.05.2025 | KPMG Law Insights

BGH zu Kundenanlagen: Beschluss ordnet richtlinienkonforme Anwendung an

Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 hat der BGH die Versorgunginfrastruktur im konkreten Fall einer Wohnanlage in Zwickau als Verteilernetz eingestuft und damit die Beschwerde…

13.05.2025 | In den Medien

KPMG Law Experte im Spiegel zur aktuellen Energiepolitik

In einem aktuellen Beitrag im Spiegel zur Energiepolitik wird Dirk-Henning Meier, Senior Manager im Bereich Energierecht bei KPMG Law, zitiert. Sie finden den Beitrag…

13.05.2025 | In den Medien, Karriere

azur Karriere Magazin – Alles KI oder was?

Künstliche Intelligenz ist längst in Kanzleien und Rechtsabteilungen angekommen. Doch der Umgang mit ihr will gelernt sein. Viele Arbeitgeber erweitern daher ihre Legal-Tech-Ausbildung um KI-Schulungen…

13.05.2025 | KPMG Law Insights

Erste Erfahrungen mit dem Einwegkunststofffondsgesetz: Das sollten Hersteller beachten

Getränkebecher, Folien und Plastikzigarettenfilter verschmutzen Straßen, Parks und Gehwege. Die Reinigungskosten tragen die Kommunen. Das Einwegkunststofffondsgesetz soll sie finanziell entlasten. Die Idee: Die Hersteller bestimmter…

07.05.2025 | KPMG Law Insights

Kündigung von befristeten Mietverträgen bei der „Vermietung vom Reißbrett“

Bei einer „Vermietung vom Reißbrett“ beginnt das Mietverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt zu laufen, meist dem Übergabetermin. In der Regel gehen die Vertragsparteien in…

06.05.2025 | In den Medien

Wirtschaftswoche zeichnet KPMG Law aus

KPMG Law wurde vom der WirtschaftsWoche als „TOP Kanzlei 2025“ im Bereich M&A ausgezeichnet. Ian Maywald, Partner bei KPMG Law in München, wurde außerdem…

06.05.2025 | KPMG Law Insights

Sozialversicherungspflicht von Lehrkräften – Übergangsregel schafft Klarheit

Lehrkräfte und Dozent:innen werden oft auf selbstständiger Basis engagiert. Diese Praxis lässt die Deutsche Rentenversicherung aufhorchen. Immer öfter überprüft sie den sozialversicherungsrechtlichen Status der Honorarkräfte…

02.05.2025 | In den Medien

KPMG Law Statement im FINANCE Magazin: So können CFOs bis zu 80 Prozent in der Rechtsabteilung einsparen

Der Kostendruck in den Unternehmen steigt – auch in den Rechtsabteilungen. Mittlerweile haben sich zwei Strategien etabliert, um 50 bis 80 Prozent der Kosten einzusparen.…

30.04.2025 | In den Medien

KPMG Law Studie in der Neue Kämmerer: Wie kommt das Sondervermögen in die Kommunen?

Ein Sondervermögen über 500 Milliarden Euro soll in den nächsten zwölf Jahren Investitionen in die Infrastruktur finanzieren. Davon sind 100 Milliarden Euro für die Länder…

29.04.2025 | KPMG Law Insights

Geldwäschebekämpfung und Transparenzregister – was ändert die neue Regierung?

Die künftige Regierung möchte laut Koalitionsvertrag Geldwäsche und Finanzkriminalität „entschieden bekämpfen“. Die Koalitionspartner kündigen an, dass Rechtsgeschäfte juristischer Personen, die den Betrag von 10.000 Euro…

Kontakt

Dr. Rainer Algermissen

Partner
Leiter Bau- und Immobilienrecht

Fuhlentwiete 5
20355 Hamburg

Tel.: +49 40 3609945331
ralgermissen@kpmg-law.com


Ein Side Letter ist keine Lösung

Tel.:

© 2025 KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Einzelheiten über die Struktur der globalen Organisation von KPMG besuchen Sie bitte https://home.kpmg/governance.

KPMG International erbringt keine Dienstleistungen für Kunden. Keine Mitgliedsfirma ist befugt, KPMG International oder eine andere Mitgliedsfirma gegenüber Dritten zu verpflichten oder vertraglich zu binden, ebenso wie KPMG International nicht autorisiert ist, andere Mitgliedsfirmen zu verpflichten oder vertraglich zu binden.

Scroll